Indischer Film im Kulturzentrum Lugano: Ein Interview mit Filmfestivalkoryphäe Marco Müller
Im Tessiner Kulturzentrum LAC (Lugano Arte e Cultura) werden zum Fokus Indien noch bis zum 17.12.2017 bildende Kunst, Tanz, Fotografie sowie auch indische Kunstfilme gezeigt. Das Filmprogramm wurde von Marco Müller, eine Koryphäe im internationalen Filmgeschäft, kuratiert. Im persönlichen Interview hat er Maximum Cinema verraten, wie er die Filme ausgewählt hat und was er über den Exzess der internationalen Festivallandschaft denkt.
Der Italiener Marco Müller, mit Schweizer Wurzeln, zählt zu den einflussreichsten Grössen der internationalen Filmfestivals. Als langjähriger Direktor des internationalen Filmfestivals Locarno, wurde er zum Direktor des einflussreichen A-Festivals in Venedig ernannt. Zuletzt wurde er ans Filmfestival in Rom berufen.
Für das LAC in Lugano hat er nun ein handverlesenes Programm von anspruchsvollen indischen Kunstfilmen zusammengestellt, welche von den Besuchern bestaunt werden können. Die Filmreihe zum Fokus Indien ist besonders in Kombination mit der hausinternen Kunstausstellung für alle Kunstinteressierten zu empfehlen, welche sich nach ein bisschen Sonnenschein im südlichen Tessin sehnen.
Interview mit Marco Müller
Was war Ihnen wichtig bei der Gestaltung des Filmprogramms zum Fokus Indien?
Grundsätzlich handelt es sich nicht um gewöhnliche indische Filme, welche im LAC gezeigt werden. Die Auswahl ist schräg, denn sie ist stark von der bildenden und performativen Kunst durchdrungen. Viele der Werke stammen von Filmemachern, die selber Künstler sind. Beispielsweise Mani Kaul, quasi der Godard der indischen New Wave, ist in seinem Filmschaffen stark von der Musik geprägt. Er sang jeden Morgen vor Tagesanbruch zur Sonne und begann erst danach an seinen Filmen zu arbeiten.
Was verbindet Sie persönlich mit der indischen Filmkultur?
Ich bin seit 1981 regelmässig in Indien. Seit über 12 Jahren berate ich indische Filmemacher, welche für Ihre Filme einen letzten Schliff benötigen, um sie auf den internationalen Markt bringen zu können. Alle Filmemacher des Programms sind oder waren übrigens enge Freunde von mir. Amit Dutta beispielsweise habe ich damals an den Kurzfilmtagen in Oberhausen kennen gelernt. Ich habe ihm geholfen, seine Kurzfilme auch an anderen Festivals in Europa zeigen zu können.
Wie unterscheidet sich die Filmprogrammation eines A-Festivals zur Programmgestaltung eines Museum-Rahmenprogramms?
Es ist eine total unterschiedliche Art des Film Kuratierens. Wenn immer man ein Programm für ein Museum zusammenstellt, stellt sich die Frage nach der Erhältlichkeit von Filmkopien; vor allem wenn man ein historisches Programm wie hier in Lugano zusammenstellt. Im aktuellen Fall dauerte es ganze zwei Jahre, da das Film Archiv in Indien gewisse Werke erst restaurieren musste. Der Reichtum an nicht-fiktionalen Filmen ist grundsätzlich sehr gross in Indien. Leider haben sich aber die Filmabteilungen bisher nicht gefragt, ob es sich lohnen würde, diese Filme zu erhalten. Ein Grossteil der aktuell zu sehenden Filme war bei Projektbeginn nur auf VCR erhältlich und erst noch in einer miesen Qualität.
Was sagen Sie zur wachsenden Anzahl von Filmfestivals in der Schweiz. Halten Sie Spezialisierung für sinnvoll? Und wie beeinflussen diese kleinen Festivals die grossen A-Festivals?
Ich habe nichts gegen eine Weiterführung von Filmfestivals, aber ich glaube die Zeit von regulären Festivals ist seit einigen Jahren vorbei. Ich war immer der Meinung, dass Festivals ein paralleles Distributionsmittel sind. Ich war der Meinung, dass es die Aufgabe von Festivals sei, bereits gezeigten Filmen zu einer weiteren Auswertung zu verhelfen. Aber heute geschieht dies meist nur für Filme, die sowieso schon ein Leben nach den Festivals haben, ob sie nun am Festival laufen oder nicht. Somit endet für viele Filme das Leben an den Festivals.
Locarno war zu meiner Zeit von der Grösse her ideal! Wir haben nicht mehr als 70 Filme gezeigt, inklusive der Retrospektive. Was das Zürich Film Festival heute macht, ist eine riesen Plattform, die auf ein Netzwerk setzt: Toronto, San Sebastian, Zürich; aufgrund dieses Bündnisses reisen dann auch viele Filme in der zweiten Hälfte des Jahres in die Schweiz. Locarno hätte übrigens eine einzigartige Plattform für die jungen Filmemacher sein können, so wie dies zu Beginn auch war mit Abbas Kiarostami oder Wong Kar Wai. Diese Zeiten sind jedoch vorbei.
Die Ausstellung zum Fokus Indien (Affinità elettive. India 1947-2017: il cinema e gli altri linguaggi delle arti) ist noch bis zum 17.12.2017 im LAC in Lugano zugänglich.
Dieser Artikel entstand in Zusammenarbeit mit dem Kulturzentrum LAC
Titelbild: Variety / LAC: Simon Keller
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