Elvis Presley geht auf Verbrecherjagd: Es ist eine schrille Prämisse, mit der die neue animierte Netflix-Serie «Agent Elvis» das Publikum anlocken will. Schade nur, dass sie sonst nicht sonderlich viel zu bieten hat.
Im Februar dieses Jahres veröffentlichte der deutsche Filmemacher Dominik Graf («Fabian oder Der Gang vor die Hunde») ein erhellendes Essay über den Begriff «Content» und seinen profunden Einfluss auf das aktuelle internationale Film- und Fernsehschaffen. Content, so Graf, sei Kunst, die sich quasi in vorauseilendem Gehorsam maximal effizient an die kapitalistische Realität anpasst: «tote Konzeptmasse, mit der man den Geldgeber:Innen und später den Zuschauern imponieren kann. Eine Kiste mit Aufschrift, die zumeist auf einen segmentierten Markt zielt, Fernsehen oder Kino ganz egal, nach Video-Schubladen geordnet, weit über die klassischen Genres hinaus säuberlich in Interessengebiete getrennt.»
Rund einen Monat später gab Netflix, als ob es der Auffassung war, Grafs Streitschrift verfüge noch über zu wenige Anschauungsbeispiele, die erste Staffel seiner neuen Animationsserie «Agent Elvis» zum Streaming frei. In der von Priscilla Presley und John Eddie konzipierten, von John Eddie und Mike Arnold entwickelten Serie führt Elvis Presley – ja, Jahrhundert-Popstar und Priscilla-Presley-Ex-Mann Elvis Presley – in den späten Sechziger- und frühen Siebzigerjahren ein Doppelleben als Geheimagent, der für eine nebulöse Organisation die Welt vor dem Bösen bewahrt. Es ist fürwahr eine Prämisse, «mit der man den Geldgeber:Innen und später den Zuschauern imponieren kann». James Bond, aber mit Elvis – die ungläubigen Tweets, mit denen der Netflix-Teppichetage Mund-zu-Mund-Propaganda und popkulturelle Relevanz vorgegaukelt werden kann, schreiben sich praktisch von selbst.
Man muss fairerweise sagen, dass das an sich nichts grundsätzlich Verwerfliches ist: In der gegenwärtigen Kulturlandschaft mit ihrer anhaltenden Franchisenliebe reüssieren oft gerade jene «nischigeren» Projekte, die mit poppigen Ideen und ausgefallenen Versatzstück-Kombinationen auf sich aufmerksam machen: Der beeindruckende Oscar-Siegeszug von «Everything Everywhere All at Once» (2022) spricht Bände.
Die Voraussetzung für so einen Erfolg ist aber, dass sich hinter der schrillen Pitch-Fassade mehr verbirgt, als sich auf den ersten Blick erkennen lässt – dass die Prämisse, die das Interesse auf die Affiche lenkt, nicht gleichzeitig das ist, was das Publikum bei der Stange halten soll.
«Weit über die durchaus amüsante Grundidee, eine der ikonischsten Persönlichkeiten der letzten 100 Jahre auf Verbrecherjagd zu schicken, scheint hier niemand hinausgedacht zu haben.»
Doch genau darin liegt das grosse Problem von «Agent Elvis»: Weit über die durchaus amüsante Grundidee, eine der ikonischsten Persönlichkeiten der letzten 100 Jahre auf Verbrecherjagd zu schicken, scheint hier niemand hinausgedacht zu haben. Jede der zehn Episoden verläuft nach dem mehr oder weniger gleichen Schema: Elvis (gesprochen von Matthew McConaughey) und seine Entourage – darunter sein trotteliger Fahrer Bobby Ray (Johnny Knoxville), sein gewalttätiger und kokainabhängiger Affe Scatter (SpongeBob-Darsteller Tom Kenny) sowie die junge 68erin und Eliteagentin CeCe (Kaitlin Olson) – suchen irgendein bedrohliches MacGuffin-Objekt in einem «typischen» Siebzigerjahre-Setting, landen dank einer Reihe von Streitereien, Schusseligkeiten und unglücklichen Zufällen in der Bredouille und schiessen und prügeln sich schliesslich frei. Und hie und da schauen auch noch CeCes zwielichtiger, sexhungriger Boss (Don Cheadle) und der verrückte Erfinder Howard Hughes (Jason Mantzoukas) vorbei.
In diesem Rahmen deutet «Agent Elvis» berühmt-berüchtigte Ereignisse aus den letzten zehn Jahren von Elvis‘ Leben zu Teilen einer weltumspannenden Verschwörung um: Der Mörderkult um Charles Manson steht hier in Zusammenhang mit dem tödlichen Ausgang des Altamont-Musikfestivals und den Kriegseskalationen in Vietnam; Elvis‘ bizarrer Besuch bei US-Präsident Richard Nixon wird zum Ablenkungsmanöver in geheimer Mission; und was es mit Stanley Kubrick und der Mondlandung auf sich hat, wird auch noch gleich geklärt.
Das könnte einigermassen funktionieren – sogar das repetitive Samstagmorgen-Cartoon-Format –, wenn die Serie nicht mit so wenig zufrieden wäre. Der Humor ist das beste Beispiel: Man wird den Eindruck nicht los, dass Presley, Eddie und Arnold darauf bauen, dass der schiere Anblick von Elvis in einem Agentenplot dermassen lustig ist, dass so ziemlich alles, was er in diesem Kontext macht, das Publikum ebenfalls zum Lachen bringt. Das würde jedenfalls erklären, warum Witze, wenn überhaupt, nur in ihrer rudimentärsten Form stattfinden: Anspielungen auf die zeitgenössische Kultur, sexuelles Vokabular, spritzendes Blut, Schimpfwörter und Klischee-Kalauer wie «That’s gonna leave a mark» werden willkürlich in den Raum gestellt, ohne dass ein klar erkennbarer Gag darum herumgebaut worden wäre – als würden durchschossene Schädel, ein windeltragender Affe oder das Wort «Penis» ganz von allein Lacher generieren.
«Spätestens nach der dritten Szene, die nicht einmal mit dem Versuch eines Witzes endet, fragt man sich, ob hier der ‹Punch-up› – also jene gängige Phase des Comedy-Drehbuchprozesses, in der Komödiant*innen das Gagmaterial aus- und aufbessern – gänzlich übersprungen wurde.»
So unübersehbar es auch sein mag, dass sich Chef-Autor Mike Arnold seine Sporen bei der absurden FX-Agentenserie «Archer» (2009– ) abverdiente: «Agent Elvis» verhält sich in Sachen Humor geradezu stümperhaft. Spätestens nach der dritten Szene, die nicht einmal mit dem Versuch eines Witzes endet, fragt man sich, ob hier der «Punch-up» – also jene gängige Phase des Comedy-Drehbuchprozesses, in der Komödiant*innen das Gagmaterial aus- und aufbessern – gänzlich übersprungen wurde.
Unter solchen Vorzeichen haben es alle anderen Beteiligten umso schwerer. Matthew McConaughey kokettiert genüsslich mit seinem Texas-Drawl, bleibt aber gefangen in einer inkonsistent geschriebenen Elvis-Figur, die in erster Linie die Projektionsfläche eines Autor*innen-Teams ist, das sich krampfhaft darum bemüht, die konservativen Tendenzen des historischen Elvis in einer arrogant-sympathischen Hauptfigur unterzubringen. «It’s Always Sunny in Philadelphia»-Star Kaitlin Olson wiederum kämpft mit einer hoffnungslos stereotypen Figur, bei der sich die männerdominierten Drehbücher ganz besonders bemerkbar machen.
Und selbst die passioniertesten Akteure im Bunde können sich nicht profilieren: Don Cheadle geht zwar, wie schon im furchtbaren «Space Jam: A New Legacy» (2021), bewundernswert energisch zur Sache, derweil Jason Mantzoukas sein Bestes gibt, Howard Hughes so zu spielen, dass die Parallelen zu Rick Sanchez aus «Rick and Morty» (2013– ) nicht allzu dreist wirken – doch die beiden bleiben auf den schwächsten Witzen der ganzen Staffel sitzen.
Ja, sogar der Animation tun die Autor*innen keinen Gefallen. Obwohl «Agent Elvis» die vielversprechende Zusammenarbeit von Sony Pictures Animation («Spider-Man: Into the Spider-Verse»), Titmouse, Inc. («Big Mouth», «Animaniacs») und dem oscarnominierten kanadischen Animator Robert Valley («Æon Flux», «Love, Death & Robots») ist, kann sich dieses formidable Trio kaum im grossen Stil austoben. Hier ein Faustkampf im Anime-Stil, dort eine rasante Bildabfolge mit Comic-Panels – doch am Ende läuft eben doch alles wieder auf die ewig gleichen Blutspritzer hinaus.
Zugegeben, ganz alles darf man Mike Arnold und seinen Mitarbeiter*innen nicht in die Schuhe schieben, denn das schlichte Figuren- und Setdesign wirkt auch unabhängig vom Inhalt der Serie nach ein paar Episoden nicht mehr ganz so ästhetisch-minimalistisch, sondern eher schablonenhaft und fliessbandartig.
Doch Schablone und Fliessband passen im Grunde zu «Agent Elvis»: Hier hampeln ein paar Figuren-Scherenschnitte vor einer publikumswirksamen Kulisse herum, die, so scheint es, im Schnelldurchlauf mit populären Elementen aus anderen Serien bestückt wurde, in der Hoffnung, die Mischung werde sich schon zu einem stimmigen Ganzen zusammenfügen. Herausgekommen ist jedoch ein Frankenstein’sches Stück Content, das so wirkt, als hätte jemand Dominik Grafs Essay als Herausforderung verstanden.
Über «Agent Elvis» wird auch in Folge 57 des Maximum Cinema Filmpodcasts diskutiert.
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Jetzt auf Netflix Schweiz
Serienfakten: «Agent Elvis» / Creators: Mike Arnold, John Eddie, Priscilla Presley / Mit: Matthew McConaughey, Kaitlin Olson, Johnny Knoxville, Tom Kenny, Don Cheadle, Jason Mantzoukas, Priscilla Presley / USA / 10 Episoden à 23–26 Minuten
Bild- und Trailerquelle: COURTESY OF NETFLIX © 2023
Netflix versucht sich wieder einmal an «erwachsener» Animation – und zielt weit daneben. «Agent Elvis» ist eine ungeschickte Comedy-Serie, bei der man die Lacher an einer Hand abzählen kann.
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