Kampfansage an die weisse Verlagsindustrie, bissige Gesellschaftssatire und ein rührendes Familiendrama in einem: «American Fiction» von Cord Jefferson hat Grosses vor. Das einzige Problem: ein zahnloses, verstaubtes und vor allem ziemlich langweiliges Skript.
In einem Interview mit «Esquire» formulierte der indigene US-Autor Tommy Orange jüngst ein zentrales Problem im Umgang mit Literatur ausserhalb des männlich-weissen Kanons: Warum, fragte er, wird die Nobelpreisträgerin Toni Morrison in Universitäten überwiegend im Kontext afroamerikanischer Gesellschaftsprobleme besprochen und viel seltener aufgrund der stilistischen Raffiniertheit ihrer Sätze? Und das, obwohl sie unbestritten zu den genialsten Schriftstellerinnen aller Zeiten gehört? «Native people and people of color», argumentiert Orange, «are often kept as sort of genre writing» – separat von der «neutralen» weissen Literatur, mit der sich «alle» identifizieren können sollen.
Besser könnte man das zentrale Anliegen von «American Fiction» kaum auf den Punkt bringen. Das Spielfilmdebüt von Cord Jefferson (Drehbuchautor unter anderem für «Station Eleven» und «The Good Place») folgt dem frustrierten Schriftsteller und Akademiker Thelonious «Monk» Ellison (ein herrlich abgelöschter Jeffrey Wright, für den Hauptdarsteller-Oscar nominiert), der genug davon hat, seine Werke in der «African-American Studies»-Abteilung zu finden, obwohl sie sich mit klassischen Mythen befassen. Seine Bücher werden positiv besprochen, verkaufen sich aber miserabel, und sein jüngstes Manuskript wird vom Verlagshaus sogar abgelehnt, da es ihm nicht «Schwarz genug» ist. Dass das vor Stereotypen sprühende Werk der jungen Schriftstellerin Sintara Golden (Issa Rae) mit dem aussagekräftigen Titel «We’s Lives in Da Ghetto» dagegen zum Bestseller wird, ist für Monk ein Schlag ins Gesicht.
Ihm wird blitzartig klar: Die weisse Verlagswelt hat kein Interesse an nuancierten Büchern von Schwarzen Schriftsteller*innen, an Geschichten von der Schwarzen Mittel- und Oberschicht, oder an Werken, welche die eigene rassifizierte Identität und die täglichen Kämpfe mit Diskriminierung nicht ins Zentrum stellen. «I don’t really believe in race», sagt er zu seinem Agenten (John Ortiz), worauf dieser antwortet: «The problem is everyone else does.» Aus Protest verfasst Monk unter dem Pseudonym eines imaginären Sträflings ein lachhaftes Manuskript mit dem Titel «My Pafology» – so offensichtlich stereotypenbehaftet, dass es ganz sicher jedem und jeder klar sein sollte, dass es sich dabei um Satire handelt. Was könnte da nur schiefgehen…?
«American Fiction» basiert auf dem Roman «Erasure» des Schriftstellers Percival Everett aus dem Jahr 2001, der als metafiktionale Antwort auf die «Ghetto-Romane» verfasst wurde, die zu jener Zeit die Bestsellerlisten erklommen und von weissen Kritiken mit Lob überschüttet wurden. Obwohl sich in der Verlagslandschaft inzwischen einiges geändert und auch verbessert hat, ist der Ruf nach literarischer und künstlerischer Anerkennung ausserhalb einer für eine weisse Leserschaft leicht verdaulichen «Schwarzen Identität» noch immer hochaktuell. Und doch fühlt sich Jeffersons Adaption zu grossen Teilen verstaubt, zahnlos und anbiedernd an – mehr Teil des Problems, das er kritisiert, als bahnbrechende Zurückweisung des Status quo.
«Zum einen ist da die missglückte Vermischung der Tonalitäten: ‹American Fiction› will bissige Satire und rührendes (Familien-)Drama in einem sein.»
Zum einen ist da die missglückte Vermischung der Tonalitäten: «American Fiction» will bissige Satire und rührendes (Familien-)Drama in einem sein. Die amerikanische Verlagsindustrie soll lustvoll und pointiert zerrissen werden, ebenso die sensationshungrigen Bestsellerlisten und das selbstbeweihräuchernde literarische Preiskarussell. Gleichzeitig soll es ganz ernsthaft um Tod, Verlust, Demenz, Scheidung, Homophobie und Selbstisolation gehen. Das Resultat ist ungelenk – nicht zuletzt dank des (fragwürdig oscarnominierten) Skripts von Jefferson selbst, das alle seiner Anliegen mit Holzhammer-Subtilität behandelt, sich gleichzeitig aber auch (unverdient) mit Nuance schmücken will.
Das beste Beispiel hierfür ist die schreibende Rivalin Monks, Sintara Golden. In der wohl pointiertesten Szene des Films beschreibt sie ihren Werdegang: von der Elite-Uni Oberlin zur Redakteurin in einem prestigeträchtigen Verlagshaus in New York und schliesslich zur Bestsellerautorin, deren grösstes Anliegen es ist, ihre oft missachtete Lebenswelt einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Eine bedeutungsschwangere Sekunde später klappt sie ihren applaudierten Schinken auf und doziert in breitestem African-American Vernacular English von einem Leben im Ghetto, Teenager-Schwangerschaften und abwesenden Vätern. Der Moment ist effektiv: Die Kamera kontrastiert einen herrlich ungläubig starrenden Monk mit dem warmen Wohlwollen des Publikums – ein angemessen skurriler Beginn für eine Satire, die einen Mann an den Rand des Wahnsinns treiben könnte und gleichzeitig einige unbequeme Fragen aufwirft.
Gegen Ende stellt der Film dieser für Lacher gespielten Szene, die das Buch ganz offensichtlich als klischierten Schund etabliert, eine seriöse Auseinandersetzung zwischen Sintara und Monk gegenüber. Er wirft ihr vor, Schwarze Klischees für ein ausschliesslich weisses Publikum feilzubieten. Sie blinzelt ihn über den Rand ihrer Lektüre (den Essayband «White Negroes: When Cornrows Were in Vogue and Other Thoughts on Cultural Appropriation» von Lauren Michele Jackson) intellektuell an und antwortet ganz überlegt, dass alle Geschichten Gehör verdienten, dass sie qualifizierte Recherche betrieben habe, und dass es Monk sei, der seine eigenen Vorurteile auf andere projiziere. Einem besseren Film könnte eine solche Widersprüchlichkeit in der eigenen Aussage durchaus gelingen: Monk könnte für ein hehres Ideal kämpfen und gleichzeitig seine eigenen Befangenheiten vergessen. In «American Fiction» jedoch wird eine karikierte Witzfigur plötzlich zur tiefgründigen Gesprächspartnerin – und nimmt der Satire so allen Wind aus den Segeln.
«Vielmehr scheint es, dass der Film sich windet, um nicht anzuecken – ein Anliegen, das jede Satire zum Scheitern verurteilt.»
Vielmehr scheint es, dass der Film sich windet, um nicht anzuecken – ein Anliegen, das jede Satire zum Scheitern verurteilt. Die junge Schriftstellerin muss am Ende Tiefe erhalten, um den Film vor Sexismusvorwürfen zu bewahren. Die weissen Verlegenden und Filmschaffenden dagegen müssen so dümmlich und weltfremd bleiben, dass niemand sich persönlich auf den Schlips getreten fühlt. Und auch jene Witze, die absolut in einer problematischen Realität fussen, sind selten schärfer als ein «Saturday Night Live»-Sketch: «I just think we should really be listening to Black voices right now», sagt etwa eine blonde, aktivistisch interessierte Frau, nachdem sie und das überwiegend weisse Jury-Komitee die zwei Schwarzen Jurymitglieder überstimmt haben. 2024 wirkt eine solche Szene nicht sonderlich bahnbrechend, sondern segelt im Windschatten visionärerer und risikofreudigerer Werke – darunter etwa Spike Lees «Bamboozled» (2001), in dem ein frustrierter TV-Autor eine Minstrel-Show in Auftrag gibt, die Schwarze Schauspieler*innen in «Blackface» auftreten lässt und prompt zum Hit wird. Die Parallelen sind offensichtlich, doch während Lees Werk scharfkantig und unbequem ist und Angriffsfläche und Affrontpotenzial bietet, bleibt «American Fiction» so poliert und höflich wie eine durchschnittliche amerikanische TV-Episode.
Auch das Drama will nicht mitreissen. Monks grösster Groll gegenüber Büchern wie Sintaras ist es, dass sie der weissen Leserschaft das Gefühl vermitteln, Schwarze Leben wären uniform, von Armut und Gewalt geprägt. Das entspricht nicht Monks Realität: Seine schwersten Sorgen sind die Demenz seiner Mutter (Leslie Uggams), die Affären seines verstorbenen Vaters, die Scheidung seines frisch geouteten Bruders (Sterling K. Brown, als bester Nebendarsteller für einen Oscar nominiert), Geldsorgen, aufgrund derer die Doktoren-Familie vielleicht ihr Strandhaus verkaufen muss. Das Argument, dass Schwarze Geschichten aller Art erzählt werden müssen und nicht in der «African-American Studies»-Ecke verstauben dürfen, ist selbstverständlich stark – aber einmal mehr steht sich das ungelenke Skript selbst im Weg. Figuren verlieben sich basierend auf einer einzigen öden Begegnung. Sie brechen nach den plattesten Witzen in schallendes Gelächter aus. Die Dialoge rekapitulieren ständig auf unorganische Weise die Familienprobleme der letzten Dutzend Jahre oder reden über persönlichkeitsleere Banalitäten, sodass das Argument vielmehr zu sein scheint, dass Schwarze Leben, Filme und Bücher auch eindimensional und todlangweilig sein dürfen. Fair enough. Fesselndes Kino geht aber anders.
«‹American Fiction› ist für fünf Oscars nominiert, unter anderem als bester Film und für das beste Drehbuch. Ob eine wahrhaft revolutionäre Satire jemals für den wohl berühmtesten (und, für so manche, angestaubtesten und diskriminierendsten) Preis der Welt nominiert sein kann, ist eine Frage, die den Rahmen dieser Kritik sprengt.»
«American Fiction» ist für fünf Oscars nominiert, unter anderem als bester Film und für das beste Drehbuch. Ob eine wahrhaft revolutionäre Satire jemals für den wohl berühmtesten (und, für so manche, angestaubtesten und diskriminierendsten) Preis der Welt nominiert sein kann, ist eine Frage, die den Rahmen dieser Kritik sprengt. Dass in wenigen Tagen ein ganzer Saal voll mit den privilegiertesten Sternchen der Welt dem Film wohlwollend applaudieren wird, so wie er 2018 bereits den zuckersüss-nichtssagenden «Green Book» beklatschte, ist allerdings ein Bild, das für sich alleine sprechen kann.
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Filmfakten: «American Fiction» / Regie: Cord Jefferson / Mit: Jeffrey Wright, Tracee Ellis Ross, Issa Rae, Sterling K. Brown, Leslie Uggams, John Ortiz, Erika Alexander, Myra Lucretia Taylor, Adam Brody, Keith David / USA / 117 Minuten
Bild- und Trailerquelle: © 2023 Metro-Goldwyn-Mayer Pictures Inc. All Rights Reserved.
«American Fiction» tritt als bissige Satire auf die amerikanische Verlagswelt auf – hat dabei aber etwa so viel Schlagkraft wie ein «Saturday Night Live»-Sketch.
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