Die Türkei hat sich in den letzten Jahren mehrfach als Filmland ausgezeichnet, besonders durch Nuri Bilge Ceylan. Doch auch «Abluka» (Wahn), Emin Alpers beklemmender Zweitling über politische Gewalt und eine schwierige Familiengeschichte, verdient hohe Beachtung. Der Film gewann an der Mostra in Venedig den Spezialpreis der Jury.
So fern von aller Bosporus-Idylle, die der Mitteleuropäer inzwischen kennt und liebt, spielt die Geschichte zweier Brüder am Rand des Molochs Istanbul. Es ist tiefer Winter in der Türkei, Schneeregen und Matsch mischen sich mit Abgasen und Abfällen. Frostig ist auch die Stimmung im Film – von Anfang an. Der Langzeit-Häftling Kadir geht einen faustischen Handel ein, als er sich bereit erklärt, für die Polizei zu arbeiten. Dafür werden ihm die letzten Jahre seiner Strafe erlassen. Er durchforstet Mülltonnen nach Sprengsätzen und spioniert sein Umfeld aus. Gleichzeitig scheitert er daran, eine Beziehung zu seinem jüngeren Bruder Ahmet aufzubauen. Dieser (hervorragend gespielt von Berkay Ates) leidet ebenfalls an sozialer Isolation und schlägt sich damit durch, dass er für die Stadtverwaltung streunende Hunde abschiesst.
Anderes Unheil bricht ebenfalls über die Familie herein – eine Aussenwelt voller politischer Gewalt. Gezeigt wird sie meist auf kleinen, alten Fernsehgeräten, die in kargen Wohnzimmer stehen. Doch nachts eskaliert die Lage oft: Explosionen, Schüsse und Sirenen vermischen sich zu einer albtraumartigen Geräuschkulisse.
Etwa gleichzeitig fangen die beiden Brüder an, mit der Realität zu hadern. Der emotional sehr instabile Ahmet entdeckt ausgerechnet sein Herz für Tiere, während der nach Freundschaft, seelischer, aber auch körperlichen Liebe lechzende Kadir mit beruflichem Übereifer seine Defizite zu kompensieren versucht. Es sind diese beiden Fluchten, die die Brüder weiter auseinandertreiben – bis zum bitteren Ende.
Dass die Welt der TV-Bilder am Ende mit dem Alltag der kleinen Männer eins ist, hat auch damit zu tun, dass der Staat und seine Organe nach genau denselben Mustern operieren wie die Terroristen, gegen die sie sich lediglich zu verteidigen behaupten. Damit wollte Emin Alper aber explizit nicht die gegenwärtige Lage in der Türkei kommentieren. Vielmehr ging es ihm darum, eine zeitlose Parabel über Menschlichkeit, Freundschaft und Opportunismus in Zeiten extremer Gewalt zu zeigen. Es ist ihm gelungen, sehr gut sogar.
Ab 7. April im Kino / Jetzt auch im Trigon-Online Kino.
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