Alles anders während der Pandemie: Anstatt Anfang März finden die diesjährigen Academy Awards erst Ende April statt. Die Nominierungen werden an diesem Montag, 15. März, bekannt gegeben – zwei Wochen nach der Golden Globes-Verleihung, die bereits einige Überraschungen bereithielt, was die Preisträger angeht. Wer kann das Rennen letztlich für sich entscheiden? Hier der Countdown der 16 wahrscheinlichsten Kandidaten für den Hauptpreis «Bester Film».

Bildquelle: Free stock photo of Oscar Statuette: https://libreshot.com/oscar-statuette/
Tatsächlich ist dieses Jahr alles ein wenig anders, was sich insbesondere daran zeigt, dass neun der 16 Topfavoriten in der Schweiz bereits auf einem Streaming-Dienst verfügbar sind – fünf auf Netflix, drei auf Amazon Prime Video und einer auf Disney+. Dies hat mitunter auch zur Folge, dass im Gegensatz zu früheren Jahren der grösste Teil der Filme vor der Verleihung am 26. April auch in der Schweiz zu sehen sein wird.
Während einige Filme von der grossen Leinwand auf einen Streaming-Dienst wanderten, wurden andere verschoben – man denke insbesondere an «Dune» von Denis Villeneuve, «The French Dispatch» von Wes Anderson, und «West Side Story» von Steven Spielberg. Nichtsdestotrotz brachte auch das erste Pandemie-Jahr einige oscarverdächtige Perlen hervor.
16. «Tenet» von Christopher Nolan
Es war der Film, der die Kinos hätte retten sollen im vergangenen Sommer: «Tenet». Nun, über ein halbes Jahr später, sind sie wieder geschlossen. Der neuste Streich von Christopher Nolan, in dem der «Dunkirk»– und «Inception»-Regisseur mit dem Fluss der Zeit spielt, mag zwar nicht an vergangene Erfolge anknüpfen, in den technischen Kategorien weiss er dennoch aufzutrumpfen. Während er für eine Nominierung als «Bester Film» nur Aussenseiterchancen hat, wird er für den Sound, die Kamera, das Setesign, womöglich auch für die Filmmusik, bestimmt aber für die visuellen Effekte, an vorderster Front mitmischen.
«Tenet» lief ab dem 26. August 2020 in den Schweizer Kinos.
15. «The Mauritanian» von Kevin Macdonald
«The Mauritanian» von Kevin Macdonald («The Last King of Scotland») war einer der Überraschungen, was die Golden Globes betrifft. Schon die Nominationen von Tahar Rahim («Un prophète») und Jodie Foster als vermeintlicher 9/11-Verursacher und seine Anwältin wurden im Vorfeld nicht erwartet. Dass Foster dann sogar mit der Goldstatue gewürdigt wurde, war schon fast eine Sensation. Auch für die Oscars sollte man das emotionale, wenn auch etwas konventionelle Drama nicht ganz ausser Acht lassen. Neben Rahim und Foster könnte auch das Drehbuch gewürdigt werden, das auf dem Buch «Guantanamo Diary» von Mohamedou Ould Salahi (gespielt von Rahim) basiert.
«The Mauritanian» kommt am 24. Juni 2021 in die Schweizer Kinos.
14. «News of the World» von Paul Greengrass
«News of the World» ist einer jener Filme, die aufgrund der Pandemie von einem Kinostart absahen und stattdessen direkt auf Netflix landeten. Tom Hanks und «Systemsprenger»-Breakout Helena Zengel spielen zwei verlorene Seelen, die Mitte des 19. Jahrhunderts durch die texanische Prärie reiten und der lokalen Bevölkerung die Nachrichten aus aller Welt vorlesen. Die zwölfjährige Deutsche wurde für ihre Rolle bereits für den Golden Globe nominiert, eine Oscar-Nominierung könnte folgen. Auch Regisseur Paul Greengrass («Captain Phillips») dürfte sich Chancen ausrechnen, sowohl für die Regie als auch fürs Drehbuch. Nominierungen für die Kamera, das Kostümdesign, das Production Design und die Filmmusik sind sogar wahrscheinlich.
«News of the World» ist seit dem 10. Februar 2021 auf Netflix Schweiz zu sehen.
13. «Borat Subsequent Moviefilm» von Jason Woliner
14 Jahre ist es her, seit Sacha Baron Cohen für seine Darbietung als Borat mit einem Golden Globe ausgezeichnet und das Drehbuch von «Borat» für einen Oscar nominiert wurde. So wie es aussieht, könnte sich diese Erfolgsgeschichte dieses Jahr mit dem Sequel wiederholen – oder diejenige von 2007 sogar übertrumpfen. Besonders Cohens Co-Star Maria Bakalova wird als heisse Kandidatin (pun intended) im Nebendarstellerinnen-Rennen gehandelt; das Drehbuch dürfte nominiert werden, möglicherweise auch «Wuhan Flu» als Bester Song. What a time to be alive.
«Borat Subsequent Moviefilm» ist seit dem 23. Oktober 2020 auf Prime Video zu sehen.
12. «Da 5 Bloods» von Spike Lee
Spike Lee hat bereits etliche Filmklassiker erschaffen, von «Do the Right Thing» (1989) über «Malcolm X» (1992) bis hin zu «25th Hour» (2002). Seinen ersten Oscar gewann der Mann aber erst vor zwei Jahren für das «BlacKkKlansman»-Drehbuch. «Da 5 Bloods», ein furioses Buddy-Abenteuerdrama über Vietnam-Traumata und eine etwas andere Schatzsuche, dürfte einen etwas schwereren Stand haben als Letzterer, könnte aber insbesondere für Lees Regie, Hauptdarsteller Delroy Lindo, Nebendarsteller Chadwick Boseman oder die Kamera gewürdigt werden.
«Da 5 Bloods» ist seit dem 12. Juni 2020 auf Netflix Schweiz zu sehen.
11. «Soul» von Pete Docter
Der einzige animierte Anwärter, der reelle Chancen auf eine «Beste Picture»-Nominierung hat, kommt aus dem Hause Pixar (natürlich). Mit der Seelenwanderung «Soul», der hierzulande nach längerem Zögern auf Disney+ veröffentlicht wurde, will das Studio die «Inside Out»-Magie wieder einfangen. Der Funke könnte bei der Academy deshalb insbesondere beim Originaldrehbuch, dem Sound und den visuellen Effekten überspringen. In den Kategorien «Bester Animationsfilm» und «Beste Filmmusik» ist der Film gar Kronfavorit.
«Soul» ist seit dem 25. Dezember 2020 auf Disney+ zu sehen.
10. «Sound of Metal» von Darius Marder
«Sound of Metal», der Gewinner des Spielfilmwettbewerbs am Zurich Film Festival 2019, kam als Oscar-Anwärter ein wenig aus dem Nichts, als er Anfang Dezember auf Amazon Prime Video veröffentlicht wurde. Zunächst heimste Nebendarsteller Paul Raci einige Kritikergilde-Preise ein; nun hat sich Darius Marders Film über einen Schlagzeuger, der sein Gehör verliert, aber auch in den Kategorien «Bester Hauptdarsteller» (Riz Ahmed), «Originaldrehbuch», «Schnitt», besonders aber in der «Sound»-Kategorie als durchaus glaubwürdiger Kandidat etabliert.
«Sound of Metal» ist seit dem 4. Dezember 2020 auf Prime Video zu sehen.
9. «Ma Rainey’s Black Bottom» von George C. Wolfe
Viola Davis beweist in ihrer Rolle als Blues-Legende Ma Rainey einmal mehr, dass sie eine der talentiertesten, mutigsten und vielseitigsten Charakterdarstellerinnen unserer Zeit ist. 2017 wurde sie für ihre Rolle in «Fences» ausgezeichnet, eine zweite Trophäe liegt in Reichweite. Mehr als nur in Reichweite – er berührt sie schon fast – ist die Trophäe für den im vergangenen Sommer verstorbenen Chadwick Boseman als Bester Hauptdarsteller, der hier eine letzte wundervolle und emotionale Darbietung ablieferte. Beim adaptierten Drehbuch, dem Kostümdesign, dem Makeup und Hairstyling, dem Setdesign sowie dem Sound mischt «Ma Rainey’s Black Bottom» ebenfalls ganz vorne mit.
«Ma Rainey’s Black Bottom» ist seit dem 18. Dezember 2020 auf Netflix Schweiz zu sehen.
8. «Judas and the Black Messiah» von Shaka King
«Judas and the Black Messiah» profitiert vom verlängerten Zeitraum für sich zu qualifizierende Filme, die aufgrund der Pandemie um zwei Monate von Ende Dezember auf Ende Februar verlängert wurde. Der Film über die Black Panthers und den Civil-Rights-Leader Fred Hampton feierte im Januar am virtuellen Sundance-Festival Premiere und ist somit einer der aktuellsten Filme in diesem Bunde. Besonders auftrumpfen im Film kann Daniel Kaluuya («Get Out») als Hampton, der mit grosser Wahrscheinlichkeit für seine Rolle mit dem Goldmännchen als bester Nebendarsteller ausgezeichnet wird. Auch das Originaldrehbuch, Nebendarstellerin Dominique Fishback («The Deuce»), die Kamera, und der Song «Fight for You» von H.E.R. sind mögliche Oscar-Optionen.
«Judas and the Black Messiah» hat noch keinen offiziellen Schweizer Starttermin.
7. «One Night in Miami» von Regina King
Es wäre nicht überraschend, wenn unsere Zeit als Regina–King-Ära in die Geschichte eingehen würde. Die gelernte Schauspielerin dominiert seit 2015 das Awards-Gelände: Vier gewonnene Emmys, vier Golden-Globe-Nominierungen, davon ein Gewinn, und ein Oscar für ihre Rolle in «If Beale Street Could Talk» (2018). Nun mischt sie ganz vorne mit, nicht als Schauspielerin, sondern als Regisseurin: «One Night in Miami» feierte im September in Venedig Premiere. Das historisch verbriefte, aber wohl stark fiktionalisierte Aufeinandertreffen von Malcolm X, Cassius Clay, Jim Brown und Sam Cooke könnte auch für Leslie Odom Jr. (als Cooke), den von ihm gesungenen Song «Speak Now» sowie für das adaptierte Drehbuch mit einer Oscar-Nominierung enden.
«One Night in Miami» ist seit dem 15. Januar 2021 auf Prime Video zu sehen.
6. «The Father» von Florian Zeller
Auch Olivia Colman («The Favourite», «Fleabag») ist momentan eine der gefragtesten Schauspielerinnen. In «The Father» spielt sie die Tochter eines demenzkranken Mannes (Anthony Hopkins), der nach und nach die Orientierung in seinem Leben verliert. Unterstützt wird dieses Gefühl der Orientierungslosigkeit durch die nuancierte Regie von Florian Zeller und den cleveren Schnitt. Nominationen für die meisterhaften Darbietungen von Colman und Hopkins, das adaptierte Drehbuch und den Schnitt liegen nahe.
«The Father» kommt am 20. Mai 2021 in die Schweizer Kinos.
5. «Mank» von David Fincher
Einst gehandelt als der Film schlechthin, den es im Oscarrennen zu schlagen gilt – dank Hollywood-naher Thematik und der Tatsache, dass Meisterregisseur David Fincher («Se7en», «The Social Network») Regie führte –, wurde «Mank» inzwischen von diversen anderen Filmen überholt. Dennoch ist die Aufarbeitung des Drehbuchprozesses hinter «Citizen Kane» (1941) immer noch eine Tour-de-force, das man nicht aussen vor lassen sollte. Nominierungen sind wahrscheinlich in den Kategorien «Beste Regie», «Bester Hauptdarsteller» (Gary Oldman), «Beste Nebendarstellerin» (Amanda Seyfried), «Bestes Originaldrehbuch», «Beste Kamera», «Bestes Kostümdesign», «Bestes Production Design» und «Beste Filmmusik». Nicht ganz überraschend wäre es, wenn der Film den «The Curious Case of Benjamin Button»-Weg als Film mit den meisten Nominierungen einschlagen würde, nur um dann bei der Verleihung so gut wie leer auszugehen. Und wer führte Regie bei «Benjamin Button»? David Fincher.
«Mank» lief in den Schweizer Kinos und ist seit dem 4. Dezember 2020 auf Netflix Schweiz zu sehen.
4. «Promising Young Woman» von Emerald Fennell
Die zahlreichen Golden-Globe-Nominierungen haben «Promising Young Woman» auf den vierten Rang katapultiert. Es war schwierig vorherzusagen, wie männlich dominierte Jurys auf ein feministisches Thrillerdrama reagieren würden. Wie sich herausgestellt hat, war zumindest das Globes-Gremium HFPA ein grosser Fan des Films. So wurde Emerald Fennell, die hier ein fulminantes Langfilmdebüt abliefert, gleich zweimal nominiert, für Drehbuch und Regie, ebenso Carey Mulligan («The Dig»), die bereits überfällig ist für einen Oscar. Ebenfalls im Rennen um einen Oscar ist der Film allermindestens in den Kategorien «Schnitt» und «Kostümdesign».
«Promising Young Woman» hat noch keinen offiziellen Schweizer Kinostart.
3. «Minari» von Lee Isaac Chung
«Minari» könnte der diesjährige «Parasite» (2019) sein. Obwohl das Drama um eine Einwandererfamilie in den Achtzigerjahren eine amerikanische Produktion ist, wird mehrheitlich koreanisch gesprochen, weshalb der Film bereits den Golden Globe als «Bester fremdsprachiger Film» gewann. Bei den Oscars ist «Minari» aus administrativen Gründen nicht im Rennen um den besten internationalen Film dabei (die USA nehmen in dieser Kategorie nicht teil). Dafür wird die Liebe für dieses kleine Meisterwerk wohl in andere Kategorien überschwappen, insbesondere für Regisseur Lee Isaac Chung, Hauptdarsteller Steven Yeun («Burning», «The Walking Dead»), Youn Yuh-jung in der Grossmutter-Nebenrolle, das Originaldrehbuch, die Kamera und die Filmmusik.
«Minari» kommt am 8. April 2021 in die Schweizer Kinos.
2. «The Trial of the Chicago 7» von Aaron Sorkin
«The Trial of the Chicago 7» ist der konventionellste Film im Bunde und derjenige Film, der vor 20 Jahren ziemlich sicher den Oscar für den besten Film gewonnen hätte. Doch Zeiten ändern sich, und so ist die zweite Regiearbeit von Drehbuchautor Aaron Sorkin («Molly’s Game», «The West Wing») über den Gerichtsprozess gegen die Demonstranten bei der Democratic National Convention 1968 vergleichsweise eher farblos. Trotzdem hat Sorkin gebündeltes Talent versammelt, und so werden sich – verdientermassen – Sorkin selber für Regie und Originaldrehbuch, Nebendarsteller Sacha Baron Cohen und Mark Rylance, die Kameraarbeit, der Schnitt und der Filmsong («Hear My Voice» von Celeste) wohl zu den Nominierten zählen dürfen.
«The Trial of the Chicago 7» lief in den Schweizer Kinos und ist seit dem 16. August 2020 auf Netflix Schweiz zu sehen.
1. «Nomadland» von Chloé Zhao
Spätestens nach der Golden-Globe-Verleihung gilt das Drama «Nomadland» als der übermächtige Favorit auf den Hauptpreis des Oscar-Abends. Der dritte Langspielfilm von Chloé Zhao («The Rider»), über eine zum Nomadentum gezwungene Witwe, ist eine Perle und wird Zhao vermutlich auch den Oscar für die beste Regie einbringen. Sie wäre nach Kathryn Bigelow («The Hurt Locker», «Detroit») erst die zweite Frau, der diese Ehre zuteil wird. Auch Frances McDormand («Three Billboards Outside Ebbing, Missouri»), Zhaos adaptiertes Drehbuch, Joshua James Richards‘ Kameraarbeit und Zhaos Schnitt können sich auf Nominierungen freuen.
«Nomadland» ist ab dem 8. April in den Deutschschweizer Kinos zu sehen.
–––
Die 93. Academy Awards finden in der Nacht auf Montag, 26. April 2021, statt. Die Nominierungen werden am Montag, 15. März bekannt gegeben.
–
Titelbild aus dem Film «Nomadland». © The Walt Disney Company Switzerland. All Rights Reserved.
No Comments