Ein Film über die Endlosigkeit, der keine 80 Minuten dauert? Das kann nur das Werk des schwedischen Regie-Sonderlings Roy Andersson sein – und der zeigt in «About Endlessness» einmal mehr seine Brillanz.
Menschen mit bleich geschminkten Gesichtern, von einer starren Kamera in der Totale gefilmt, stehen oder sitzen an tristen grau-braunen Schauplätzen, die offensichtlich nicht echt sind, sondern in einem Studio gebaut wurden. Eine Einstellung entspricht einer kleinen Geschichte, einer Art Sketch, einer surrealen Vignette, die nach dem nächsten Schnitt auch schon wieder vorbei ist. Der Stil von Roy Andersson ist einer der markantesten des Weltkinos, das Resultat einer unvergleichlichen Karriere, deren Verlauf wie ein trockener Witz aus einem seiner Filme klingt. Zwei Dramen drehte der heute 76-jährige Göteborger nach seinem Studium, bevor er dem Kino frustriert den Rücken kehrte, beim schwedischen Fernsehen als Werbefilmer anheuerte und Hunderte von Spots produzierte, die in seiner Heimat zum Kult wurden.
«Der Stil von Roy Andersson ist einer der markantesten des Weltkinos, das Resultat einer unvergleichlichen Karriere, deren Verlauf wie ein trockener Witz aus einem seiner Filme klingt.»
Doch er hatte noch nicht abgeschlossen mit der grossen Leinwand. Das Geld, das ihm die Werbung eingebracht hatte, investierte er in den Bau eines eigenen Studios, in dem er 1996 mit der Arbeit an einem neuen Langspielfilm begann, der 2000 unter dem Titel «Songs from the Second Floor» Premiere feierte und zum internationalen Arthouse-Hit avancierte – eine lakonisch-existenzialistische schwarze Komödie mit starren Einstellungen von bleichen Menschen, die von einem monatelang anhaltenden Stau in die Verzweiflung getrieben werden. Es war der Beginn von Anderssons «Trilogie über das Menschsein», deren Ästhetik und Erzählstil in «You, the Living» (2007) und dem Meisterwerk «A Pigeon Sat on a Branch Reflecting on Existence» (2014) noch abstrakter und rigoroser wurden – und deren satirische Darstellung der schieren Absurdität des Lebens schlichtweg unvergesslich ist.
Ecce homo
Anderssons neues Werk, wofür er beim Filmfestival von Venedig den Regiepreis gewann, mag nicht mehr zu dieser Trilogie gehören, schliesst aber nahtlos an die visuellen, narrativen und thematischen Motive seiner Vorgänger an. Menschen und Sets wirken nach wie vor gespenstisch entrückt, die Szenen bleiben so reduziert wie eh und je – gewisse kommen sogar ohne erkennbare Pointe aus. Der implizite Leitsatz, der über allem steht, lautet immer noch «Ecce homo» – «Siehe, der Mensch». Doch es wäre ein Fehler, Andersson der müden Wiederholung zu bezichtigen. «About Endlessness» ist sein vielleicht geradlinigster Film seit «Songs», ein faszinierendes Weiterdenken der bemerkenswertesten Bilder aus seinem Schaffen.
Aufs Wesentliche heruntergebrochen, handelt der Film vom unaufhaltsamen Fortlauf der Geschichte. Fast jedes Tableau zeigt, im weitesten Sinne, einen begangenen Weg: Am Himmel ziehen Gänse vorbei – wie der apokalyptische Bomber-Schwadron am Ende von «Living» –, während am Boden das Auto eines Mannes mitten im Niemandsland den Geist aufgibt. Hunderte von Kriegsgefangenen stapfen in Richtung Internierungslager. Ein Vater ist mit seiner Tochter zu einem Geburtstagsfest unterwegs und nimmt sich im strömenden Regen die Zeit, ihr die Schuhe zu binden. Im Führerbunker sehen Hitler und seine Generäle ihrem bevorstehenden Ende entgegen.
Der Zusammenhang dieser Momente offenbart sich im Kontext der titelgebenden Endlosigkeit: Ob historischer Kriegsausgang oder scheinbar unwichtiges Alltagsdetail – die Zeit wird jeglichen Unterschied zwischen diesen Ereignissen im Endeffekt zur Bedeutungslosigkeit zerreiben. Zugleich unterstreicht «About Endlessness» hiermit auch die fundamentale Unzulänglichkeit menschlichen Strebens: Ziele und Endpunkte sind eine Illusion; die einzige Hoffnung liegt in der Vorwärtsbewegung; Stillstand ist fatal. Selbst die Szene einer Zugankunft – ein zärtliches, in sich geschlossenes kleines Drama, das aus dem frühen Stummfilm stammen könnte – ist geprägt von Figuren, die den Blick eisern nach vorne gerichtet haben.
Das mag nihilistisch klingen, gerade in Kombination mit Anderssons Rahmenhandlungen: Denn durch diese immer wieder urkomische Bilderreihe führt eine orakelhafte Erzählstimme (Jessica Louthander) aus der finsteren Weite des Universums, deren Kommentare nüchterner, ja leidenschaftsloser nicht sein könnten, während ein eng umschlungenes Liebespaar, das über dem zerbombten Köln schwebt, dem Film als eindringliches zentrales Bild dient.
«Trotz aller Trostlosigkeit ist auch sein neuestes Porträt einer unvollkommenen Menschheit durchsetzt von Momenten der Schönheit und der liebevollen Verwunderung über die scheinbar widersinnigen Marotten, die jede und jeder mit sich herumträgt.»
Doch Andersson war noch nie ein Misanthrop, und daran ändert sich auch in «About Endlessness» nichts: Trotz aller Trostlosigkeit ist auch sein neuestes Porträt einer unvollkommenen Menschheit durchsetzt von Momenten der Schönheit («Ist es nicht dennoch fantastisch?» – «Was?» – «Alles!») und der liebevollen Verwunderung über die scheinbar widersinnigen Marotten, die jede und jeder mit sich herumträgt. Siehe, der Mensch – was für ein seltsames Geschöpf.
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Kinostart Deutschschweiz: 5.3.2020
Filmfakten: «About Endlessness» («Om det oändliga») / Regie: Roy Andersson / Mit: Jessica Louthander, Thore Flygel, Lesley Leichtweis Bernardi, Anna Sedunova, Magnus Wallgren / Schweden, Deutschland, Norwegen / 78 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Xenix Filmdistribution GmbH
Roy Andersson bleibt sich treu: Auch sein vierter Film im Sketch-Format begeistert mit grandioser Ästhetik, abgründiger Lakonie und faszinierenden Gedanken über die Absurdität des Lebens.
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