Etwas überschattet von den Skandalen, die die Filmindustrie und Hollywood momentan erschüttern, ist die Award-Season wieder gestartet. Die grössten und – anscheinend – besten Filme des Jahres buhlen um die grossen Preise. Wie bereits vor einem Jahr werfen wir schon mal einen Blick auf das Rennen.
Dass die teilweise horrenden Geschichten von Machtspielen und sexuellen Belästigungen von diesen Veranstaltungen nicht getrennt werden können, zeigt sich bereits am Umstand, dass Kevin Spacey durch sein Verhalten aus dem Oscar-Hopeful «All the Money in the World» herausgeschnitten und durch Christopher Plummer ersetzt wurde. Und natürlich sind die Geschehnisse Gesprächspunkt Nummer eins. Es wird sich zeigen, wie viel bis zu den Verleihungen noch geschehen, wie viel aufgedeckt und wie sich das Rennen bis zu den Oscars im März noch verändern wird.
Sechs Schweizer Beiträge auf Kurs
Momentan sind sechs Schweizer Filme im Wettstreit um einen Oscar. Die offizielle Schweizer Einreichung als “Bester fremdsprachiger Film” ist «Die göttliche Ordnung» von Petra Volpe. Die Thematik könnte in Hollywood momentan nicht passender sein, ging es doch auch 1971 in der Schweiz darum, dass Frauen aufstehen und sich für ihre Anliegen Gehör verschaffen. Sollte sich die Academy für einen etwas massenkompatibleren Crowdpleaser entscheiden, wäre «The Divine Order» (wie er auf Englisch heisst) der Go-to-Film. Dass der Film den Amerikanern gefällt, hat sich bereits mit den drei Preisen am Tribeca Film Festival in New York gezeigt. Die grösste Konkurrenz in der Kategorie des fremdsprachigen Films bilden: Berlinale-Gewinner «On Body and Soul» (Ungarn), «Un mujer fantastica» (Chile), Angelina Jolies «First They Killed My Father» (Kambodscha), «Foxtrot» (Israel), Michael Hanekes «Happy End» (Österreich), Cannes-Gewinner «The Square» (Schweden) und Frankreichs «120 battements par minute».

Die Mutter der in Gariglios «En La Boca» porträtierten Familie.
Weiter sind fünf Schweizer Kurzfilme im Rennen, da sie Preise an wichtigen Filmfestivals gewonnen haben. «En La Boca» des Innerschweizers Matteo Gariglio, «Moriom» von Francesca Scalisi und Mark Olexa, «Facing Mecca» von Jan-Eric Mack, «Bei Wind und Wetter» von Remo Scherrer und der Fantoche-Publikumsliebling «In a Nutshell» von Fabio Friedli. Die Academy veröffentlicht die Shortlist für die Kurzfilmkategorien im Dezember. Dann wird sich zeigen, welche dieser Filme eine Runde weiter sind.
Der Countdown mit den 16 Frontrunners
Erweitert man den Blick auf die anderen Langfilm-Kategorien, haben die grössten Chancen auf die kleinen Goldmännchen wohl folgende 16 Filme.
Es sind dies in den technischen Kategorien:
16. «Wonder Woman» von Patty Jenkins
Frauen an die Macht, so lautete die ungefähre Berichterstattung, als «Wonder Woman» von Patty Jenkins («Monster») in den Kinosälen einschlug. Während Warner Bros. eine grosse Kampagne fährt, um Nominierungen für Jenkins und Hauptdarstellerin Gal Gadot einzufahren, liegen die im Bereich des Möglichen liegenden Nominierungen in den Sound-Kategorien und bei den visuellen Effekten. Alles andere wäre Wunschdenken.
«Wonder Woman» lief ab dem 15. Juni 2017 in den Schweizer Kinos.
15. «Star Wars: The Last Jedi» von Rian Johnson
Alle Jahre wieder: Ein weiteres Kapitel der Krieg der Sterne-Saga beglückt die vorweihnachtlichen Kinobesucher. Entweder fiebert man ihnen heiss entgegen, oder sie lassen einem relativ kalt. Egal wie man zu den Filmen steht: Sie sind handwerklich tadellos. Dies zeigt sich auch an den vielen Nominierungen in den technischen Kategorien an den Oscars (Fünf für «The Force Awakens», zwei für «Rogue One»). Mindestens in den Sound-Kategorien und für die visuellen Effekte wird es Nominierungen geben.
«Star Wars: The Last Jedi» kommt am 14. Dezember 2017 in die Schweizer Kinos.
14. «War for the Planet of the Apes» von Matt Reeves
Der dritte Teil der Schimpansen-Trilogie genoss teilweise überschwängliche Reviews. Dies wird ihm für die Awards sicherlich zu gute kommen. Während es bei den beiden Vorgängern jeweils nur für eine Nominierung für die visuellen Effekte gereicht hat, könnte sich dies dieses Jahr ändern. In den Sound-Kategorien und für den Score von Michael Giacchino sind Nominierungen in Reichweite.
«War for the Planet of the Apes» lief ab dem 3. August 2017 in den Schweizer Kinos.
13. «Blade Runner 2049» von Denis Villeneuve
Inhaltlich nicht ganz das Spektakel, welches viele erwartet haben, vermag das Sequel von «Blade Runner» aus dem Jahr 1982 visuell und akustisch dennoch vollends zu überzeugen. Die Erwartungen an Nominierungen für Regisseur Villeneuve (Letztes Jahr nominiert für «Arrival») oder gar als bester Film dürften begraben sein, das Goldmännchen für die besten visuellen Effekte kann ihm nur der «Planet of the Apes» streitig machen. Den Score von Hans Zimmer und Benjamin Wallfisch dürfte zu unspektakulär sein, um grosse Wellen zu schlagen, aber im «Production Design» mischt er ganz vorne mit.
«Blade Runner 2049» läuft seit dem 5. Oktober 2017 in den Schweizer Kinos.
Die möglichen Kandidaten:
12. «I, Tonya» von Craig Gillespie
«I, Tonya» erzählt die Geschichte der amerikanischen Eiskunstläuferin Tonya Harding, insbesondere auch ihre schwierige Beziehung zu ihrem Ex-Mann und ihrer Mutter. Letztere wird gespielt von Allison Janney («Juno»), die eine Nominierung als «Beste Nebendarstellerin» praktisch auf sicher hat. Einerseits durch ihr Talent, andererseits durch ihre allgemeine Beliebtheit in der Filmbranche. Ob es auch für Margot Robbie reicht, ist fragwürdig.
«I, Tonya» kommt am 22. Februar 2018 in die Schweizer Kinos.
11. «The Florida Project» von Sean Baker
Das Indie-Drama, angesiedelt im Schatten des Disney World in Orlando, FL, zeigt Willem Dafoe (ein Frontrunner für die Trophäe als bester Nebendarsteller) von seiner weichen Seite. Farbenfroh und empathisch, dürfte der Film von «Tangerine»-Regisseur Sean Baker viele Mitglieder der Academy in Nebenkategorien überzeugen.
«The Florida Project» kommt am 8. Februar 2018 in die Schweizer Kinos.
10. «Phantom Thread» von Paul Thomas Anderson
Paul Thomas Anderson steht hinter Meisterwerken wie «Magnolia» «Boogie Nights» und «There Will Be Blood», die Voraussetzungen sind also da. Nur hat das Drama, das insbesondere für seine Kostüme gelobt wird, seinen offiziellen Kinostart noch vor sich. Hauptdarsteller Daniel Day-Lewis hat angekündigt, dass er nach dem Film mit der Schauspielerei aufhören wird, dies könnte ihm natürlich zu einer Abschieds-Nominierung verhelfen.
«Phantom Thread» kommt am 1. Februar 2018 in die Schweizer Kinos.
9. «Get Out» von Jordan Peele
«Get Out» von Comedian Jordan Peele («Key & Peele») war der Überraschungserfolg des letzten Frühlings. Diese verrückte Horror-Satire mit politischem Unterton wird es als Genre-Film schwer haben, sich gegen etablierte Dramen und Filmemacher durchzusetzen, ganz abschreiben kann man ihn deswegen aber noch nicht. Nominierungen für Peele als Regisseur oder Daniel Kaluuya als Hauptdarsteller sind Longshots, am ehesten dürfte es eine Nominierung fürs beste Originaldrehbuch geben.
«Get Out» lief ab dem 4. Mai 2017 in den Schweizer Kinos.
8. «Mudbound» von Dee Rees
Netflix möchte auch dieses Jahr wieder mitmischen. «Mudbound» von Dee Rees, der bereits im Januar in Sundance Premiere feierte, stellt dabei die beste Chance für den Streaming-Giganten dar. Das vom gleichnamigen Roman adaptierte Drehbuch, Mary J. Blige (Nebendarstellerin), Jason Mitchell (Nebendarsteller) oder Dee Rees (Regie) sind dabei in guter Lage, Nominierungen einzuheimsen. Reicht es sogar in der Kategorie «Bester Film»?
«Mudbound» ist ab 17. November auf Netflix Schweiz verfügbar.
Die Spitzenreiter:
7. «Darkest Hour» von Joe Wright
«Darkest Hour» ist «The King’s Speech» dieses Jahres. Klassisch, ohne Risiken einzugehen, ist er gängiges Oscar-Bait. Für «King’s Speech» hat es bis zur goldenen Statue gereicht, seit 2011 ist aber einiges passiert und es darf bezweifelt werden, dass die Academy, die in den letzten Jahren experimentellere Filme wie «Birdman» oder «Moonlight» ausgezeichnet hat, darauf im gleichen Masse anspricht. Gary Oldman als Winston Churchill hingegen mischt in der Hauptdarsteller-Kategorie an vorderster Front mit.
«Darkest Hour» kommt am 11. Januar 2018 in die Schweizer Kinos.
6. «Three Billboards Outside Ebbing, Missouri» von Martin McDonagh
«Three Billboards Outside Ebbing, Missouri» von Martin McDonagh («In Bruges», «Seven Psychopaths») hat in Venedig den Preis für das beste Drehbuch entgegen nehmen und in Toronto den Publikumspreis gewinnen können. Gute Voraussetzungen, und mit Frances McDormand in der Hauptrolle, dürften einige Nominierungen drin liegen für das Crime-Drama.
«Three Billboards Outside Ebbing, Missouri» kommt am 25. Januar 2018 in die Schweizer Kinos.
5. «Lady Bird» von Greta Gerwig
Der Überraschungshit des Herbsts heisst «Lady Bird» von Greta Gerwig. Bereits jetzt der bestbewertete Film auf Rotten Tomatoes, ist dieser kleine Indie wie ein Superpilz aus dem Boden geschossen. Sowohl in den Darsteller- (Saoirse Ronan, Laurie Metcalf), Regie- und Drehbuch-Kategorien dürfte er bei kommenden Awards für Upsets sorgen.
«Lady Bird» kommt am 19. April 2018 in die Schweizer Kinos.
4. «Call Me by Your Name» von Luca Guadagnino
Der andere Indie-Hit des Jahres heisst «Call Me by Your Name» und stammt aus der Feder vom Italiener Luca Guadagnino («I Am Love»). Die Coming-of-Age-Geschichte über den 17-jährigen Elio (wohl die Entdeckung des Jahres: Timothée Chalamet, auch in «Lady Bird» mitspielend), der sich auf dem Familienlandsitz in der Lombardei in den amerikanischen Studenten Oliver (Armie Hammer) verliebt, ist einer der feinfühligsten, intimsten und ästhetischsten Filme des Jahres. Dies wird sich zweifellos auch bei den Oscars bezahlt machen.
«Call Me by Your Name» kommt am 1. März 2018 in die Schweizer Kinos.
3. «Dunkirk» von Christopher Nolan
Es wird Zeit, Christopher Nolan mit Oscars auszuzeichnen. Was eignet sich besser dazu, als ein Zweiter Weltkrieg-Film? In den technischen Kategorien (Sound, Schnitt, Production Design), aber auch in Kategorien wie «Beste Regie» oder «Bestes Drehbuch» wird «Dunkirk» sicherlich nominiert werden. Aus der Darsteller-Riege könnte Mark Rylance («Bridge of Spies») den Durchbruch schaffen. Erstmals für Nolan ist auch die Trophäe für den besten Film greifbar.
«Dunkirk» lief ab dem 27. Juli 2017 in den Schweizer Kinos.
2. «The Shape of Water» von Guillermo Del Toro
Guillermo Del Toro hat bereits mit «Pan’s Labyrinth» bewiesen, dass seine Borderline-Fantasy-Filme auf dem Radar der Academy ist. Dies und der Goldene Löwe am Filmfestival von Venedig im September machen «The Shape of Water» zu einem Frontrunner in der «Bester Film»-Kategorie. DarstellerInnen Sally Hawkins, Richard Jenkins und Octavia Spencer haben ebenfalls gute Chancen, genauso wie das hochgelobte Production Design des Films.
«The Shape of Water» kommt am 15. Februar 2018 in die Schweizer Kinos.
1. «The Post» von Steven Spielberg
Anders als vergangenes Jahr, wo sich «La La Land» schon früh als Frontrunner herauskristallisierte, gibt es dieses Jahr keinen solchen Film, den man als ‚Safe Bet‘ bezeichnen könnte. Deshalb ist es auch schwierig, den ersten Platz zu besetzen. «Call Me by Your Name» ist seit Sundance im Januar im Gespräch, «Dunkirk» seit seinem bombastischen Kinostart im Juli, «The Shape of Water» seit dem grossen Preis in Venedig und «Lady Bird» seit seinem Status als Herbst-Überraschungshit. Alle diese Filme sind so fundamental unterschiedlich, dass es zu diesem Zeitpunkt praktisch unmöglich ist, den Gewinner vorherzusagen. Nun kommt aber noch «The Post» von Steven Spielberg, der erst noch ins Kino kommt, aber vergangene Woche vom «National Board of Review» als Film des Jahres ausgezeichnet wurde. Spielberg an der Spitze hat mit Meryl Streep und Tom Hanks in den Hauptrollen (beide sind ebenfalls vom National Board ausgezeichnet worden) einen politisch und gesellschaftlich hochaktuellen Film geschaffen, der perfekt zur Awards Season in die Kinos gebracht wird. Die Voraussetzungen sind einfach zu gut, als dass man ihn in dieser Diskussion ignorieren könnte.
«The Post» kommt am 22. Februar 2018 in die Schweizer Kinos.
Mögliche Störenfriede
Ganz berechenbar ist der Ausgang natürlich nicht, und so könnten auch James Francos «The Disaster Artist», Aaron Sorkins Regiedebüt «Molly’s Game», «Stronger» mit Jake Gyllenhaal, Sofia Coppolas Cannes-Favorit «The Beguiled», Yorgos Lanthimos‘ «The Killing of a Sacred Deer», der Sundance-Hit «The Big Sick» oder das Tennis-Drama «Battle of the Sexes» noch nach vorne stürmen. Erst kürzlich als möglicher Kandidat etabliert hat sich die Romanverfilmung und Box Office-Hit «Wonder» mit Jacob Tremblay und Julia Roberts. Obwohl für letzteren bis anhin keine Oscar-Kampagne geplant ist, könnte er in den inneren Kreis vorstossen.
Hinter den Erwartungen zurückgeblieben und somit wohl nur Aussenseiter-Chancen haben Kathryn Bigelows Polizeigewalt-Drama «Detroit», Alexander Paynes Schrumpf-Dramedy «Downsizing», Todd Haynes’ «Wonderstruck» und Woody Allens «Wonder Wheel» mit Kate Winslet und Justin Timberlake.
Neben «The Post» stehen noch zwei weitere Kinostarts aus, nämlich derjenige des aufwändig produzierten Musicals «The Greatest Showman» und Scott Coopers «Hostiles». Ganz aufmischen werden sie die Konstellation aber wohl nicht. Dasselbe gilt für den bereits erwähnten «All the Money in the World» von Ridley Scott, wo Kevin Spacey kurzerhand durch Christopher Plummer ersetzt wird und dabei trotz umfangreichem Nachdreh den Kinostart vom 22. Dezember einzuhalten versucht.
Frontrunners nach Kategorie:
Bester Film: The Post, The Shape of Water, Dunkirk, Call Me by Your Name und Lady Bird
Beste Regie: Christopher Nolan (Dunkirk), Guillermo Del Toro (The Shape of Water), Luca Guadagnino (Call Me by Your Name), Steven Spielberg (The Post) und Greta Gerwig (Lady Bird)
Bestes Originaldrehbuch: Three Billboards, Lady Bird und Get Out
Bestes Adaptiertes Drehbuch: Call Me by Your Name, Mudbound und The Disaster Artist
Bester Hauptdarsteller: Gary Oldman (Darkest Hour), Daniel Day-Lewis (Phantom Thread) und Timothee Chalamet (Call Me by Your Name)
Beste Hauptdarstellerin: Frances McDormand (Three Billboards), Sally Hawkins (The Shape of Water) und Saoirse Ronan (Lady Bird)
Bester Nebendarsteller: Willem Dafoe (The Florida Project), Sam Rockwell (Three Billboards), Armie Hammer (Call Me by Your Name) und Michael Stuhlbarg (Call Me by Your Name)
Beste Nebendarstellerin: Laurie Metcalf (Lady Bird), Allison Janney (I, Tonya) und Mary J. Blige (Mudbound)
Beste Kamera: Blade Runner 2049, Dunkirk und The Shape of Water
Bester Schnitt: Dunkirk, The Shape of Water und Blade Runner 2049
Bestes Kostümdesign: Beauty and the Beast, Phantom Thread und Darkest Hour
Bestes Production Design: The Shape of Water, Blade Runner 2049 und Darkest Hour
Beste Filmmusik: Dunkirk, The Shape of Water und Darkest Hour
Bester Filmsong: «Remember Me» (Coco), «The Mystery of Love» (Call Me by Your Name) und «Evermore» (Beauty and the Beast)
Bester Ton/Tonschnitt: Dunkirk, Blade Runner 2049 und Star Wars: The Last Jedi
Bestes Makeup/Hairstyling: Darkest Hour und The Shape of Water
Beste visuelle Effekte: War for the Planet of the Apes, Blade Runner 2049 und Star Wars: The Last Jedi
Bester Animationsfilm: Coco, Loving Vincent und The Breadwinner
Die 90. Academy Awards finden am 4. März 2018 statt, die Nominierungen werden am 23. Januar bekannt gegeben. Einen Indikator, welche Filme herausstechen werden, werden die Golden Globe-Nominierungen sein, die am 11. Dezember verkündet.
No Comments