Frankreich ist Weltmeister – und das gemütliche Fussballgucken zuhause, in der Bar oder beim Publicviewing hat ein Ende. Aber: Mit diesen 11 Filmen kann die Fussballeuphorie noch etwas fortgesetzt werden.
1. «Looking for Eric» von Ken Loach
Der beste Fussballer aller Zeiten? Auch wenn sein Leben aus den Fugen gerät, auf diese Frage weiss Eric Bishop (Steve Evets) die Antwort: Eric Cantona. Als der Ex-Manchester-United-Spieler (himself) dann plötzlich aus der dünnen Luft heraus erscheint, zweifelt der fussballverrückte Postbote doch kurz an seinen Sinnen. Aber die Erscheinung kann Französisch sprechen – muss also echt sein. Von nun an steht Cantona Eric mit Rat zur Seite, hilft ihm beim Umgang mit dem Sohn, der in die Kriminalität abzurutschen droht, lässt ihn die richtigen Worte finden, wenn er seine Ex trifft, lehrt ihn, wieder an sich zu glauben. Wer hätte das gedacht: ein Fussballer als philosphischer Coach für Lebenskrisen.
2. «Maradona by Kusturica» von Emir Kusturica
Dass es einen Dokumentarfilm über Fussballgott Diego Maradona gibt, kann nicht verwundern. Was Emir Kusturica («Schwarze Katze, weisser Kater») aus dem an sich schon filmreifen Stoff macht, vermag aber doch zu überraschen. «Maradona by Kusturica» ist nicht bloss eine Hommage an den Fussballer, vielmehr verhehlt Kusturica nicht, dass er Maradona (himself) auch als politische Figur versteht. «Maradona by Kusturica» zieht Parallelen zwischen Fussballer und Regisseur und handelt deshalb genauso sehr vom filmischen Schaffen und der politischen Haltung Kusturicas. Dieser weiss sich zum Glück aber auch zurückzunehmen und lässt in den besonders bemerkenswerten Szenen Maradona vergangenen Zeiten nachtrauern und von den schweren Seiten des Lebens erzählen wie nur Maradona es kann.
3. «Fussball wie noch nie» von Helmut Costard
Der Name ist Programm: Das ist Fussball wie man ihn noch nie gesehen hat. Und wie ihn viele auch nie mehr sehen wollen. Helmut Costards «Fussball wie noch nie» ist das filmische Pendant zu Marcel Duchamps Pissoir: ein Ready-Made, das den Zuschauer zwingt, einen neuen Blickwinkel auf einen vermeintlich bekannten Gegenstand einzunehmen. Helmut Costard hat ein Fussballspiel gefilmt. Das Aussergewöhnliche: Alle Kameras halten auf George Best. Kein Soundtrack, kein Kommentar, man sieht nicht, wo Pässe ankommen und wie Bälle fliegen. Nur George Best beim Fussballspielen. Fussball in seiner Reinform, oder? Mit «Zidane, un portrait du 21e siècle« von Douglas Gordon und Philippe Parent gibt es auch sowas wie ein Remake des Experimentalfilm-Klassikers – wenn es auch weniger radikal ausfällt.
4. «Fever Pitch» von David Evans
Fussball kann eine Obsession sein, vielleicht gar eine Krankheit? Das zumindest suggeriert der Titel von Nick Hornbys Roman «Fever Pitch», der von David Evans («Downton Abbey») verfilmt wurde. Lehrer Paul (Colin Firth) ist Arsenalfan seit er denken kann, die Saison sein Zeitmass. Verliert seine Mannschaft, geht es ihm schlecht, gewinnt Arsenal, ist er gut gelaunt. Als er sich in eine Kollegin verliebt, birgt sein ganz auf Fussball ausgerichteter Lebensstil natürlich Konfliktpotenzial. Anders als das literarische Vorbild schafft es der Film leider nicht, unter die Oberfläche zu gehen und die grösseren Fragen zu stellen – unterhaltsam ist er allemal.
5. «Bend it like Beckham» von Gurinder Chadha
In den 60ern noch völlig verpönt (siehe auch die aktuelle französische Komödie «Comme les garçons»), hat der Frauenfussball in den letzten Jahrzehnten massiv an Popularität gewonnen. «Bend it like Beckham» (2002) dürfte wohl auch seinen Beitrag zum Boom geleistet haben. Zwei Mädchen (Keira Knightley und Parminder Nagra) kämpfen gegen Vorurteile (Fussballerinnen können nichts und sind alle lesbisch) und die Verbote ihrer Familien an. Kann die Freundschaft auch der Konkurrenz um Trainer (Jonathan Rhys Meyers, «Match Point») standhalten? Englische Komödie mit Selbstironie, in der es um Vorurteile, Freundschaft und natürlich Fussball geht. Wermutstropfen: die körperfokussierte Darstellung der trainierenden Frauen. Das machen echte Fussballerinnen nämlich nicht nur in Shorts und Sport-BH.
P.S.: Die Frauen-WM findet nächstes Jahr in Frankreich statt, mittlerweile werden die Spiele sogar im Fernsehen gezeigt – zumindest ausgewählte.
6. «Pizza Bethlehem» von Bruno Moll
Wie in vielen anderen Nationalmannschaften auch, spielen in der Schweizer Nati viele Secondos, was regelmässig für Diskussionsstoff führt (zuletzt: «Doppeladler-Affäre»). Was Fussball mit Integration zu tun hat, dieser Frage geht Bruno Moll auch in seinem Dokumentarfilm «Pizza Bethlehem» nach – fern vom Scheinwerferlicht. Mit der Kamera begleitet er ein Juniorinnen-Team des FC Bethlehem, Mädchen um die 15, viele von ihnen haben Migrationshintergrund. Er fragt danach, was Fussball für eine Rolle in ihrem Leben spielt, begleitet sie in ihrem Alltag und lässt sie von ihren Plänen und Träumen erzählen. Der Film porträtiert die jungen Frauen ebenso wie das Quartier, in dem sie sie aufwachsen. Und zeigt damit, was Fussball in der Schweiz – auch – ist.
7. «Dr Goalie bin ig» von Sabine Boss
Der Goalie hat im Fussball eine Sonderrolle: Als einziger auf dem Feld darf er den Ball in die Hände nehmen und seine Fehler sind – anders als die von Stürmern – äusserst fatal. Das prädestiniert ihn für die Rolle des tragischen Helden: Ein Aussenseiter, der potentiell zum Retter aufsteigen kann, aber auch als Sündenbock herhalten muss. So ergeht es auch Ernst (Marcus Signer), von allen «Goalie» genannt. Schauplatz ist nicht das Spielfeld, sondern das Drogenmilieu im fiktiven Provinzort Schummertal. Fussball dient als Bild dafür, was mit Ernst geschieht – «Dr Goalie bin ig» ist damit allemal ein Fussballfilm. Besonders toll auch der Auftritt von Pedro Lenz, dessen Roman hier verfilmt wurde.
8. «Die Angst des Tormanns beim Elfmeter» von Wim Wenders
Der oft geäusserte Vorwurf an diesen Titel: Der Goalie braucht beim Elfmeterschiessen gar keine Angst zu haben, er kann nur gewinnen. Diese Kritik übersieht, dass es in diesem Film genau um irrationale Ängste geht. Der ehemalige Fussballtormann Josef Bloch (Arthur Brauss) sieht sich eines morgens von seinem Baustellen-Job entlassen, unruhig streift er durch die Stadt und begeht schliesslich einen Mord, anschliessend flieht er aufs Land. Auch dies kein Film, der Fussball inhaltlich zum Thema macht, der aber die Eigenheiten des Spiels auf die Situation seiner – psychotische? – Figur überträgt. Besonders aufschlussreich sind diesbezüglich auch die Unterschiede zwischen literarischem Original (Peter Handke) und Verfilmung.
9. «The Workers Cup» von Adam Sobel
Fussball ist ein dreckiges Business. Wir wissen es und schauen doch immer wieder weg, bzw. zufrieden in die Flimmerkiste. Adam Sobel begleitet ein Dutzend Arbeiter, die in Katar die Stadien, Strassen und Einkaufszentren für die nächste WM errichten. Für ein paar Wochen herrscht in den Arbeitscamps Ausnahmezustand: Der «Workers Cup» findet statt, alle am Bau beteiligten Firmen können eine Fussballmannschaft stellen. Sobel zeigt auf, welche Wirkung der Fussball selbst auf die ausgebeuteten Arbeiter hat, wider besseres Wissen lassen sie sich blenden – wie wir alle auch.
Hier geht’s zur ausführlicheren Besprechung.
10. «Goal» von Danny Cannon
Die Filmtrilogie «Goal» ist das Epos der Fussballfilme und etwas für all jene, die sich nach Action-Shoots in Champions-League-Ästhetik sehnen. Die Filme zeigen die Karriere eines jungen Profifussballers (Kuno Becker) – mit allem, was dazugehört. Aufstieg und Fall, Familienkonflikte und grosse Liebe, wahre Freundschaft und Verrat, das Fussballdrama nimmt immer neue – allerdings erwartbare – Wendungen. Aber eben: Die Fussballszenen lassen sich schon sehen. Und zahlreiche Fussballstars haben ihre Cameo-Auftritte. Hach…
11. «The Philosopher’s Football Match» von Monty Python
Über Fussball wird viel philosophiert. Im Nachhinein wissen immer alles besser, erst recht, wenn sie nicht auf dem Feld standen. Das hat seine komischen Auswüchse, unzählig die geflügelte Worte und Binsenweisheiten von Spielern, Trainern und Kommentatoren. Ebenso unvergesslich wie «Das Chancenplus war ausgeglichen» (Lothar Matthäus) ist der Monty-Python-Sketch, in dem die Verhältnisse für einmal umgedreht werden und die Philosophen Fussball spielen müssen. Es treten an: deutsche Denker gegen griechische Grübler, Nietzsche, Hegel und Kant gegen Aristoteles, Sokrates und Platon. Verständlich, dass da vor lauter versammelter Denkkraft der Tritt gegen den Ball vergessen geht.
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Titelbild aus «Pizza Bethlehem» von Bruno Moll / Trigonfilm
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