Wie schon in ihrem oscarnominierten Durchbruch «Winter’s Bone» erzählt Debra Granik auch in ihrem neuen Drama vom Leben am Rande der amerikanischen Gesellschaft. «Leave No Trace» versucht sich an einem Balanceakt zwischen emotionaler Intensität und nüchterner Inszenierung.
Will (Ben Foster), ein traumatisierter Irakkriegsveteran, lebt mit seiner 13-jährigen Tochter Tom (Thomasin McKenzie) in einem kargen Lager in einem Waldstück bei Portland, Oregon. Die beiden kommen in der Isolation ansprechend über die Runden: Sie jagen und sammeln sich ihr Essen selber; für Unterhaltung ist dank Büchern und einem Schachbrett gesorgt. Will sorgt für Toms Ausbildung; und wenn doch einmal ein Einkauf in der Stadt ansteht, investiert Will das Geld, das er sich mit dem Verkauf der ihm verabreichten Psychopharmaka verdient. Doch der Wald ist öffentlicher Raum – und damit illegale Wohnfläche. Es kommt, wie es einmal kommen musste: Will und Tom werden verhaftet und dem Sozialamt überstellt, das für sie eine geregelte Unterkunft sucht.
Es ist fast nicht möglich, die Inhaltsangabe von «Leave No Trace» durchzulesen, ohne an die politische Dimension der Themen zu denken, die Debra Graniks Adaption von Peter Rocks Roman «My Abandonment» (2009) tangiert. Der Umgang mit Heimgekehrten aus Amerikas Kriegen ist ein anhaltendes soziales Problem, insbesondere das weit verbreitete Fehlen adäquater Hilfeleistungen. Graniks Protagonisten sind uramerikanische Individualisten, die sich gegen die scheinbare Willkür der Behörden und deren Definition von «public land» zur Wehr setzen – etwas, das gerade im Westen der USA die Gemüter erhitzt.
«What’s wrong with you isn’t wrong with me»
Und dennoch gelingt es dem Film, sich überzeugend von jeglicher Politisierung fernzuhalten. Auf äusserst sachliche Art und Weise zeigt er, wie unterschiedlich Will und Tom auf ihre neuen Lebensumstände reagieren – wie sie trotz ihrer engen Beziehung aufgrund ihrer verschiedenen Erfahrungen auseinanderzudriften drohen. «What’s wrong with you isn’t wrong with me», ist Toms Schlüsselsatz. Granik legt den Fokus zu Recht auf diesen faszinierenden Generationengraben, welchen Ben Foster und Thomasin McKenzie sehr subtil darzustellen wissen.
«Granik legt den Fokus zurecht auf diesen faszinierenden Generationengraben, welchen Ben Foster und Thomasin McKenzie sehr subtil darzustellen wissen.»
Allerdings durchzieht «Leave No Trace» die erzählerische Distanziertheit, die sich bereits in «Winter’s Bone» (2010) prägte. Trotz der menschlichen Problematik im Kern der Geschichte bleibt Granik stets im neutralen Beobachtermodus: Szenen ziehen vorbei, ohne sich mit überzogener Dramatik aufzudrängen – aber auch ohne sonderlich tiefe Eindrücke zu hinterlassen. «Leave No Trace» bleibt zwar konstant interessant, doch ein wenig ist der Titel eben doch Programm.
–––
Kinostart Deutschschweiz: 11.10.2018
Filmfakten: «Leave No Trace» / Regie: Debra Granik / Mit: Ben Foster, Thomasin McKenzie / USA / 108 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Praesens Film AG
No Comments