«Avec amour et acharnement», die dritte Zusammenarbeit von Claire Denis und Juliette Binoche in Folge, ist ein in eindrücklichen Bildern erzählter Horrortrip der Gefühle. Denn hier stürzt eine frühere Liebe ein scheinbar stabiles Paar in eine tiefe Krise, die nicht nur Geschlechterrollen hinterfragt, sondern auch die Unterdrückung von persönlichen Bedürfnisse aus Liebe zu jemand anderem.
Sara (Juliette Binoche) ist Radiomoderatorin und seit fast zehn Jahren mit dem ehemaligen Rugbyspieler Jean (Vincent Lindon) glücklich liiert. Das zeigt auch die Eröffnungsszene, in der beide wie junge Verliebte im Meer baden und sich nach der Rückkehr in die gemeinsame Pariser Dachterrassenwohnung gleich nochmals lieben.
Jean war irgendwann im Gefängnis – warum, wird nicht gesagt. Er hat einen 15-jährigen Sohn aus erster Ehe, Marcus (Issa Perica), der bei Jeans Mutter Nelly (Bulle Ogier) wohnt und ihr allmählich entgleitet. Und dann ist da noch sein alter Freund François (Grégoire Colin), mit dem er eine Agentur für talentierte junge Rugbyspieler aufbauen will.
Der nach vielen Jahren wieder aufgenommene Kontakt zwischen Jean und François spielt sich praktisch zeitgleich ab wie die flüchtige Begegnung zwischen Sara und François auf dem Weg zum Radiostudio – Zufall? Sara sieht ihn zwar nur für ein paar Sekunden, wie er auf sein Motorrad steigt und davonfährt, wird davon aber völlig aus der Bahn geworfen: Die beiden waren nämlich einmal ein Paar; Sara hat Jean dank François kennengelernt und verliebte sich damals in ihn.
So beginnt das Drama und ist fortan in jedem Blick und jeder Bewegung Saras zu spüren. Wie vom Blitz getroffen, sind alle Emotionen, Ängste und Leidenschaften aus einem zehnjährigen Tiefschlaf erwacht. Ein Horrortrip der Gefühle lässt die drei Liebenden sich beinahe selbst und gegenseitig zerstören. Die zahlreichen Nahaufnahmen von Kameramann Éric Gautier («Ash Is Purest White»), bisweilen sogar in Zeitlupe, lassen die Zeit immer wieder stillstehen und untermalen die emotionale Zerissenheit, die sich breitmacht.
«Die zahlreichen Nahaufnahmen von Kameramann Éric Gautier, bisweilen sogar in Zeitlupe, lassen die Zeit immer wieder stillstehen und untermalen die emotionale Zerissenheit, die sich breitmacht.»
Denn während Sara fast zusammenbricht, um sich ihrer Emotionen ihrer Rolle in ihrer Beziehung mit Jean klar zu werden, konfrontieren sie die Männer mit beleidigten Eitelkeiten und kindischen Eifersüchteleien. Da ist zum Beispiel François, der sich trotzig auf den Klodeckel setzt, weil Sara im Bett nicht so will wie er. Und auch Jean wird scheinbar wieder zum bockigen Kind, wenn er ihr vorwirft, dass sie ihre Männer zerstört, und ihr damit droht, wieder zu seiner Mutter zu ziehen. Und dazwischen steht eine verzweifelte Sara, die unerbittlich für die Liebe kämpft, ja beinahe darum bettelt, und den Manipulationen der beiden Männern brutal ausgeliefert ist.
Claire Denis («Beau Travail», «High Life») widmet sich in «Avec amour et acharnement» zusammen mit der Autorin Christine Angot einmal mehr dem Thema einer Frau in den mittleren Jahren, die sich ihrer Liebe stärker ausliefert, als es ihr guttut. Schon in der letzten Kollaboration von Denis, Angot und Binoche, im Drama «Un beau soleil intérieur» (2017), wurden auf diese Weise die gesellschaftlichen Zwänge und Rollen hinterfragt, denen sich Frauen eines gewissen Alters ausgesetzt sehen.
Was an «Avec amour et acharnement» allerdings irritiert, ist die nicht geradlinige Erzählung, die vielen Auslassungen, die zwar einerseits für Spannung sorgen sollen, andererseits aber viel Wichtiges unbeantwortet lassen: Was wird im Handygespräch hinter der Glastür gemurmelt? Warum war Jean im Gefängnis? Was wird hier wirklich gespielt? Zusätzlich werden aktuelle Weltereignisse geradezu willkürlich auf das ohnehin schon schwere Liebesdrama geladen – allem voran Saras Radiomoderationen zum Thema Migration und Rassismus. (Ebenso missglückt ist die Übersetzung des Filmtitels ins Deutsche: «Mit Liebe und Entschlossenheit» scheint weit weg vom tatsächlichen Inhalt. «Unerbittlichkeit» oder «Leidenschaft» hätten es wohl besser getroffen.)
«Dank der grossartigen Schauspieler*innen, der beeindruckenden Aufnahmen und des Musikscores der britischen Band Tindersticks bleibt Claire Denis‘ Horrorgefühlsdrama aber trotzdem über weite Strecken spannend und anregend.»
Dank der grossartigen Schauspieler*innen, der beeindruckenden Aufnahmen und des Musikscores der britischen Band Tindersticks bleibt Claire Denis‘ Horrorgefühlsdrama aber trotzdem über weite Strecken spannend und anregend. Dass «Avec amour et acharnement» an der Berlinale 2022 mit dem Silbernen Bären für die beste Regie ausgezeichnet wurde, lässt sich sehr gut nachvollziehen.
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Kinostart Deutschschweiz: 19.1.2023
Filmfakten: «Avec amour et acharnement» / Regie: Claire Denis / Mit: Juliette Binoche, Vincent Lindon, Grégoire Colin, Bulle Ogier, Issa Perica, Mati Diop, Bruno Podalydès / Frankreich / 116 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Frenetic Films AG
In Claire Denis' Dreiecksgefühlskrimis «Avec amour et acharnement» verstrickt sich die wunderbare Juliette Binoche erneut in ein Liebeschaos mit ungewöhnlichen Ausgang.
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