Anlässlich der 31. Ausgabe des FIFF (Festival International de Films de Fribourg) haben wir mit den beiden Filmemachern des mehrfach ausgezeichneten Dokumentarfilms «Cinema Travellers» über das Filmemachen in Indien, Feminismus und über die Zukunft des indischen Kinos gesprochen.
Schnell wird uns klar, dass wir es bei Amit Madheshiya und Shirley Abraham mit zwei Vertretern einer modernen, weltoffenen und enthusiastischen Generation von indischen Filmemachern zu tun haben. Angesprochen auf ihre Kindheit, erzählt uns Shirley, dass Fernsehen in ihrer Familie aus religiösen Gründen tabu war – nein, es war sogar verboten. Ihre Eltern glaubten damals, dass das Fernsehen von lauter bösen Geistern besetzt sei. Trotzdem war sie neugierig und schaute im Verborgenen, versteckt unter einer Decke, ihre ersten Filme. Angetan von den vielseitigen Möglichkeiten des Films, der menschlichen Imagination eine Form geben zu können, begann sie Jahre später ihr Film- und Medienstudium in Mumbai. Dort lernte sie Amit kennen, mit welchem sie später ihre eigene Produktionsfirma „Cave Pictures“ gegründet hat.
Als weibliche Regisseurin musste sich Shirley stärker behaupten
Zusammen haben die beiden 33-Jährigen ganze acht Jahre lang an ihrem ersten abendfüllenden Dokumentarfilm «Cinema Travellers» gearbeitet. Amit betont, dass nur schon die Recherche zum Film über drei Jahre gedauert habe. Nur so hätten sie es geschafft an die sehr unterschiedlichen Protagonisten, im Milieu der fahrenden „Cinema Travellers“, heranzukommen. Ausgerüstet mit einer videofähigen Canon Spiegelreflexkamera begleiteten sie diese von Jahrmarkt zu Jahrmarkt und begaben sich dabei auch in brenzlige Situationen. Shirley schildert uns Situationen, in welchen sie sich in der männerdominierten Welt der Schausteller als weibliche Regisseurin umso härter behaupten musste. Ernsthafte Probleme habe sie jedoch nie gehabt.
Die hartnäckige Arbeit hat sich für die beiden Filmemacher sicherlich gelohnt. In Cannes und an zahlreichen anderen A-Festivals, über den ganzen Globus verteilt, wurde der Film mehrfach ausgezeichnet und von Kritikern gelobt.
BBC Reportage über «Cinema Travellers»
Streaming auf dem Smartphone, Raubkopien und der Stellenwert des indischen Kinos
Nachdem wir lange über die Entstehung von «Cinema Travellers» gesprochen haben, packen wir schliesslich die Chance um die beiden noch etwas genauer über die Filmszene in Indien, die aktuellen Trends und die Zukunft des indischen Kinos auszufragen.
Amit erzählt uns, dass Streaming von Filmen und Serien längst auch in Indien ein riesiges Thema sei. Anders als in Europa würden aber viele auf dem Smartphone rezipieren und dies oftmals in sehr schlechter Qualität. Er erklärt uns, dass besonders Raubkopien die indische Filmwirtschaft in Bedrängnis gebracht haben. Die grossen Studios in Mumbai setzen laut Amit deshalb jeweils alles auf die Kinoauswertung in der ersten Woche – ganz nach dem Motto „Alles oder Nichts“. Denn bereits wenige Tage nach Kinostart würden jeweils zahlreiche Raubkopien kursieren und so das Geschäft der Distributoren kaputt machen. Amit relativiert aber indem er beteuert, dass das Kino in der indischen Kultur immer seinen Stellenwert behalten werde – auch wenn die Leute mehr streamen würden.
Mit Dokumentarfilmen lässt sich in Indien kein Geld verdienen
Shirley ergänzt, dass obwohl es vergleichsweise gut um das indische Kino stehe, das Problem eher sei, ihren Dokumentarfilm überhaupt erst ins Kino bringen zu können. Denn Dokumentarfilme gelten in Indien selbst heute noch als nicht anerkannte Kunstform. Deshalb sei es schwer einen Verleiher für die Dokumentarfilme finden zu können. Im Gegensatz zu Spielfilmen könne mit Dokumentarfilmen auf dem indischen Markt kein Geld verdient werden. So komme es auch, dass Shirley hauptsächlich als Fernsehregisseurin und Amit als Pressefotograf arbeitet, um über die Runden zu kommen. Hoffnung gebe ihnen aber die immer grösser werdende Independent Filmszene, welche durch die Digitalisierung erstmals die Möglichkeit habe auch mit einem kleinen Budget hochwertige Filme drehen zu können.
Nach über einer Stunde bedanken wir uns bei Shirley und Amit für das spannende und sehr offene Gespräch und rennen auch schon los zum nächsten Film.
Zum Film «Cinema Travellers» von Shirley Abraham und Amit Madheshiya
Seit fast 70 Jahren tourt ein fahrendes Kino durch Indien, um einem Publikum, das immer noch zu staunen vermag, den Zauber der bewegten Bilder vorzuführen. Eine Hommage an das Kino, an die Filmrolle und an die Menschen, die beides vor dem technologischen Wandel bewahren. «The Cinema Travellers» hat am Festival de Cannes 2016 einen Sonderpreis errungen.
Dokumentarfilm | Indien | 2016 | 96 Min.
Mehr Informationen zum Film gibt es hier
Quelle Titelbild: FIFF/Julien Chavaillaz
Quelle Filmstill: Cave Pictures
Quelle Video: BBC Talking Movies – Profile Cinema Travellers
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