In «After the Hunt» erzählt Luca Guadagnino eine #MeToo-Geschichte der anderen Art: Statt über klare Opfer-Täter*innen-Konstellationen spricht der Film die moralischen Grauzonen von Macht, Karriere und Gerechtigkeit an.
Spätestens als die #MeToo-Bewegung Ende 2017 ins öffentliche Bewusstsein rückte und die Diskussion um «Cancel Culture» an Fahrt gewann, begann auch das Kino, sich diesem Thema anzunehmen. Filme wie «She Said» (2022) und «Promising Young Woman» (2020) nähern sich dem zugrunde liegenden Konflikt recht direkt: Sie erzählen von Menschen, oft Frauen aus marginalisierten Gruppen, denen nicht geglaubt wird. Und von Tätern in Machtpositionen, die mit ihren Übergriffen davonkommen. Ein Muster, das leider auch jenseits der Leinwand noch immer zu vertraut wirkt.
Vor diesem Hintergrund scheint Luca Guadagninos neuester Film zunächst nahtlos in die Reihe solcher #MeToo-Erzählungen zu passen. Doch mit «After the Hunt» schlägt der Regisseur von «Call Me by Your Name» (2017) und «Challengers» (2024) einen anderen Weg ein. Er interessiert sich weniger für klare Fronten als für die Graubereiche dazwischen.

Julia Roberts und Andrew Garfield in «After the Hunt» / © Amazon MGM Studios
Alma (Julia Roberts) ist eine jener Frauen, die sich ihren Platz an der Spitze hart erarbeitet haben. In einem von Männern geprägten akademischen Umfeld steht sie kurz davor, als jüngste Professorin eine permanente Festanstellung an der renommierten Yale University zu erhalten. Ihr stärkster Konkurrent ist Hank (Andrew Garfield), ein langjähriger Freund und Kollege, zu dem sie ein enges – vielleicht ein wenig zu enges – Verhältnis pflegt. Und dann ist da Maggie (Ayo Edebiri), eine ihrer talentiertesten Studentinnen, die Alma mit einer Mischung aus Bewunderung und Unsicherheit begegnet. Diese Konstellation verdichtet sich eines Abends im Zuhause von Alma und ihrem Ehemann Frederik (Michael Stuhlbarg).
Kurz nach dieser Zusammenkunft steht Maggie in Tränen aufgelöst vor Almas Tür und wirft Hank sexuelle Belästigung vor. Was danach geschieht, bleibt bewusst fragmentarisch. Hank verliert seine Stelle – eine Entscheidung, die Alma selbst zunehmend aus dem Gleichgewicht bringt. Zwischen einem Freund, der verzweifelt seine Unschuld beteuert, und den institutionellen Erwartungen, die über ihrer eigenen Karriere schweben, gerät sie in einen gefährlichen Balanceakt.
«Die übliche Frage danach, ob die Tat tatsächlich geschehen ist, rückt in ‹After the Hunt› schnell in den Hintergrund.»
Die übliche Frage danach, ob die Tat tatsächlich geschehen ist, rückt in «After the Hunt» schnell in den Hintergrund. Stattdessen stellen Guadagnino und Drehbuchautorin Nora Garrett die Weichen auf eine Weise, die ein komplizierteres Beziehungsgeflecht zulässt. Was, wenn das Opfer zwar einer marginalisierten Gruppe angehört, zugleich aber über einen sozialen Status verfügt, der die Machtverhältnisse verschieben kann? Was, wenn die Professorin, die sich ihren Aufstieg mühsam erkämpft hat, in ihrer Position selbst zur Ausübenden von Macht – und damit potenziell zur Unterdrückenden – wird? Und was bedeutet es, wenn dieselbe Frau einst auf der gegenüberliegenden Seite dieses Gefüges stand?

Julia Roberts in «After the Hunt» / © Amazon MGM Studios
Tatsächlich erinnert der Ansatz an «Tár» (2022), Todd Fields oscarnominiertes Werk, das seine moralischen Grauzonen bewusst offen lässt und dem Publikum zutraut, eigene Schlüsse zu ziehen. Gerade diese interpretative Freiheit wurde vielfach gelobt. Im direkten Vergleich werden jedoch die Schwächen von «After the Hunt» sichtbar. Der Film möchte ähnliche Komplexität und Offenheit erreichen, engt sie aber durch überdeutliche Führung ein. Statt das Publikum in moralischer Schwebe zu lassen, kommentiert und lenkt er, sodass wenig Raum für eigene Deutungen bleibt. Die vielen Ebenen – Macht, Gerechtigkeit, Schuld, soziale und geschlechtliche Dynamiken – fügen sich zu einem überkontrollierten Narrativ zusammen, das eher berechenbar als riskant wirkt.
«Statt das Publikum in moralischer Schwebe zu lassen, kommentiert und lenkt er, sodass wenig Raum für eigene Deutungen bleibt.»
Doch auch wenn der Film seiner eigenen Ambition nicht vollständig gerecht wird, ist er vor allem eines: fesselnd. Guadagnino bedient sich der klassischen Mittel eines Thrillers: intensive Close-ups, ein treibender, zugleich minimalistischer Soundtrack, ein Sounddesign, das unweigerlich Spannung aufbaut, eine Erzählweise, die dem Publikum nur tröpfchenweise mehr über die Protagonist*innen preisgibt. «After the Hunt» mag nicht der intellektuell anspruchsvollste Film des Jahres sein, doch er ist einer, der Gesprächsstoff liefert – perfekt für ein gemeinsames Anschauen mit Freund*innen, gefolgt von einer Deep-Talk-Runde über die Fragen, die unsere Gesellschaft bewegen.
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Filmfakten: «After the Hunt» / Regie: Luca Guadagnino / Mit: Julia Roberts, Ayo Edebiri, Andrew Garfield, Michael Stuhlbarg, Chloë Sevigny / USA / 139 Minuten
Bild- und Trailerquelle:
«After the Hunt» ist ein fesselnder #MeToo-Thriller über Macht, Moral und gesellschaftliche Grauzonen – auch wenn er das Publikum zu sehr an der Hand nimmt, statt ein Risiko einzugehen.











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