David Leitch, Co-Regisseur des Actionhits «John Wick» (2014), präsentiert mit «Atomic Blonde» sein erstes Soloprojekt. Mit dem Inhalt hapert es ein wenig, doch darüber helfen einem die stilsichere Inszenierung und eine grossartige Charlize Theron hinweg.
Schon seit einigen Jahren sieht sich Hollywood (endlich) dazu gezwungen, seine Defizite in Sachen Geschlechterpolitik und Zuschauerrepräsentierung anzugehen. Und obwohl die grossen Studios noch einen weiten Weg zu gehen haben – und sich dabei noch von einigen falschen Vorstellungen von Emanzipation verabschieden müssen –, tut sich etwas: Gerade im Actiongenre wird versucht, vor und hinter der Kamera Filmschaffenden Räume zu geben, die nicht weiss und männlich sind. 2016 brillierten Melissa McCarthy, Kristen Wiig, Leslie Jones und Kate McKinnon in «Ghostbusters»; dieses Jahr kam Patty Jenkins‘ DC-Blockbuster «Wonder Woman» in die Kinos; im ersten Quartal 2018 darf man sich auf Babak Najafis Thriller «Proud Mary» mit Taraji P. Henson, Ryan Cooglers Superheldenfilm «Black Panther» und Ava DuVernays Sci-Fi-Abenteuer «A Wrinkle in Time» freuen.
In dieser Entwicklung spielte die südafrikanische Oscargewinnerin Charlize Theron («Monster», «Snow White and the Huntsman», «Prometheus») eine Schlüsselrolle. 2015 war sie in George Millers Meisterstück «Mad Max: Fury Road» als einarmige Rebellin Imperator Furiosa zu sehen – und war ein Weckruf für viele: Warum sieht man so wenige Actionheldinnen im Kino? Warum sind es immer die Männer, die Autounfälle und Explosionen überleben und sich durch eine Horde Bösewichte schiessen dürfen? Mehr Furiosas braucht das Kino!
Und nun ist Theron wieder in Aktion. In «Atomic Blonde» spielt sie die MI6-Agentin Lorraine Broughton, welche 1989, wenige Tage vor dem Fall der Mauer, nach Berlin geschickt wird, um eine geheime Liste mit Agentennamen zu finden und einen betrügerischen Doppelagenten zur Strecke zu bringen. Dabei helfen soll ihr ein zwielichtiger Kontaktmann (James McAvoy), der in der geteilten Metropole nach seinen eigenen Regeln spielt.
Die Geschichte von Drehbuchautor Kurt Johnstad («300») ist kaum der Rede wert. Diverse Handlungsstränge wirken unterentwickelt, einige werden nicht zu Ende erzählt, und die Mischung aus klassischem Spionagethriller und postmodernem Krimi vermag letztlich nicht zu überzeugen. Kurz: Es ist ziemlich offensichtlich, dass der Plot von «Atomic Blonde» primär ein Vorwand für David Leitch ist, seine stilisierten Actionchoreografien vorzutragen.
Doch die haben es in sich und entschädigen für die schnell vergessene Handlung. Leitch zieht bei seiner Inszenierung alle Register: Begleitet von einem grossartig eingesetzten ‹Deutschland ’89›-Soundtrack («Der Kommissar», «Major Tom», «99 Luftballons»), rechnet Lorraine mal in einem fahrenden Auto, mal in Zeitlupe in einem Hotelzimmer, mal in einer langen, ungeschnittenen Plansequenz in einem Wohnblock mit der sowjetischen Unterwelt Berlins ab. Dass Therons mitreissend dargestellte Lorraine bisexuell ist, ist eine weitere, höchst willkommene Absage an die Genrekonvention.
Ein Meilenstein ist «Atomic Blonde» nicht. Doch wer nach «Mad Max: Fury Road», «Ghostbusters» und «Wonder Woman» auf den Geschmack gekommen ist, coole, selbstbewusste Frauen am Abzug zu sehen, wird hier bestens bedient.
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Kinostart Deutschschweiz: 24.8.2017
Filmfakten: «Atomic Blonde» / Regie: David Leitch / Mit: Charlize Theron, James McAvoy, John Goodman, Toby Jones, Sofia Boutella, Eddie Marsan, Til Schweiger / USA / 115 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Universal Pictures International Switzerland
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