Was ist das Schlimmste, was dir in einer Airbnb-Ferienwohnung passieren könnte? Schimmel? Eine unhöfliche Gastgeberin? Horrende Reinigungsgebühren? Oder etwa – wie der Beginn von «Barbarian» vermuten lässt – vor der Tür zu stehen und zu bemerken, dass die Wohnung versehentlich doppelt vermietet wurde? Denkste! Zach Creggers haarsträubender Grusler lotet seine Prämisse in unvorhergesehene Tiefen aus – verliert sich dabei aber zunehmend im Gewirr des Ekels und der Willkür.
Tess Marshall (Georgina Campbell) kann ihr Unglück nicht fassen: Im strömenden Regen steht sie in einer heruntergekommenen Detroiter Nachbarschaft vor der Tür ihres Airbnbs – und Keith (Bill Skarsgård), dem Typen, der behauptet, die Wohnung ebenfalls gemietet zu haben. Da sämtliche Hotelzimmer in der Stadt ausgebucht sind, bleibt Tess nichts anderes übrig, als das Airbnb mit dem Fremden zu teilen. So weit, so unangenehm. Schlimmer wird die Situation, als Tess im Keller einen geheimen Gang findet…
Eine verlotterte Nachbarschaft, ein Haus, in dem sich Türen scheinbar von alleine öffnen, und ein attraktiver Fremder, der behauptet, nicht wie andere Männer zu sein: «Barbarian» sät das Potenzial für den kommenden Horror grosszügig. Dass Tess das Haus ausgerechnet mit Bill Skarsgård – bekannt als Mörderclown Pennywise aus den «It»-Filmen – teilen muss, ist nicht nur ein essenzielles Detail, sondern inspiriertes Casting, dank dessen man sich auch in den ruhigeren Anfangsszenen zu keinem Zeitpunkt wohlfühlt. Einiges an Zeit und filmischem Geschick wird darauf verwendet, Skarsgårds Figur semi-sympathisch, semi-unangenehm lungern, blinzeln und stottern zu lassen und durch das visuelle Spiel mit Türen, Schlössern und Räumen eine schleichende Klaustrophobie aufzubauen. Die Frage köchelt für eine Weile: Wann geht der Horror los – und wo wird er herkommen?

Bill Skarsgård als Keith / Photo courtesy of 20th Century Studios. © 2022 20th Century Studios. All Rights Reserved.
«Die Stärke von Zach Creggers Drehbuch ist es aber, seine Prämisse mit Volldampf in unerwartete Richtungen preschen zu lassen. Dementsprechend sei dem Publikum an dieser Stelle geraten, keine weiteren Plotbeschreibungen zu lesen und sich unwissend dem Irrwitz hinzugeben.»
Die Stärke von Zach Creggers Drehbuch ist es aber, seine Prämisse mit Volldampf in unerwartete Richtungen preschen zu lassen. Dementsprechend sei dem Publikum an dieser Stelle geraten, keine weiteren Plotbeschreibungen zu lesen und sich unwissend dem Irrwitz hinzugeben: Dass jemand basierend auf den ersten Sequenzen errät, wohin es den Film verschlägt und welche verstörenden Tiefen er ausloten will, ist höchst unwahrscheinlich.
Die fintenreiche Erzählmethode sorgt für reichlich Nervenkitzel und ungläubiges Kopfschütteln – aber auch für eine grundlegende Fragmentierung: Nicht alle Puzzleteile sind gleich überzeugend, und die tonale Achterbahnfahrt zwischen spannungsgeladenem Thriller und trashy Slasher funktioniert mal mehr, mal weniger. Thematische interessante Stränge – Urbanisierung und Verfall, Gewalt von Männern an Frauen, Freud’sche Abgründe – werden mit Holzhammer-Subtilität bearbeitet. Und während der Film durchaus humorvolle Momente hat (ein vergnüglich hassenswerter Justin Long googelt etwa, ob er das soeben entdeckte Horror-Tunnelsystem unter seinem Haus beim Verkauf in die Quadratmeterzahl einberechnen kann), könnte der Film noch viel mehr Profit aus der eigenen Absurdität schlagen.

Georgina Campbell als Tess / Photo courtesy of 20th Century Studios. © 2022 20th Century Studios. All Rights Reserved.
«Wirklich viel Neues bietet ‹Barbarian› nicht, weder thematisch, noch atmosphärisch, noch als Eintrag in das Horror-Genre: Ein bisschen ‹The Hills Have Eyes›, ein bisschen ‹Braindead›, ein bisschen ‹Creep› – die Liste könnte endlos weitergeführt werden.»
Wirklich viel Neues bietet «Barbarian» nicht, weder thematisch, noch atmosphärisch, noch als Eintrag in das Horror-Genre: Ein bisschen «The Hills Have Eyes» (1977), ein bisschen «Braindead» (1992), ein bisschen «Creep» (2004) – die Liste könnte endlos weitergeführt werden. Dazu ist der Film etwas gar verliebt in die eigene Willkür und den zunehmenden Ekel, mit dem die Plotstücke serviert werden: Des Öfteren wirkt das Drehbuch weniger wie ein kohärentes Ganzes als eine aus dem Ruder gelaufene «Yes, and»-Übung einer hyperaktiven Impro-Theatergruppe. Mitreissend sind sein erzählerischer Aberwitz und die überbordende Experimentierfreude aber allemal.
–––
Jetzt auf Disney+
Filmfakten: «Barbarian» / Regie: Zach Cregger / Mit: Georgina Campbell, Bill Skarsgård, Justin Long, Matthew Patrick Davis, Richard Brake / USA / 102 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Photo courtesy of 20th Century Studios. © 2022 20th Century Studios. All Rights Reserved.
Zach Cregger will mit «Barbarian» schockieren und überraschen. Beides gelingt ihm – auch wenn er dafür die Kohärenz und Tiefgründigkeit seines Skripts opfert.
No Comments