Die animierte Nickelodeon-Serie «Avatar: The Last Airbender» gehört zu den beliebtesten Kinder- und Jugendserien des laufenden Jahrhunderts. Nun hat sich Netflix an einem Live-Action-Remake versucht – ohne Erfolg.
Live-Action-Remakes von animierten Filmen und Serien liegen im Trend, nicht zuletzt dank Disneys immer abstruser werdender «Bemühungen», den eigenen Katalog stetig neu zu vermarkten. Doch so seelenlos und zynisch Produktionen wie «The Lion King» (2019), «Mulan» (2020) oder «Pinocchio» (2022) auch sein mögen: Hin und wieder erweist sich so ein Profitoptimierungs-Stunt tatsächlich als sehenswert. Das jüngste Beispiel lieferte ausgerechnet der auf austauschbare Massenware spezialisierte Streamingriese Netflix, der im vergangenen Jahr mit «One Piece» eine charmante, liebevoll ausgestattete Neuauflage der gleichnamigen Piraten-Animeserie in Umlauf brachte.
Entsprechend gespannt durfte man sein, ob der Blitz zweimal einschlagen würde. Denn nur wenige Monate nach «One Piece» hat Netflix nun «Avatar: The Last Airbender» nachgereicht – ein von Albert Kim entwickeltes Live-Action-Remake der beliebten Fantasy-Jugendserie mit demselben Titel, die zwischen 2005 und 2008 von Nickelodeon produziert wurde und längst zum generationenübergreifenden Kultobjekt geworden ist.
Kim und seine Autor*innen gehen die Herausforderung jedenfalls mit einer ähnlichen Strategie wie die Macher*innen von «One Piece» an: Weil weder die designierte Anzahl Episoden noch das Budget für die exakt gleiche Dramaturgie und alle im Original vorkommenden Abenteuer reichen – und weil ein 1:1-Remake ohnehin langweilig wäre –, werden in dieser ersten Staffel Handlungsstränge aus den ersten 20 Episoden der Nickelodeon-Serie zusammengelegt, verkürzt, verdichtet, bisweilen auch gestrichen. Bei gewissen Figuren werden die definierenden Charakterzüge neu ausbalanciert; Beziehungen werden anders kalibriert.
Auf dem Papier ist das alles nicht nur vertretbar, sondern sogar notwendig – zumal sich die Geschichte im Zentrum von «Avatar: The Last Airbender» ja gleich bleibt: Wir befinden uns auch hier in einer Welt, in der sich alles um die vier Elemente Wasser, Erde, Feuer und Luft dreht – Elemente, die von gewissen Menschen «gebändigt» und telekinetisch manipuliert werden können. Dominiert wird diese Welt von der Feuernation, die seit 100 Jahren Krieg gegen die anderen Nationen führt und von der uneingeschränkten Weltherrschaft nicht mehr weit entfernt ist.
Eines Tages entdecken die am Südpol lebenden Geschwister Sokka (Ian Ousley) und Katara (Kiawentiio), eine unerfahrene Wasserbändigerin, den glatzköpfigen Jungen Aang (Gordon Cormier) in einer riesigen Eiskugel. Wie sich herausstellt, ist der aufmüpfige Luftbändiger der seit einem Jahrhundert vermisste «Avatar», der Herr der vier Elemente – und damit der Einzige, der dem bösen Feuerherrscher Ozai (Daniel Dae Kim) Einhalt gebieten kann. Dazu muss Aang aber zuerst lernen, wie man Wasser, Erde und Feuer überhaupt bändigt, also macht er sich mit Sokka, Katara und seinem fliegenden Bison Appa auf eine weltumspannende Studienreise. Dabei sind ihm jedoch der aufbrausende Feuerprinz Zuko (Dallas Liu) und dessen Onkel Iroh (Paul Sun-Hyung Lee) dicht auf den Fersen – denn sie beide haben Ozai einiges zu beweisen.
«Diese Version der Abenteuer von Aang, Sokka, Katara, Zuko und Iroh ist eine verkrampfte, erzählerisch und visuell uninspirierte, ja geradezu schludrige Pflichtübung.»
Doch wenn «One Piece» gezeigt hat, dass ein Live-Action-Remake das Original im allerbesten Fall um ein sympathisches Kuriosum ergänzen kann, ist Netflix‘ «Avatar» eine ernüchternde Erinnerung daran, wie sinnlos so ein Unterfangen in der Regel ist. Diese Version der Abenteuer von Aang, Sokka, Katara, Zuko und Iroh ist eine verkrampfte, erzählerisch und visuell uninspirierte, ja geradezu schludrige Pflichtübung, bei der sich praktisch zu jedem Zeitpunkt die Frage stellt, warum man sich nicht stattdessen gerade das animierte Original von Bryan Konietzko und Michael Dante DiMartino anschaut.
So erweist sich etwa der Transfer in den Realspielfilm schon in den Eingangssequenzen der ersten Episode als kapitale Fehlkalkulation: Die magische Welt von «Avatar», die in animierter Form mit allerlei unmöglicher Architektur, markantem Figurendesign und rasanter Elementar-Kampfkunst aufwartet, ist hier ein Mus aus anonymen echten Schauplätzen, schummrigen Greenscreen-Kulissen, unvorteilhaft ausgeleuchteten Schauspieler*innen in allzu massgeschneiderten Cosplay-Kostümen und Actionszenen, die in verpixeltem CGI ertränkt werden. Immer und immer wieder scheitert der Versuch, dem Original visuell nachzueifern, an den natürlichen ästhetischen Grenzen, die einer Live-Action-Produktion gesetzt sind.
Das macht sich insbesondere bei den Panoramaaufnahmen bemerkbar, mit denen gerne ein neuer Schauplatz oder ein neuer Konflikt eingeführt wird: Sei es ein von der Feuernation verbranntes Waldstück, eine in den Berg hineingebaute Erdbändiger-Stadt oder eine kolossale Eisfestung – letztendlich berauben die Anforderungen des «realistischen» Looks diese Bilder der suggestiven, von stilisierter Farbgebung geprägten Ausdruckskraft, die Animation ermöglicht.
«Die Serie macht kaum je den Anschein einer eigenständigen Vision, sondern gibt sich konsequent damit zufrieden, eine unzulängliche Nachahmung eines weitaus virtuoser gestalteten Originals zu sein.»
Wohlverstanden: Das Problem ist hier nicht die Tatsache, dass eine Veränderung vorgenommen wurde – denn Adaption lebt von Veränderungen. Viel schwerer wiegt der Umstand, dass dieser «Avatar» niemals einen triftigen ästhetischen Grund für seine eigene Existenz vorlegt. Die Serie macht kaum je den Anschein einer eigenständigen Vision, sondern gibt sich konsequent damit zufrieden, eine unzulängliche Nachahmung eines weitaus virtuoser gestalteten Originals zu sein.
Unterdurchschnittliche Schauwerte können aber auch das Resultat von Budgeteinschränkungen sein. Es wäre also vermessen, die Serie allein auf dieser Basis zum Misserfolg zu erklären. Doch die kreativen Defizite, die Kims «Avatar» in Sachen Ausstattung und Spezialeffekte aufweist, finden ihre Entsprechungen in der Erzählung.
Der Impuls, zu kürzen und zu verdichten, mag in der Theorie der richtige gewesen sein. In der Praxis jedoch führen die Bestrebungen der Autor*innen – zu denen in einer Episode sogar die ursprünglichen Serienerfinder Konietzko und DiMartino gehören – vor allem zu narrativen Ungereimtheiten und Redundanzen, hölzerner Exposition, bis zur Banalität vereinfachten Figuren und klaffenden Löchern in der emotionalen Entwicklung.
So wird zum Beispiel Sokka – zu Beginn seiner Nickelodeon-Inkarnatian noch ein unreifes, latent sexistisches Ekel – zur profillosen Schablone: Er verliert die tiefgreifenden charakterlichen Schwächen, die in der animierten Serie eine eindrückliche, berührende persönliche Evolution nach sich zogen, und wird stattdessen zum generischen Teenager, der die Welt – aber nicht das Publikum – von den eigenen Fähigkeiten überzeugen muss.
«Wenn man Aang nie dabei beobachten kann, wie er sich gegen die Verantwortung und für den Spass entscheidet, fällt es schwer, ihm sein Wehklagen über diese angebliche Schwäche abzunehmen.»
Ähnliches widerfährt Aang und Katara: Während Letztere praktisch ohne Training zur Meisterin des Wasserbändigens avanciert, hadert Ersterer immer wieder damit, dass er zu unerfahren und zu kindlich für die gewichtige Rolle des Avatars ist – obwohl sich die Serie niemals die Mühe macht, diesen inneren Konflikt konkret zu veranschaulichen. Wenn man Aang nie dabei beobachten kann, wie er sich gegen die Verantwortung und für den Spass entscheidet, fällt es schwer, ihm sein Wehklagen über diese angebliche Schwäche abzunehmen.
Einzig Zuko und Iroh gelingt es, ein Fünkchen der alten «Avatar»-Magie zu bewahren. Zwar werden auch sie in eine Reihe bizarrer Plot-Verschiebungen verwickelt – ganz zu schweigen von ihrer schwerfällig vorgetragenen Hintergrundgeschichte –, doch sowohl das Zusammenspiel von Dallas Liu und Paul Sun-Hyung Lee als auch die Tatsache, dass Zuko und Iroh zwei seit jeher grossartig konzipierte Figuren sind, verleiht wenigstens ein paar ihrer Szenen so etwas wie Menschlichkeit.
Letztlich stellt sich bei Netflix‘ «Avatar» aber vor allem die Frage nach dem Warum. Warum so viel Geld und Aufwand in eine erzählerisch zerfledderte, ästhetisch überwiegend reizlose Realspielfilm-Annäherung an eine herausragende animierte Fernehserie investieren, die unterm Strich nicht viel unterhaltsamer ist als M. Night Shyamalans berühmt-berüchtigte Verfilmung von 2010? Warum nicht stattdessen ein Original – oder wenigstens eine Fortsetzung wie «The Legend of Korra» (2012–2014) – produzieren, das sich nicht von Anfang an einem direkten Vergleich stellen muss, den man höchstwahrscheinlich nicht unbeschadet überstehen kann?
«Warum so viel Geld und Aufwand in eine erzählerisch zerfledderte, ästhetisch überwiegend reizlose Realspielfilm-Annäherung an eine herausragende animierte Fernehserie investieren?»
Die Antwort auf alle diese Fragen ist natürlich, dass sich Netflix und seine Rivalen in der Entertainment-Branche auf «Intellectual Property» eingeschossen haben und grosses finanzielles Interesse daran besteht, die Hits von gestern irgendwie neu aufzubereiten – egal, wie lustlos diese Wiedergänger auch sein mögen. Die Antwort auf die Frage, wie man dieser Entwicklung entgegenwirken kann, ist um einiges komplexer – doch ein guter Anfang, wäre, Netflix‘ «Avatar: The Last Airbender» nicht zu schauen.
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Jetzt auf Netflix
Serienfakten: «Avatar: The Last Airbender» / Creator: Albert Kim / Mit: Gordon Cormier, Kiawentiio, Ian Ousley, Dallas Liu, Paul Sun-Hyung Lee, Ken Leung, Daniel Dae Kim / USA / 8 Episoden à 47–63 Minuten
Bild- und Trailerquelle: © 2024 Netflix, Inc./COURTESY OF NETFLIX
Wer «Avatar: The Last Airbender» kennenlernen will – oder gute Erinnerungen daran hat –, ist mit dem animierten Original weitaus besser bedient als mit Netflix' uninspiriertem Remake.
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