Nach der Oscar-Season ist vor dem A-Festival-Sommer, dazwischen liegt der Mai – wohl der gelegenste Monat, um Nischen-Filmfestivals zu veranstalten. Das Pink Apple Festival zeigt Einblicke ins queere Filmschaffen, das Ginmaku legt sein Augenmerk auf den japanischen Film. Und am 11. und 12. Mai 2019 findet bereits zum fünften Mal das Mobile Motion Film Festival – kurz MoMo – statt, bei dem sich alles um den auf dem Smartphone aufgezeichneten Film dreht. Wie kein anderes Festival will es die Besucherin mit Herzblut und Passion für das Geschichtenerzählen von der Zuschauer- auf die Macherseite ziehen.
Das MoMo weiss, wie man Musik effektvoll einsetzt.
Von der Kunst der Wenigen zur Kunst von allen
Das Mobile Motion Film Festival assoziiere ich mit einem bestimmten Namen: Sean Baker, mit dem ich am Anschluss an das 2. Mobile Motion Festivals vor drei Jahren nach dem Screening des herrlich spritzigen «Tangerine» in Gespräche vertieft der Badenerstrasse entlang flaniert bin. Der vollständig auf einem iPhone 5 gedrehte Film wurde auf Festivals weltweit für seine schrillbunte Ästhetik und seinen unmittelbaren Zugang zum Milieu des Transsexuellenstrichs von Los Angeles gefeiert.
Zwei Jahre später brachte Baker «The Florida Project» ins Kino, der zwar bis auf die allerletzte Einstellung nicht auf dem iPhone gefilmt worden ist, dem Baker’schen Stil des Porträtierens von sozialen Unterschichten treu geblieben ist und mich für mindestens 24 Stunden in ein heulendes Wrack verwandelt hat. Das Milieudrama hat unzählige Nominationen eingeheimst, darunter auch eine Oscar-Nomination für den besten Nebendarsteller Willem Dafoe. Sean Baker hat gezeigt, dass es keine 4K-Auflösung braucht, um das Publikum zu berühren und sich in die Filmgeschichte einzubrennen.
Neben Steven Soderbergh, der neulich das Sportdrama «High Flying Bird» für Netflix auf einem iPhone 8 drehte, hat Baker eine Revolution in der Filmindustrie eingeläutet, die den Film von der Kunst der Wenigen zur Kunst von allen macht. Und eben diese Verschiebung thematisiert das Mobile Motion Festival mit einer Auswahl herrlich frischer Smartphone-Filme, Talks und Workshops.
Weniger Technik, mehr Gefühl
Die Ideologie des MoMo ist folgende: Schon immer haben Filmemacherinnen mit günstigem Equipment ihre ersten Filme gedreht, bevor sie zu Bekanntheit kamen, erfolgreich wurden und sich das Vertrauen der Produzenten erfilmt haben, die ihnen dann Alexas und Blackmagics zur Verfügung stellten. In der Filmindustrie geht es um viel Geld, das nur für Geschichten ausgegeben wird, von denen sich die Industrie auch einen Gewinn verspricht. Natürlich gibt es neben dem Blockbusterkino zahlreiche Low-Budget-Indie-Produktionen – doch auch hier rechnet man mit Ausgaben von bis zu zwei Millionen Dollar; und zwischen Regisseur und einzufangender Szenerie steht ebenfalls meistens eine teure Kamera.
Doch das Wichtigste beim Filmen ist nicht das Equipment, sondern die Geschichte, die erzählt werden will und der brennende Funke des Geistes, der die Fäden dahinter zieht – oder, besser gesagt, die Kamera führt. Heute gibt es mehr Smartphones als Menschen auf der Welt, und alle haben die Möglichkeit, mit wenig Geld ein audiovisuelles Werk zu schaffen. Zudem hat Film sich schon immer auf die rasante Entwicklung der Technik und ihren Einfluss auf die Gesellschaft bezogen und diese reflektiert. Wieso Smartphones also nicht direkt in den Prozess des Filmemachens einbinden, wo diese doch unseren Alltag durchdringen wie kein anderes Gerät? Der Fokus verändert sich, wenn statt einer massigen Kamera ein kleines iPhone vor den Nasen der Schauspieler sitzt.
Die Ergebnisse sind innovativ, authentisch und strotzen vor Kreativität. «Today, anyone can make a movie», heisst es auf der Website des MoMo – und genau dafür setzen sich Festivalgründer Andrea Holle und Simon Horrocks ein.
Festivalgründerin Andrea Holle spricht im Ted-Talk über die Smartphone-Revolution im Film.
Kurzfilme, Talks und Workshops rund um die Smartphone-Kamera
Das MoMo erfreut sich einer Online-Community von über 60’000 Filmemacher*innen und Filmfans weltweit; der tägliche Low Budget Filmmaking Blog erreicht pro Monat über 17’000 Leserinnen und Leser. Gefeiert wird dies am Mobile Motion Film Festival im Zürcher Kino Kosmos: Das Programm setzt sich aus verschiedenen Kurzfilm-Blocks mit thematischen Schwerpunkten – darunter weibliches Kino und Science-Fiction – zusammen, bei denen die jeweils besten Filme vom Publikum gewählt und anschliessend bei der Award Ceremony prämiert werden. Daneben gibt es ein Panel zu Mobile Journalism und ein Screening sowie einen Talk zu Simon Horrocks Serie «Silent Eye». Gefeiert wird am Samstagabend an der Tropical Disco im Kosmos, bis die Filmrolle abbrennt. Seinen Ausklang findet das MoMo dieses Jahr bei einem Brunch for Film- and Foodlovers (beschränkte Platzzahl) und einem anschliessenden Workshop, bei dem die Teilnehmenden die Basics für das Erstellen eines eigenen Smartphone-Filmes lernen.
Mit einem Screening und anschliessendem Talk von Simon Hollocks neuster Episode von «Silent Eye» eröffnet das diesjährige MoMo.
Das Mobile Motion Film Festival findet vom 11. bis 12. Mai 2019 unter anderem im Kino Kosmos in Zürich statt. Das volle Programm findet sich unter https://momofilmfest.com/programme/.
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