«African Mirror» leistet wichtige Dekolonisierungsarbeit: Subtil und geschickt dekonstruiert Mischa Hedingers Dokumentarfilm nicht nur die Person des Schweizer Reisejournalisten René Gardi, sondern auch das widersprüchliche, verzerrte Afrika-Bild, das bis heute in den Schweizer Köpfen existiert. Dabei verzichtet er gänzlich auf wertende Kommentare, sondern lässt Gardis Bilder und Texte für sich selbst sprechen.
Bis zum heutigen Tag rühmt sich die Schweiz gerne damit, dass sie mit Kolonialismus, Sklaverei und Rassismus nie etwas zu tun hatte. Schliesslich, so heisst es, besass die Nation selbst keine Kolonien und bereicherte sich auch nicht am lukrativen Dreieckshandel über den Atlantik. Dass solche Ansichten keineswegs der Wahrheit entsprechen, zeigen inzwischen viele Studien – darunter auch Bücher wie Hans Fässlers «Reise in Schwarz-Weiss: Schweizer Ortstermine in Sachen Sklaverei» oder Patricia Purtschers «Postkoloniale Schweiz: Formen und Folgen eines Kolonialismus ohne Kolonien», welche eindringlich aufdecken, wie die Schweiz durchaus gewinnbringend in Sklavenhandel und kolonialen Ambitionen involviert war. Mischa Hedingers Dokumentarfilm «African Mirror» leistet einen weiteren wichtigen Beitrag zur Aufklärungsarbeit: Er zeigt, dass sich Kolonialismus nicht nur in Enteignung, Unterdrückung und Gewalt in fernen Ländern äussert, sondern auch im gemütlichen schweizerischen Wohnzimmer stattfindet.
Fokus von Hedingers subtiler Studie ist der Berner Schriftsteller, Fotograf und Filmemacher René Gardi (1909–2000) – während vieler Jahre ein wohlbekanntes Gesicht in Schweizer Haushalten. Denn in seinem Schaffen, besonders in den 1950er und 1960er Jahren, lieferte Gardi – «Inbegriff des sympathischen Reiseschriftstellers» und «Afrika-Experte» –, was die Schweiz begehrte: Einblicke in das Leben der «Hinterwäldler» Kameruns, der «edlen Wilden», der «unberührten» Afrikaner, die wenig besassen und dennoch reich im Herzen waren. Gardi selbst bezeichnete Afrika als sein «Traumland» – eine Aussage, die bereits die Widersprüche seines Vorhabens offenbart: Gardi sprach – trotz seiner Bewunderung meist paternalistisch und herablassend – über Menschen, ohne diese selbst zu Wort kommen zu lassen und beorderte sie als dekorative, lautlose Figuren in den Hintergrund seiner Narrative. So projizierte er seine eigenen Vorstellungen, Wünsche und Ängste auf einen Kontinent, der in dieser Form nie existierte – und schuf Bilder und Assoziationen, die bis heute in den Köpfen der Schweizer Bevölkerung weiterspuken.
«So projizierte Gardi seine eigenen Vorstellungen, Wünsche und Ängste auf einen Kontinent, der in dieser Form nie existierte – und schuf Bilder und Assoziationen, die bis heute in den Köpfen der Schweizer Bevölkerung weiterspuken.»
Als Erzähler hält sich Hedinger geschickt im Hintergrund, arbeitet ausschliesslich mit Archivmaterial aus Gardis Nachlass und lässt Bilder, Ton und Texte unkommentiert. Die entstandenen Collagen und visuellen Dialoge sprechen allerdings für sich selbst: Gardi, der die Bewohner Mandaras in der fasziniert-distanzierten Bildsprache einer Tierdokumentation festhält. Gardi, der Schauspieler bezahlt, damit sie für ihn «traditionelle» Sequenzen inszenieren. Gardi, der davon träumt, ihr Land einzuzäunen, damit sie unberührt blieben von jeglichem europäischen Einfluss. Gardi, der sich vor ihren Essgewohnheiten ekelt und verkündet, niemals mit ihnen am Tisch sitzen zu wollen. Gardi, der davon schwärmt, dass die Schweiz einmal vielleicht selbst in Besitz einer Kolonie gelangen könnte.
Fetischisierung des «Anderen»
Nach und nach ergibt sich aus den Aufnahmen das komplexe Bild eines Mannes, seines Einflusses und seiner Symbolkraft. Gardi träumte den Traum der kolonialen Schweiz und malte das Bild eines Afrikas voller Widersprüche: Edel und zurückgeblieben, schön und abstossend, arm und voller erstrebenswertem Reichtum, ideal in seiner scheinbaren Unberührtheit, doch auf europäische Verbesserung angewiesen. Gardis Bewunderung enttarnt sich so von selbst als Fetischisierung des «Anderen», seine Ansichten als tief geprägt von kolonialen und rassistischen Diskursen. Selbst in seinen wohlmeinendsten Momenten tritt Gardi seinen Forschungsobjekten nicht als Menschen gegenüber – sondern eben als Objekten, als niederen Wesen, die studiert und idealisiert, aber eben auch bevormundet und belächelt werden.
«Es ist zu wünschen, dass der Film zu weiteren Debatten über Schokoküsse, Urlaubsfantasien, Polizeikontrollen und Flüchtlingspolitik anregt.»
Hedingers Film ist komplexeste Archiv- und Aufarbeitungsarbeit, die es allerdings dem Publikum überlässt, Parallelen zur heutigen Zeit zu ziehen und sich selbst den Spiegel vorzuhalten. Es ist zu wünschen, dass der Film zu weiteren Debatten über Schokoküsse, Urlaubsfantasien, Polizeikontrollen und Flüchtlingspolitik anregt – und dass Hedingers Film nur ein weiterer Grundstein für die dringend notwendige Dekolonisierungsarbeit der Schweizer Vergangenheit und Gegenwart bildet.
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Kinostart Deutschschweiz: 14.11.2019
Filmfakten: «African Mirror» / Regie: Mischa Hedinger / Schweiz / 84 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Outside the Box
Mischa Hedinger hält der Schweiz den postkolonialen Spiegel vor: Ohne belehrende Urteile deckt er auf, wie sich koloniales Gedankengut bis in die heutige Gesellschaft zieht.
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