Mit «Alien: Earth» wagt sich der preisgekrönte Serienschöpfer Noah Hawley an eine heilige Kuh des Horror- und Science-Fiction-Genres: Der Xenomorph kommt erstmals auf unseren Heimatplaneten und sorgt für viel Unruhe.
Der Auftakt lässt staunen: Jede Episode startet mit einer opulenten Montagesequenz als Intro, begleitet von dröhnend-bombastischer Musik – mehr Ouvertüre als Vorspann. Diese Stimmung bleibt; alle Folgen sehen visuell gewaltig aus. Anstatt sich wie das Original – Ridley Scotts «Alien» (1979) – auf kleine Handlungen im abgeschlossenen Raum zu fokussieren, bietet «Alien: Earth» zu Beginn erst ein breites Panorama an Figuren und Schauplätzen.
Im Zentrum steht die junge Wendy (Sydney Chandler), die an einer unheilbaren Krankheit leidet. Ihre Eltern treffen darum die schwierige Entscheidung, mithilfe der ominösen Firma Prodigy das Bewusstsein ihrer jungen Tochter in einen künstlichen Körper transferieren zu lassen. Wendy ist nicht die einzige mit diesem Schicksal, aber die erste. Nachdem sie in ihrem neuen erwachsenen Körper aufwacht, koordiniert sie zusammen mit dem Androiden Kirsh (Timothy Olyphant) den Prozess einiger anderer Kinder.
Derweil sorgt eine geheime Forschungsmission des Konzerns Weyland-Yutani für Unruhe. Das Raumschiff mit gefährlichem Inhalt gerät kurz vor Ziel Erde auf einen Fehlkurs und stürzt ins Prodigy Village, wo auch Wendys menschlicher Bruder (Alex Lawther) arbeitet. Wendy möchte ihren Bruder retten. Das Raumschiff? Neu in der Gewalt des exzentrischen Prodigy-CEOs Boy Kavalier (Samuel Blenkin). An Bord war der Cyborg Morrow (Babou Ceesay), der nun den gefährlichen Forschungsinhalt für Weyland-Yutani zurückgewinnen will.

Sydney Chandler in «Alien: Earth» / © 2025 FX Productions, LLC. All Rights Reserved.
Das alles klingt zunächst etwas wirr. Man kann der Handlung aber gut folgen. Showrunner und Hauptautor Noah Hawley («Fargo», «Legion») gelingt es mit durchdachtem Erzähltempo und sorgfältiger Inszenierung, eine eindringliche Sci-Fi-Atmosphäre zu schaffen, ganz im Sinne des wegweisenden Originals.
Verwirrungspotenzial steckt auch in der Frage nach der Stellung der Serie im Franchise-Universum: «Alien:Earth» ist Prequel zu «Alien», Sequel zu Ridley Scotts eigenem Prequel «Prometheus» (2013) und Prequel zum Legacy-Sequel «Alien: Romulus» (2024) zugleich. Was ein chronologisches Durcheinander vermuten lässt und auf dem Papier selbst Hardcore-Fans Kopfschmerzen bereiten dürfte, ist aber schnell ausgestanden, denn «Alien: Earth» funktioniert problemlos als eigenständiges Werk. Wer sich (noch) nicht durch alle neun Filme gearbeitet hat, muss sich also keine Sorgen machen.
«Was das Original zum Kultstatus katapultierte, funktioniert auch heute noch.»
Inhaltlich behandelt das Sci-Fi-Wirrwarr die klassischen Genrethemen in einer eindrücklichen Breite: Es geht um das Verhältnis von Mensch und Technologie, die Hochmut des Fortschritts, die Weiterentwicklung des Bewusstseins, Verlustängste auf mehreren Ebenen. Wenig überraschend kommen dabei nicht alle Figuren gleich überzeugend zur Geltung: Einige dienen mehr als moralisches Sprachrohr für philosophische Diskurse, andere verlieren sich in bedeutungsschwachen Nebenhandlungen oder enden als Kanonenfutter für das titelgebende Alien-Monster, das nach wie vor der unbestrittene Trumpf des Franchise ist. In den Momenten, in denen die futuristischen Räume kalt und dunkel sind und der legendäre Xenomorph aus dem Schatten zuschlägt, liefert «Alien: Earth» Highlights in klassischer «Alien»-Manier – archaisches Grauen, purer Schrecken, die optimale Mischung von Body-Horror und Science-Fiction. Was das Original zum Kultstatus katapultierte, funktioniert auch heute noch.

Timothy Olyphant in «Alien: Earth» / © 2025 FX Productions, LLC. All Rights Reserved.
Zudem erdet der starke Cast die Geschichte. Sydney Chandler («Don’t Worry Darling») spielt Wendy mit einer einnehmenden Neugier, die von ihrem skeptischen Bruder ideal kontrastiert wird. Das Zusammenspiel der beiden verleiht der Serie immer wieder für emotionale Tiefe. TV-Star Timothy Olyphant («Deadwood», «Daisy Jones & the Six») wiederum passt als synthetischer Android wie angegossen und erinnert an hochkarätige Franchise-Vorgänger wie Michael Fassbender in «Prometheus» und «Alien: Covenant» (2017), während der talentierte Charakterdarsteller Samuel Blenkin («Peaky Blinders», «Mary & George») seinen moralisch fragwürdigen Tech-CEO wunderbar kindlich, exzentrisch und elektrisiert spielt.
«H. R. Gigers Designs sind nach wie vor treibende Kraft dieser Welt.»
Was also erst nach grosser Handlung mit noch grösseren Schauplätzen klingt, legt sich – ganz nach TV-Tradition – nach den ersten Folgen zu einem Kammerspiel, das nicht zuletzt von seinen Darsteller*innen lebt. Immerhin: Das Setdesign kann mit dem hohen Niveau des Kino-Franchise mithalten. Die klaustrophoben Forschungsräume wirken echt, das Alien zum Anfassen real, und all die blinkenden Sci-Fi-Knöpfe scheinen regelrecht darum zu bitten, gedrückt zu werden. H. R. Gigers Designs sind nach wie vor treibende Kraft dieser Welt.

Samuel Blenkin in «Alien: Earth» / © 2025 FX Productions, LLC. All Rights Reserved.
«‹Alien: Earth› ist kein bequemes Franchise-Schiff, wie man sie in letzter Zeit oft sieht – doch das ist gut so.»
Nach dieser ambitionierten ersten Staffel ist die Balance zwischen philosophischem Moralgedöns, Horror und erzählerischer Klarheit zwar noch nicht ganz ausgereift; vieles wirkt überfrachtet oder bemüht tiefgründig. Trotzdem bleibt die Spannung hoch und die Zuschauer*innen werden gefordert. So ist «Alien: Earth» sicherlich kein bequemes Franchise-Schiff, wie man sie in letzter Zeit oft sieht – doch das ist gut so. In der Ära von Remakes, Spin-offs und Cinematic-Universe-Grössenwahn dürfte man sogar noch etwas mehr wagen.
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Serienfakten: «Alien: Earth» / Creator: Noah Hawley / Mit: Sydney Chandler, Timothy Olyphant, Lily Newmark, Alex Lawther, Samuel Blenkin, Babou Ceesay, Jonathan Ajayi, Adarsh Gourav / USA / 8 Episoden à 45–64 Minuten
Bild- und Trailerquelle: FX
Der Xenomorph bekommt Heimweh und sorgt auf der Erde für Unruhe. Bildgewaltig, überladen, fast überzeugend. Wer Atmosphäre sucht, findet sie in «Alien: Earth» in Reinform.


							








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