Nach dem preisgekrönten Erfolg von «Egon Schiele: Tod und Mädchen» gelingt es Regisseur und Drehbuchautor Dieter Berner erneut, ein spannungsgeladenes Drama über das frühe 20. Jahrhundert zu schaffen. In «Alma und Oskar» wird die leidenschaftliche und zerstörerische Liebesbeziehung zwischen Alma Mahler und Oskar Kokoschka in den Zeiten der vornehmen Wiener Salons und der untergehenden Donaumonarchie in fantastischen Bildern porträtiert.
Alma (Emily Cox) ist die Ehefrau von Gustav Mahler (Marcello de Nardo), dem renommierten österreichischen Dirigenten und Komponisten, der in New York gerade seine neunte Sinfonie fertigstellt. Alma korrigiert, verfolgt die Proben im Auditorium und bleibt stets zwei Schritte hinter ihm. Ein Liebesbrief des aufstrebenden Berliner Architekten Walter Gropius (Anton von Lucke), an Gustav statt an Alma adressiert, bringt den 51-jährigen Komponisten aus der Fassung. Sie reagiert hingegen kühl:«Er ist ein Mann, ich bin eine Frau. Ich bin 31 und ich will leben, und er ist jung.» Mahlers Desinteresse an seiner Frau und ihrem musikalischen Talent lässt den Streit eskalieren, denn immerhin hat sie ihre Karriere als Komponistin zu seinen Gunsten aufgegeben, da solche künstlerischen Ambitionen einer Frau in dieser Epoche ja einfach nur peinlich wären.
Vier Monate später stirbt Mahler in Wien. Almas Stiefvater Carl Moll (Roland Koch) beauftragt den exzentrischen jungen Künstler Oskar Kokoschka (Valentin Postlmayr) damit, die Totenmaske anzufertigen. Dieser arbeitet nachts in Molls Villa daran, und als er dort Alma zum ersten Mal begegnet, ist es sofort um ihn geschehen.
Walter Gropius drängt Alma zur Heirat; sie erwidert, dass sie zuerst ihre eigenen Projekte vollenden möchte – und das geht nur als Witwe eines berühmten Mannes. Und als solche reicht ihr Einfluss in der Gesellschaft bis zum kaiserlichen Hof: Alma soll den Thronfolger Franz Ferdinand (Cornelius Obonya) auf Bitte von Carl Moll davon überzeugen, die Werke Kokoschkas in der modernen Kunstschau auszustellen. Der Erzherzog mag darüber fantasieren, den Künstler «alle Finger einzeln zu brechen, damit er nie wieder einen Pinsel in der Hand halten kann». Doch Alma argumentiert, dass das halt nichts für schwache Nerven sei, und dass guter Geschmack das Ende der Kunst bedeute. Der Erzherzog lässt sich überzeugen.
«Almas avantgardistischer Geist trifft auf Oskars künstlerische Derbheit, die gebildete, einflussreiche, etwas verruchte Dame auf den grobschlächtigen Egomanen, der keine fremden Götter neben sich duldet.»
Tatsächlich mischt Oskar mit seinen expressionistischen Werken ganz Wien auf und zählt sich selbst nicht zur Gruppe der Wiener Moderne – er ist die Wiener Moderne in Person, wie er mit seiner stark dialektgefärbten Sprache sagt. Symptomatisch auch seine Theaterinszenierung «Mörder, Hoffnung der Frauen»: geprägt von viel Nacktheit und Brutalität, ein einziger Eklat, und am Ende geht das ganze Bühnenbild in Flammen auf.
So entspinnt sich eine Amour fou: Almas avantgardistischer Geist trifft auf Oskars künstlerische Derbheit, die gebildete, einflussreiche, etwas verruchte Dame auf den grobschlächtigen Egomanen, der keine fremden Götter neben sich duldet. Und irgendwie sind da ja auch noch Walter Gropius und die letzte Sinfonie Gustav Mahlers im Spiel.
Alles in Bewegung
Regisseur Dieter Berner («Egon Schiele: Tod und Mädchen») hatte zuerst einen Erzählstrang über Alma und einen über Oskar geplant. Erst am Schneidetisch bemerkten er und seine Schnittmeister*innen Britta Nahler und Christoph Brunner, dass das so nicht funktionieren kann: In «Alma und Oskar» gibt es zwei gleich starke, sich gegenseitig beeinflussende Hauptfiguren. Die neue, im Schnittraum erarbeitete Dramaturgie lebt vom Wechseln der Erzählperspektive, was den Zuschauer*innen die Intensität dieser explosiven Beziehung, dieses ständigen Kampfs um Almas Selbstbestimmung und Oskars Selbstinszenierung, näherbringt.
Dreimal sei der Film entstanden – im Buch, beim Dreh und im Schnitt. Berner und Drehbuchautorin Hilde Berger, die auch die Romanvorlage «Die Windsbraut» (1999/2020) verfasste, erzählen aus ihrer Sicht über diese hitzige Affäre, die wohl für beide die wichtigste in ihrem Leben war. Das geht jedenfalls aus den unzähligen Briefen hervor, die sie sich bis zu Almas Tod 1964 schrieben.
«Berger ist es augenscheinlich auch ein Anliegen, Almas Bild als ‹Künstlerschlampe› zu entzerren, da sie aus heutiger Sicht ihrer Zeit voraus war, ihre Sexualität als wichtig empfand und selbstbestimmt leben wollte.»
Und das spürt und sieht man, sobald der Film beginnt. Es kommt keine Ruhe auf. Alles ist in ständiger Bewegung. Niemand sitzt hier ruhig an einem Tisch. Oskar hält es nicht aus, wenn Alma wegfährt, weil er ohne sie nicht malen kann; sie erlaubt ihm nicht, dass er andere Frauen zeichnet. Es ist ein veritabler Kampf der Geschlechter, mit unzähligen Trennungen und dramatischen Versöhnungen.
Beide Erzählperspektiven sind ineinander verflochten, was auch dazu dient, die verschiedenen künstlerischen Ambitionen des Universalgenies Oskar und der Netzwerkerin Alma zu integrieren. Oskar hat auch Theaterstücke geschrieben; Alma hat komponiert. Berger ist es augenscheinlich auch ein Anliegen, Almas Bild als «Künstlerschlampe» zu entzerren, da sie aus heutiger Sicht ihrer Zeit voraus war, ihre Sexualität als wichtig empfand und selbstbestimmt leben wollte. Der historische Kontext, die Zeit der Umbrüche, der Untergang der Donaumonarchie bleiben indessen da, wo sie hingehören: im Hintergrund, wodurch ein zeitlos schöner Film ensteht.
Das ist auch Kameramann Jakub Bejnarowicz geschuldet, der Oskars narzisstischen und leidenschaftlichen Blick grösstenteils mit einer analogen Kamera aufzeichnet, während Alma, die sich mehr in der Realität verortet, meistens digital gefilmt wird. Das ist ein genialer visueller Streich, welcher dem Zusammenspiel der beiden eine ganz neue Dimension verleiht, den man vielleicht nicht sieht, aber durch und durch spürt.
Zu diesen unterschiedlichen Visionen des künstlerischen Lebens passt auch das Casting. Theaterschauspieler Valentin Postlmayr («Licht») hat äusserlich zwar keine Ähnlichkeit mit Oskar Kokoschka, doch laut Dieter Berner verkörpere er dessen Wesen dafür umso besser. Und tatsächlich setzt Postlmayr die teils kindliche Ignoranz und die Unberechenbarkeit des Künstlers exzellent in Szene. Emily Cox («Futuro Beach», «The Last Kingdom») wiederum kommt Alma Mahler äusserlich näher. Ihre Natürlichkeit und Sensibilität machen sie so zu einer greifbareren Figur, die zwar nach aussen hin stoisch bleibt, aber dennoch tief in ihre Seele blicken lässt.
«Dieses bild- und wortgewaltige Epos, diese Mischung aus Fantasie und Dichtung lässt die Menschen an einer der dramatischsten Liebesgeschichten des letzten Jahrhunderts teilhaben.»
Abgesehen von dieser exzellenten Wahl der Hauptdarstellenden, kann Berner auf solide österreichische und deutsche Film-und Theaterpersönlichkeiten in diversen Nebenrollen zurückgreifen – vom hervorragenden «Jedermann»-Darsteller Cornelius Obonya in hochadliger Rolle über den Wiener Kabarettisten Gerald Votava bis hin zu Brigitte Karner als Almas Mutter, die ihrer Tochter zur Jahrhundertwende emanzipatorisch zur Seite steht. Frauenpower pur, hat Anna Moll doch, genau wie ihre Tochter, nie um gesellschaftliche Konventionen «g’schert».
Dass in «Alma und Oskar» kein klassisches Happy End winkt, ist wohl von Anfang an klar. Alma und Oskar trennen sich. Sie müssen sich trennen, um überleben zu können. Sie sahen sich nie wieder, blieben einander aber bis zu ihrem Tod verbunden. Dieses bild- und wortgewaltige Epos, diese Mischung aus Fantasie und Dichtung lässt die Menschen an einer der dramatischsten Liebesgeschichten des letzten Jahrhunderts teilhaben. Oder wie es Oskar in einem Brief zu Almas 70. Geburtstag formulierte: «Wir zwei werden immer auf der Bühne des Lebens sein, wenn widerliche Banalität, das triviale Bild der zeitgenössischen Welt, einer aus Leidenschaft geborenen Pracht weichen muss.»
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Kinostart Deutschschweiz: 6.7.2023
Filmfakten: «Alma und Oskar» / Regie: Dieter Berner / Mit: Emily Cox, Valentin Postlmayr, Gerhard Kasal, Táňa Pauhofová, Anton von Lucke, Wilfried Hochholdinger, Mehmet Ateşçi, Roland Koch, Marcello de Nardo, Cornelius Obonya, Gerald Votava / Österreich, Schweiz, Deutschland, Tschechien / 88 Minuten
Bild- und Trailerquelle: DCM Filmdistribution (Schweiz) GmbH
Alma Mahler lässt sich mit dem Enfant terrible der Kunstszene Oskar Kokoschka auf eine bild- und wortgewaltige Amour fou ein, die sie beide zu zerstören droht. Absolut sehenswert!
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