«I Am Not a Witch», das eindringliche Langspielfilmdebüt der sambisch-walisischen Regisseurin Rungano Nyoni, erzählt vom Leben in einem Hexendorf im ländlichen Sambia. Das ist nicht nur faszinierend, sondern auch unerwartet lustig.
Eine Dorfbewohnerin (Eunice Mapala) holt Wasser vom Brunnen, stolpert auf dem Rückweg, blickt auf und sieht, dass sie von einem kleinen Mädchen (Maggie Mulubwa) beobachtet wird. Damit reisst dem Dorf der kollektive Geduldsfaden: Man hat genug vom eltern- und geschwisterlosen Mädchen, das keinen Mucks von sich gibt, und ist sich einig, es mit einer Hexe zu tun zu haben. Eine Diskussion mit einer gleichmütigen Polizistin (Nellie Munamonga mit einem hervorragenden Kurzauftritt) und ein Telefonat mit dem Regierungsbeamten Mr. Banda (Henry B.J. Phiri) später wird das Mädchen in sein neues Zuhause gebracht: ein Dorf, wo der Hexerei bezichtigte Frauen unter sich leben und arbeiten.
Hexengeschichten sind seit jeher auch Geschlechtergeschichten, und Rungano Nyonis Film bildet da keine Ausnahme. Die Lebensumstände der Hexen-Kommune, in die das Mädchen – von seinen neuen Ziehmüttern Shula genannt – verfrachtet wird, mögen auf Zuständen beruhen, wie sie Nyoni in der ghanaischen Provinz angetroffen hat; doch ihre metaphorische Dimension ist kaum zu übersehen. Die «Hexen» sind unverheiratete Frauen, die ihre Meinung sagen, sich den Befehlen von Männern widersetzen und dafür an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden. Und frei sind sie selbst in ihrem Exil nicht: Nicht nur sind sie laut Mr. Banda Regierungsbesitz; an ihren Rücken sind lange Stoffbänder befestigt – ein Gängelband, das sie am buchstäblichen und symbolischen Ausfliegen hindern soll.
Diskontinuitäten zwischen Tradition und Moderne
Die Absurdität dieser Situation entgeht Nyoni keineswegs; doch ihre Satire liegt nicht in der expliziten Persiflage. Vielmehr lässt sie sich auf diese Welt ein, begegnet ihr auf Augenhöhe und lässt all die Ungereimtheiten und Ungerechtigkeiten, die Shula erlebt, für sich selbst sprechen. «I Am Not a Witch» ist grossartig darin, die Diskontinuitäten zwischen Tradition und Moderne aufzudecken: das Handy, welches das Hexenritual stört; der Medizinmann, der ein wenig zu stark auf seiner Authentizität beharrt; der frei erfundene Regentanz, den man dem weissen Anthropologen gegen Geld vorführt; die Hexe im Fernsehinterview, gleich nach der Rapperin.
Diese Momente erwischen einen stets auf dem falschen Fuss, weil sie sich derart nahtlos in die stille Melancholie einfügen, die den Film beherrscht. Hier begibt sich «I Am Not a Witch», ansonsten eher auf den Spuren von Dramen wie Mahamat Saleh Harouns «Un homme qui crie» (2010) oder Kim Nguyens «Rebelle» (2012), jeweils kurz in die Nähe von Aki Kaurismäkis «The Other Side of Hope» (2017) oder Moussa Tourés «TGV» (1998).
Zu dieser ungewöhnlichen, aber enorm effektiven Stimmung trägt einerseits die ausgezeichnete Kameraarbeit von David Gallego bei, dessen Arbeit mit Dunkelheit und Farbe – und deren Fehlen – sich als besonders eindrücklich erweist. Doch auch Nyonis Drehbuch darf hier nicht ignoriert werden: Ihre Dialoge leben von langen Pausen, verweigerten Antworten und fast schon zauberspruchartig wiederholten Sätzen («Sie ist eine Hexe», «Was hast du?», «Wann wird es regnen?»). Sich mit dieser ureigenen Vision zu arrangieren, wird nicht allen leicht fallen. Doch «I Am Not a Witch» ist eines jener Debüts, die sich nicht ignorieren lassen. Rungano Nyoni hat noch viel vor.
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Kinostart Deutschschweiz: 10.5.2018 / Jetzt streamen auf Outside the Box.
Filmfakten: «I Am Not a Witch» / Regie: Rungano Nyoni / Mit: Maggie Mulubwa, Henry B.J. Phiri, Dyna Mufuni, Nancy Murilo, Nellie Munamonga / UK, Sambia, Frankreich, Deutschland / 93 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Outside the Box
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