Ja, «Avatar: The Way of Water» ist das grosse Ausrufezeichen, das uns James Cameron seit 13 Jahren verspricht. Der dreistündige Fantasyfilm ist ein bildgewaltiges Werk, das visuell und technisch alles in den Schatten stellt, was das Blockbusterkino in den letzten Jahren geboten hat. Schade, dass das schwache Drehbuch damit nicht mithalten kann.
13 Jahre sind vergangen, seit James Cameron («The Terminator») mit «Avatar» die Kinolandschaft völlig überraschend auf den Kopf stellte. Klar, der Regisseur war schon damals durchaus ein Garant für Kinoerfolge; mit «Titanic» (1997) hatte er immerhin den damals erfolgreichsten Film aller Zeiten gedreht. Und dennoch: Daran, dass er das noch einmal überbieten würde, wollte 2009 selbst beim Studio niemand richtig glauben. Im Gegenteil: 20th Century Fox soll dermassen von einem Flop überzeugt gewesen sein, dass der zeitgleiche Kinostart des Familienfilms «Alvin and the Chipmunks: The Squeakquel» primär deswegen erfolgt sein soll, um das finanzielle Debakel von Camerons Blockbuster etwas aufzufangen.
Dass es dann ganz anders kam und «Avatar» mit einem weltweiten Einspielergebnis von beinahe drei Milliarden Dollar zum erfolgreichsten Film aller Zeiten avancierte, ist inzwischen bekannt. Und obwohl ihm nach diesem Riesenerfolg alle Türen offen standen, liess sich James Cameron für seine Fortsetzung Zeit – viel Zeit. Seither hat sich einiges verändert: 20th Century Fox gehört nun zu Disney, der von «Avatar» lancierte 3D-Hype ist längst wieder verpufft und auch die Karriere von Leona Lewis, die damals den Titelsong «I See You» zum Besten gab, ist inzwischen versandet. Die schwerwiegendste Veränderung betrifft aber die Musik: Mit dem Filmkomponisten James Horner («Braveheart») verstarb 2015 einer der wichtigsten Faktoren für den Erfolg des ersten Teils. Für ihn hat nun sein langjähriger Wegbegleiter Simon Franglen («The Magnificent Seven») übernommen.
Bei so viel Zeit, die verstrichen ist, stellt sich unweigerlich die Frage: Wer interessiert sich denn überhaupt noch für diesen Film? James Cameron muss mit «Avatar: The Way of Water» nicht nur das mutmassliche Budget von 350 bis 400 Millionen Dollar einspielen – er muss auch beweisen, dass das Publikum sich immer noch für diese Welt interessiert. Der Druck, der auf diesem Film – und seinem Regisseur lastet – ist immens. Klar, dass Cameron einmal mehr mit ganz grosser Kelle anrührt.

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«Avatar: The Way of Water» spielt etwa fünfzehn Jahre nach dem ersten Teil. Der ehemalige Marine Jake Sully (Sam Worthington), jetzt wiedergeboren im blauen Na’vi-Körper, und seine Partnerin Neytiri (Zoe Saldaña) haben sich nach ihrem Sieg über die Menschen auf dem Alien-Mond Pandora zur Ruhe gesetzt und ziehen gemeinsam ihre Kinder gross. Doch mit der Idylle ist es spätestens dann vorbei, als die Menschen einen zweiten Versuch starten, um auf dieser Welt Fuss zu fassen und eine neue Kolonie zu gründen.
Und als wäre das nicht genug, kehrt auch noch der raubeinige Colonel Quaritch (Stephen Lang) zurück, der im letzten Teil das Zeitliche segnete. Eingespiesen in einen Na’vi-Klon-Körper, konnte sein Geist überleben und sinnt nun auf Rache. Um ihre Familie zu schützen, tauchen Jake und Neytiri unter – im wahrsten Sinne des Wortes.
«‹Avatar: The Way of Water› ist ein bildgewaltiges Spektakel, das alles andere, was das Blockbusterkino in den letzten Jahren hervorgebracht hat, in den Schatten stellt.»
Der Regisseur erkundet in seinem Film neue Ecken von Pandora – namentlich seine Ozeane und Riffs –, und das ist in vielerlei Hinsicht eine der besten Entscheidungen von «The Way of Water»: Nicht nur verhindert sie, dass die Fortsetzung erzählerisch und visuell zu stark auf den Pfaden des ersten Films wandelt; sie ermöglicht es Cameron auch, sich erneut völlig auszutoben. Die Unterwasserwelten dieses Planeten mit ihren mannigfaltigen Fischwesen und Korallen – sie sind genauso spannend wie die Wald- und Bergwelten des Vorgängers. Cameron gelingt es, den ersten Teil visuell noch einmal zu übertreffen. Zumindest in dieser Hinsicht hält der Film also sein grosses Versprechen.
«The Way of Water» ist ein bildgewaltiges Spektakel, das alles andere, was das Blockbusterkino in den letzten Jahren hervorgebracht hat, in den Schatten stellt. Die mittels weiterentwickelter Motion-Capture-Technologie eingefangenen Unterwasser-Sequenzen sind atemberaubend – hier lohnt es sich sogar auch endlich wieder einmal, die 3D-Brille hervorzukramen. Wer wissen will, wie sehr dieses Fantasyspektakel seiner Konkurrenz voraus ist, kann zum Vergleich den erst gerade in die Kinos gekommenen «Black Panther: Wakanda Forever» herbeiziehen. Gegen die Farben und die Lichtspielereien von Camerons Unterwasserwelt sind die zu Tode entsättigten Ozeane in Marvels Superhelden-Blockbuster eine einzige Ernüchterung.
«Dass die Drehbuchautor*innen nach drei Stunden an keinen interessanteren Schluss kommen als auf das Fast-and-Furious’sche ‹Familie ist wichtig›, ist schockierend.»
Weil dieser Blockbuster aber nicht nur aus wunderschönen Wasseraufnahmen bestehen darf, unterbricht James Cameron diesen dreistündigen Ausflug in die Unterwasserwelt von Pandora leider immer wieder mit so etwas wie einer Story – was wirklich nicht nötig gewesen wäre. Die Geschichte des Films wirkt, gemessen an den 192 Minuten Laufzeit, mächtig aufgebläht. Und so braucht «The Way of Water» viel Repetition, um über die Runden zu kommen. Wie oft wurden die Kinder von Jake und Neytiri nun entführt, sechs- oder siebenmal? Wie oft müssen wir noch zuschauen, wie der Quaritch-Klon gemein zu irgendwelchen Leuten ist, um zu schnallen, dass er ein ganz Fieser ist?
Dass sich der Film erzählerisch im Kreis dreht – geschenkt. Viel schockierender ist es, dass Cameron und seine Co-Autor*innen Rick Jaffa und Amanda Silver («Jurassic World», «Mulan») nach drei Stunden an keinen interessanteren Schluss kommen als auf das Fast-and-Furious’sche «Familie ist wichtig». Als mache die Ausgangslage der Geschichte mit ihren vielen geklärten und ungeklärten Familienverhältnissen nicht schon nach fünf Minuten unmissverständlich klar, dass es hier in erster Linie um Familie geht.
Dazu kommt, dass sich «The Way of Water» auf so vielen Nebenschauplätzen verliert, dass einem beinahe schwindlig wird. Man merkt dem Film zu jedem Zeitpunkt an, dass er anders konzipiert wurde als sein Vorgänger: Hier wird nicht einfach ein Science-Fiction-Blockbuster mit Option auf eine Fortsetzung erzählt, wie das bei «Avatar» der Fall war. Nein, hier haben wir es mit dem ersten von insgesamt vier Sequels zu tun. Denn Cameron denkt gross: Vorausgesetzt, dass «The Way of Water» kein finanzieller Totalausfall ist, kommen wir 2024, 2026 und 2028 in den Genuss von «Avatar 3», «Avatar 4» und «Avatar 5».

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Auch wenn sich «The Way of Water» nicht ganz so stark wie ein Zwischending anfühlt wie etwa «Fantastic Beasts: The Crimes of Grindelwald» (2018) und «Fantastic Beasts: The Secrets of Dumbledore» (2022), Teile zwei und drei des ebenfalls als Fünfteiler konzipierten «Harry Potter»-Spin-offs, ist diese längerfristige Planung deutlich spürbar: Das Schicksal von Jake und Neytiri reicht nicht mehr, um eine Geschichte zu erzählen; nun müssen unzählige neue Figuren her, die alle ihre eigenen Probleme mehr oder weniger gut bewältigen. Ja, hier bekommt selbst ein Wal eine rührselige Hintergrundgeschichte.
Das Resultat ist, dass keine Figur wirklich funktioniert – am wenigsten die beiden Protagonist*innen. Sam Worthington («Man on a Ledge») und Zoe Saldaña («Guardians of the Galaxy») schmeissen sich als Jake und Neytiri uninsipirerte, klischierte Dialogzeilen an den Kopf. Und dass selbst Stephen Lang («Tombstone») noch einmal mitmacht und trotz des Todes seiner Figur im ersten Film erneut den Schurken gibt, ist für niemanden ein Glücksfall: nicht für das «Avatar»-Universum und seinen wenig glaubwürdigen Fokus auf diesen einen Marine-Haudegen, und erst recht nicht für Lang selbst, der als grosser blauer Bösewicht irgendwie aussieht wie die Karikatur eines dieser «Space Jam»-Aliens.
Auch die Darbietungen der verschiedenen Kinderdarsteller*innen gehen irgendwo zwischen Drehbuch, unzähligen «Bro!»-Rufen und CGI-Makeup verloren, während Sigourney Weaver («Alien»), die in diesem Film eine Na’vi-Teenagerin spielt (was im Film zum Glück ein bisschen mehr Sinn ergibt, als wenn man es an dieser Stelle ausschreibt), nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass ihre Figur in erster Linie darauf angelegt ist, in den kommenden Filmen irgendwelche bedeutungsvollen Natur-Magie-Fantasy-Dinge zu machen. Das ist symptomatisch für diesen Film, der sich viele seiner Figuren aufzusparen scheint – und dadurch nicht viel zu erzählen weiss.
«‹Avatar: The Way of Water› kommt ohnehin schon mit sehr wenig Humor aus – wenn dann auch noch einer der lustigsten Komiker unserer Zeit in eine viel zu ernste Rolle gezwängt wird, verlieren letzten Endes alle.»
Eine andere Figur, die in «The Way of Water» vor allem untätig herumsteht, aber wahrscheinlich in den kommenden Teilen noch mehr zu tun bekommen wird, ist der von Jemaine Clement («What We Do in the Shadows») verkörperte Meeresbiologe Ian Garvin. Dass der als eine Hälfte des neuseeländischen Comedy-Duos «Flight of the Conchords» bekannte Schauspieler hier in einer komplett ernsten Rolle zu sehen ist, ist unverständlich. «The Way of Water» kommt ohnehin schon mit sehr wenig Humor aus – wenn dann auch noch einer der lustigsten Komiker unserer Zeit in eine viel zu ernste Rolle gezwängt wird, verlieren letzten Endes alle.

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James Cameron denkt mit seinem Film die Welt von Pandora auf eine interessante Art und Weise weiter und inszeniert das alles so atemberaubend schön, wie das in den vergangenen Jahren kaum einem Blockbuster gelang. Es lohnt sich auf jeden Fall, diesen Film im Kino zu erleben. Und dennoch ist das bei weitem noch keine Rechtfertigung dafür, dass «Avatar: The Way of Water» mit 192 Minuten Laufzeit die Geduld des Publikums arg überstrapaziert – vor allem, wenn das Drehbuch und die Figurenentwicklung dermassen schwächeln.
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Kinostart Deutschschweiz: 14.12.2022
Filmfakten: «Avatar: The Way of Water» / Regie: James Cameron / Mit: Sam Worthington, Zoe Saldaña, Sigourney Weaver, Stephen Lang, Kate Winslet, Dileep Rao, Giovanni Ribisi, Edie Falco, Jemaine Clement / USA / 192 Minuten
Bild- und Trailerquelle:© 20th Century Studios. All Rights Reserved. / Disney © 2022
James Camerons Dreistünder ist mit seinen Unterwasseraufnahmen ein bildgewaltiges Spektakel, das seinesgleichen sucht. Das grauenhafte Drehbuch trübt die Freude jedoch arg.
1 Comment
Perfekt auf den Punkt gebracht!