Effektvolles Genrekino oder intelligente Gesellschaftsparabel? Diese Trennung lässt Indie-Regisseur David Robert Mitchell («The Myth of the American Sleepover») nicht gelten. Sein Horrorfilm «It Follows» ist beides.
Dass ein Albtraum aus David Robert Mitchells Jugend für die Prämisse seines zweiten Langspielfilms Pate gestanden haben soll, ist leicht nachvollziehbar, richtet sie sich doch an eine der Urängste des Menschen: Nach dem ersten Sex mit ihrem neuen Freund (Jake Weary) wird College-Studentin Jay (Maika Monroe) von einem mysteriösen Wesen verfolgt. Im Schritttempo nähert sich ihr das gestaltwandlerische, nur für sie sichtbare Etwas, um sie schliesslich zu töten. Um es loszuwerden, muss sie schleunigst mit jemandem schlafen; wird diese Person anschliessend getötet, ist wieder Jay das Ziel.
Als reiner Vertreter des Horrorgenres ist «It Follows» ein nahezu makelloses Exemplar. Mitchell – stilistisch auf den Spuren von John Carpenter («Halloween») – hat die Regeln des psychologischen Monster-Gruslers perfekt verstanden. Der Film wartet ebenso mit markerschütternden Schreckmomenten wie mit einer eindringlichen Atmosphäre auf, die besonders durch den minimalistisch-verzerrten Soundtrack des 8-Bit-Musikers Richard «Disasterpeace» Vreeland angefacht wird: Bernard Herrmann trifft Synthesizer. Auch die Ausstattung trägt zum dominanten Gefühl von Unheimlichkeit bei: Futuristische Smartphones koexistieren mit 1970er-Autos und 1950er-Fernsehern; den genauen Zeitpunkt festzustellen, zu dem der Film spielt, ist unmöglich.
«Darüber hinaus jedoch weist der Film ein faszinierendes Geflecht von Subtext auf. Dass der zentrale Horror als Allegorie auf Geschlechtskrankheiten, allen voran AIDS, und das damit verbundene soziale Stigma funktioniert, ist dabei nur die Spitze des Eisbergs.»
Darüber hinaus jedoch weist der Film ein faszinierendes Geflecht von Subtext auf. Dass der zentrale Horror als Allegorie auf Geschlechtskrankheiten, allen voran AIDS, und das damit verbundene soziale Stigma funktioniert, ist dabei nur die Spitze des Eisbergs. Die erzählerische Verkettung von Sex und Tod sowie die sprechenden Formen des Stalker-Wesens – Stichwort: Eltern – lassen darauf schliessen, dass Mitchell seinen Freud gut kennt.
Und die Tiefe von «It Follows» hört nicht bei der Sexualität auf, ist er doch letztlich ein Film über die Angst selbst: Jay, und mit ihr das Publikum, werden zunehmend paranoid; jede Randfigur, die allein unterwegs ist, wird zu einem potenziellen Monster. Zitate von Fyodor Dostoyevsky und T. S. Eliot kommentieren die menschliche Furcht vor dem Tod.
«Es ist die schreckliche Erkenntnis, dass Bewegung, jener Grundpfeiler des amerikanischen Charakters, nicht mehr genügt, um dem Verderben zu entkommen.»
Die chaotische Chronologie kann indes als Anspielung auf die amerikanische Paranoia per se gelesen werden – von der roten Gefahr über die Terrorismus-Bedrohung bis zur NSA-Überwachung. Sämtliche Figuren, allesamt im College-Alter, wohnen noch in ihren Elternhäusern in einem zerfallenden Vorort der Problemstadt Detroit, was dem Titel gebenden Etwas letztlich auch eine gesellschaftliche Dimension gibt: Es ist die Angst vor dem Erwachsenwerden, vor einer perspektivlosen Zukunft. Es ist die schreckliche Erkenntnis, dass Bewegung, jener Grundpfeiler des amerikanischen Charakters, nicht mehr genügt, um dem Verderben zu entkommen.
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Filmfakten: «It Follows» / Regie: David Robert Mitchell / Mit: Maika Monroe, Keir Gilchrist, Daniel Zovatto, Jake Weary, Olivia Luccardi / USA / 100 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Dimension Films
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