Wie würden Sie als Eltern reagieren, wenn ihre Tochter spurlos verschwindet und gleichzeitig noch als Hauptverdächtige bei einem Bombenanschlag fungiert? Glauben Sie an die Unschuld ihrer Tochter, ungeachtet der Indizien? Genau dieser Thematik widmet sich Ewan McGregor bei seinem Regiedebut und hat sich so nicht gerade einer Wohlfühloase gewidmet. In den Hauptrollen überzeugen neben Ewan selbst, Dakota Fanning als Tochter und Jennifer Connelly als Mutter. Stimmungsvoll wird der Film von Jasmine Thompson’s «Mad World» untermalt (Original: Gary Jules).
Seymour «Swede» Levov (Ewan McGregor) startet ins Leben wie im Film: Gut situiert wächst er auf und als Captain des College Footballteams erreicht er Ruhm und Ehre. Auch nach seinem sportlichen Höhenflug meint es das Leben gut mit ihm; zuerst übernimmt er das Handschuh- Unternehmen seines Vaters (Peter Rieger) und heiratet kurz darauf die Schönheitskönigin Dawn Dwyer (Jennifer Connelly). Die gemeinsame Tochter Merry (Dakota Fanning) konnte sich somit kein schöneres Nest aussuchen. Oder etwa doch? Merry offenbart im Verlauf ihrer Kindheit einige aussergewöhnliche Eigenschaften. Sie stottert beispielsweise oder fordert vom Vater mehr Aufmerksamkeit als andere Kinder.
Children waiting for the day they feel good
Happy birthday, happy birthday
Made to feel the way that every child should
Sit and listen, sit and listen
Dieses Verhalten zeigt sich in äusserst aggressiven Wutausbrüchen während der Jugendzeit. Sie rebelliert nicht nur gegen die Eltern, sondern demonstriert auch gewaltbereit gegen den Vietnamkrieg. Diese Entwicklung gipfelt darin, dass sie eines Tages nicht mehr nach Hause kommt.
And I find it kinda funny
I find it kinda sad
The dreams in which I’m dying
Are the best I’ve ever had
Zeitgleich wird auf die hiesige Poststelle ein Attentat verübt – die Polizei vermutet schnell Merry und sucht sie landesweit. Und so beginnt eine Jagd, bei welcher noch nicht mal klar ist, ob sie gerechtfertigt ist…

Jennifer Connelly als Dawn Dwyer
Gedankenverloren aus dem Kino schleichen
Die nicht bemerkte, stickige Kinoluft hinter sich lassen und einfach regungslos atmen. Im Kopf drehen sich die erschütternden Ereignisse wie ein explodiertes Attentat.
I find it hard to tell you
I find it hard to take
When people run in circles
It’s a very, very mad world, mad world
Die Gedanken versuchen das Gesehene zu ordnen – im ersten Moment ohne erkennbaren Erfolg. Mit viel Elend beworfen versucht man sich wieder in die reale Welt einzufügen – welche man für 108 Minuten komplett verlassen hat. So fühlen sich die ersten Minuten nach dem Kinobesuch an.
Beklemmend bis zum Schluss
Die aufwühlende Komponente ist bei diesem Streifen somit auffällig ausgeprägt. Wird die Qualität eines Filmes dadurch definiert, in welchem Grad man berührt wird? Schwierige Frage – keine Antwort. Auf jeden Fall schafft es Ewan McGregor ein beklemmendes Gefühl aufrecht zu halten, welches sich immer fleissiger durch den Magen frisst. Ist Merry tot? Oder doch untergetaucht? Wurde sie radikalisiert? Hat sie das Attentat verübt? Wenn ja, was waren ihre Beweggründe?
Their tears are filling up their glasses
No expression, no expression
Hide my head I want to drown my sorrow
No tomorrow, no tomorrow
Nicht nur der Zuschauer / die Zuschauerin kämpft mit dem bedrückenden Gefühl – auch die Familie von Merry weist erste Verfallserscheinungen auf. Stets hin- und hergerissen zwischen nicht kontrollierbarer Sorge und beissender Angst vor der unbekannten Wahrheit wird der Alltag der Eltern «Swede» und Dawn zur grossen Last, der Druck auf ihre Psychen unermesslich.

Beklemmend bis zum Schluss
Wer trägt die Verantwortung?
Verdrängung ist bekanntlich der beste Abwehrmechanismus des Menschen – gerade Dawn macht Gebrauch von dieser Strategie, um irgendwie überleben zu können. Je länger die Ungewissheit andauert, umso mehr kämpft sie mit ihrem eigenen Verstand. Ein weiterer spannenderer Gesichtspunkt ist der Fokus auf den Charakter des Kindes: Warum wurde sie so wie sie geworden scheint? Wie viel «Schuld» haben die Eltern? Wie viel war schon bei Geburt vorhanden? Schüchtern solch «perfekte» Verhältnisse und Eltern ein besonders sensibles Kind ein oder traumatisieren es gar? Grosse Fragen, auf welche der Film selbstredend auch keine Antwort kennt. Umso spannender, dass er sie so wuchtig auf die Leinwand knallen kann ohne künstlich zu wirken.
Fazit: Gefühlsstarkes, dramatisches Kino, welches nicht Perfektion, sondern Intensität als Hauptziel hat. Und dieses mühelos erreicht.
Kinostart: 17. November 2016 / Regie: Ewan McGregor / Mit: Uzo Aduba, Jennifer Connelly, Dakota Fanning, Ewan McGregor
Trailer- und Bildquelle: Ascot Elite
No Comments