«20th Century Women» von Regisseur Mike Mills ist bisweilen beinahe kitschig-sentimentale Nostalgie und zugleich sehnsüchtiges Coming-of-Age. Vor allem aber ist der Film eine berührende Hommage an die Komplexität, Stärke und Liebe einer Mutter.
«20th Century Women» erzählt die Geschichte der alleinerziehenden Dorothea (Annette Bening) und ihrem 15-jährigen Sohn Jamie (Lucas Jade Zumann), die 1979 – mit der fotografierenden Punkerin Abbie (Greta Gerwig) und dem spirituellen Automechaniker William (Billy Cudrup) als Untermieter – in einer zerfallenden Villa am Rande des kalifornischen Städtchens Santa Barbara leben. Allmählich etwas überfordert mit den pubertären Kapriolen ihres Sohnes, engagiert Dorothea kurzerhand dessen beste Freundin Julie (Elle Fanning) sowie Untermieterin Abbie um Jamie bei seinem Prozess vom Buben zum jungen Mann zu unterstützen. Doch eigentlich ist der Plot in «20th Century Women» zweitrangig. Vielmehr erzählt der Film in collageartigen Ausschnitten aus dem Leben dieser drei Frauen und dem jungen Jamie, wie sie versuchen dem Leben seinen Sinn zu entlocken und dabei die eigene Identität zu definieren. So würde gerade die erste Szene des Filmes auch einen wunderbaren Kurzfilm hingeben: Mutter und Sohn auf Einkaufstour im Supermarkt müssen mit Schrecken feststellen, dass ihr Auto auf dem Parkplatz in Flammen steht. Nachdem die Feuerwehr angerückt und die Flammen gelöscht sind, sitzen Jamie und Dorothea ernüchtert neben dem Feuerwehrauto. „It was a beautiful car“, seufzt Annette Bening alias Dorothea. „Mom, it smelled like gas and it overheated all the time. And it was just old“, entgegnet der entnervte Sohn. „What? Well, it wasn’t always old, it just got that way all of a sudden“, wendet Dorothea entrüstet ein. Dieser kurze Dialogfetzen resümiert wunderbar, um was sich «20th Century Women» dreht.
Dieser Film handelt vom Wechsel der Generationen, von der Sentimentalität für die Vergangenheit und der Sehnsucht nach der Zukunft. Eingebettet in die bewegten 1970er Jahre in den USA porträtiert Regisseur Mike Mills («Beginners») zudem gekonnt eine Gesellschaft im Umbruch. Die Sehnsuchtsgefühle greifen geschickt auf mehreren Ebenen: Einerseits sehen wir Dorothea, wie sie der flüchtigen Kindheit von Jamie und der in ihren Augen einfacheren Zeit ihrer Jugend nachtrauert. Andererseits sehnen sich Jamie, Julie und auch Abbie nach einer freieren, aufregenden und aussichtsreichen Zukunft. Und auf der dritten Ebene schwelgt man als Zuschauer selbst in einer Mischung aus Nostalgiegefühlen, Americana und 70er-Jahre-Romantik. Die wie in goldenen Schimmer getauchten Bilder, der Einsatz von Zeitraffer und Prisma-Filter, sowie die Collagesequenzen mit Fotos und (vermeintlichem) Archivmaterial tragen ihren Teil dazu bei. Das Setting, die verträumte Kleinstadt Santa Barbara, ist nur so angefüllt von Ruinen, zerfallenen und überwuchernden Gärten und verlassenen Strassen, was den schwelgerischen Eindruck noch verstärkt.
Was bedeutet es, Frau zu sein?
Das andere, eigentliche grosse Thema von «20th Century Women» ist aber die Beziehung zwischen Mutter und Sohn, Dorothea und Jamie. Alles dreht sich hier um die Fragen: Wie macht man aus einem Kind einen glücklichen Erwachsenen? Kann eine Mutter allein ihren Sohn zu einem Mann grossziehen? Was bedeutet es eigentlich Mann zu sein? Oder Frau? Fragen, die bis heute nichts an ihrer Bedeutung eingebüsst haben. Und doch ist es genau in der Auseinandersetzung mit diesen Fragen, wo «20th Century Women» zuweilen ins Kitschige abdriftet. Zu perfekt unperfekt wirkt da manchmal die Schicksalsgesellschaft, die in dieser utopisch-feministischen Villa Kunterbunt zusammengefunden hat und versucht den pubertierenden Jamie gross zu ziehen. Zu on-the-nose dessen Lektüre von feministischen Klassikern wie «Our Bodies Our Selves». Etwas zu viel B- und C-Plot neben der eigentlichen Geschichte. Und dennoch ist « 20th Century Women» durchaus lohnendes Kinoerlebnis, mit tollen schauspielerischen Leistungen, wunderschön träumerischen Bildern und etwas nostalgischer Flucht aus dem Alltag.
Kinostart Deutschschweiz: 18.5.2017
Regie: Mike Mills / DarstellerInnen: Annette Bening, Greta Gerwig, Elle Fanning, Lucas Jade Zumann, Billy Cudrup, uvm.
Bild- und Trailerquelle: A24
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