Mindestens einmal pro Jahr begeistert ein stimmungsvoller Arthouse-Horrorfilm die internationale Kritik. Dieses Jahr ist es «Hereditary», Ari Asters bizarres, verstörendes Langspielfilmdebüt.
Viel wurde schon über die neue Ära des Qualitätshorrors geschrieben, die das US-Kino derzeit erlebt. So wie John Carpenter, Wes Craven und Tobe Hooper das alte Genre in den Siebziger- und Achtzigerjahren mit neuen Taktiken revolutionierten, wenden sich seit einigen Jahren junge Filmemacherinnen und Filmemacher von Torture-Porn- und Slasher-Franchisen wie «Hostel» oder «The Human Centipede» ab und machen Filme über die Abgründe der amerikanischen Psyche – Filme wie «It Follows» (2014), «The Witch» (2015) oder «Get Out» (2017).
Mit «Hereditary» greift der 31-jährige Ari Aster diesen Trend zwar auf, schreckt aber nicht davor zurück, dessen Stilmittel mit anderen, abenteuerlicheren Horrormotiven zu ergänzen. So wirkt sein Film wie das Aufeinandertreffen zweier Genre-Philosophien: hier die alltäglichen Szenarien und die langsamen Erzählweisen des Arthouse-Schockers, dort der handfestere Grusel in der Art von «Paranormal Activity» (2007) oder «The Conjuring» (2013).
Angst im Dunkeln
Ausgangspunkt von Asters Höllentrip ist der Tod einer alten Dame namens Ellen. Als Matriarchin des Graham-Clans nahm sie Zeit ihres Lebens Einfluss auf das Leben ihrer Tochter, der Künstlerin Annie (die herausragende Toni Collette), ihres Schwiegersohnes Steve (Gabriel Byrne) und ihrer Enkel Peter (Alex Wolff) und Charlie (Milly Shapiro). Doch während Ellens Tod Annie eher erleichtert – und Steve und Peter ziemlich kalt zu lassen scheint –, trägt Einzelgängerin Charlie sehr schwer daran. Nicht nur diesen Umstand beobachtet Annie mit Unruhe – nach Ellens Beerdigung beginnen sich im Graham-Anwesen seltsame Dinge zuzutragen.
Es ist schwierig zu sagen, ob «Hereditary» mit seinem unterschwelligen Genre-Remix als stimmiges Ganzes funktioniert. Denn der Film hat seine erzählerischen Brüche; seiner Auseinandersetzung mit toxischen Familienverhältnissen fehlt es ein wenig an Konsequenz; und sein dritter Akt bewegt sich in einigen Momenten – wohl nicht ganz ungewollt – scharf an der Grenze zum Überspitzten.
«Die Szenen, in denen das Grauen direkt in Erscheinung tritt, hallen tagelang nach und erinnern daran, warum man einmal Angst im Dunkeln hatte.»
Doch an den Resultaten ist nicht zu rütteln: Aster gelingt es, mit subtilen Details – von der Kamerabewegung über die Beleuchtung bis hin zum Dekor – eine ungemein effektive Atmosphäre von Bedrohung und Paranoia zu schaffen. Die Handlung ist hervorragend konzipiert und erwischt das Publikum Mal um Mal auf dem falschen Fuss. Die Szenen, in denen das Grauen direkt in Erscheinung tritt, hallen tagelang nach und erinnern daran, warum man einmal Angst im Dunkeln hatte.
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Kinostart Deutschschweiz: 19.7.2018
Filmfakten: «Hereditary» / Regie: Ari Aster / Mit: Toni Collette, Gabriel Byrne, Alex Wolff, Milly Shapiro, Ann Dowd / USA / 127 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Ascot Elite
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