In «The Cabin in the Woods» sezierte der Regisseur und Autor Drew Goddard das Horrorgenre. Im spannenden, unterhaltsamen und hintersinnigen «Bad Times at the El Royale» nimmt er sich nun den modernen Gangsterfilm vor.
Wie selbstreflexiv kann die Popkultur werden, bis ihre Produkte keinen Spass mehr machen? Wie weit kann man die Dekonstruktion von Klischees und Genres treiben, bevor konventionelle Erzählformen keine Bedeutung mehr haben? Diese Fragen treiben Kritik wie Künstler seit Jahren um, und nicht selten ist der Name Quentin Tarantino darin verwickelt: Lange schien es so, als hätte er mit seinen Neunzigerjahre-Klassikern «Reservoir Dogs» (1992) und «Pulp Fiction» (1994) das altehrwürdige Gangster-Genre auf die Spitze des Meta-Kommentars getrieben.
Nun aber zeigt Drew Goddard mit «Bad Times at the El Royale», dass sich das Spiel durchaus noch weitertreiben lässt – dass man auch Tarantino in seine Einzelteile zerlegen kann. Dabei gelingt dem Schöpfer der Netflix-Serie «Daredevil» ein beeindruckendes Kunststück: Anders als in seiner letzten Regiearbeit, dem grossartigen «The Cabin in the Woods» (2012), bindet er dem Publikum hier seine Auseinandersetzung mit den Mechanismen des Filmemachens nicht auf die Nase.
Tatsächlich könnte man «Bad Times» zunächst für eine unkritische späte Ergänzung zum Tarantino-Kanon halten. Die Ausgangslage – eine Prämisse im Stile Agatha Christies, ein ironisch überhöhter Schauplatz – erinnert an «Reservoir Dogs» und «The Hateful Eight» (2015): Ein Priester auf der Durchreise (der grossartige Jeff Bridges), eine Sängerin auf dem Weg zu einem Auftritt (Cynthia Erivo), ein Staubsaugervertreter aus dem Süden (Jon Hamm) und ein unhöflicher Hippie (Dakota Johnson) finden sich Ende der Sechzigerjahre im Hotel El Royale wieder – einem Hotel, das genau auf der Grenze zwischen den US-Bundesstaaten Kalifornien und Nevada liegt. Seine besten Zeiten hat das Etablissement längst hinter sich; der einzige Angestellte ist der junge Miles (Lewis Pullman). Dem Quintett steht eine ereignisreiche Nacht bevor, denn bald wird klar: Jeder hat Dreck am Stecken.
«Goddard erzählt seine Geschichte gewissenhaft und ohne effekthascherische Illusionsbrüche. Das subversive Potenzial liegt in der Geschichte selbst.»
Goddard erzählt seine Geschichte gewissenhaft und ohne effekthascherische Illusionsbrüche. Das subversive Potenzial liegt in der Geschichte selbst: «Bad Times», der mit möglichst wenig Vorwissen genossen werden sollte, erzählt unter der Oberfläche seines Katz-und-Maus-Plots vom Zuschauen, vom Mitfiebern, von der Lust am heimlichen Beobachten. Ohne moralisierend zu wirken, stellt er die Frage in den Raum, worin denn eigentlich der Reiz liegt, sich ins Leben von zwielichtigen Lügnern hineinzuversetzen. Tarantino fühlte sich zu solchen Gestalten hingezogen und machte sie zu seinen Helden. Goddard zoomt heraus und will wissen, warum das funktioniert hat.
Eine schlüssige Antwort findet der Film trotz einer Laufzeit von 140 Minuten leider nicht. Dafür wartet er mit hohem Unterhaltungswert, grossartiger Kamera- und Ausstattungsarbeit sowie, in bester Thriller-Manier, mit unzähligen, ungemein stilsicher inszenierten Spannungsmomenten auf. Das genügt, um Drew Goddards nächstem Projekt freudig entgegenzusehen.
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Kinostart Deutschschweiz: 11.10.2018
Filmfakten: «Bad Times at the El Royale» / Regie: Drew Goddard / Mit: Jeff Bridges, Cynthia Erivo, Jon Hamm, Dakota Johnson, Lewis Pullman, Cailee Spaeny, Chris Hemsworth / USA / 142 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Twentieth Century Fox Film Corporation
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