Greta Gerwig does «Barbie»: bunt, witzig, selbstreferenziell und mit einem Hauch von nichtssagendem Pop-Feminismus. Muss es uns stören, dass der Film keinen Hehl daraus macht, dass er uns etwas verkaufen will?
Der Entstehungsprozess von Greta Gerwigs «Barbie» ist um einiges bizarrer als alles, was in ihrem Plastikmärchen vorkommt – also lasst uns damit beginnen. Es war einmal eine Firma namens Mattel, die nichts anderes wollte, als die Kinder dieser Welt zum Lachen zu bringen. Doch im Jahr 2018 sah der Spielzeuggigant die sich mit sinkenden Umsatzzahlen konfrontiert. Da hatte der CEO Ynon Kreiz eine Idee: Warum das Lachen nur einmal verkaufen, in Form eines Spielzeugs, und nicht doppelt, dreifach, vierfach – mit Filmen über die Produkte aus dem Katalog und Merchandise zu diesen Filmen über die Produkte aus dem Katalog? (Et cetera?) Kindheit und Nostalgie als Marketingtools – Disney, Marvel und Co. machen es vor.
Dass Greta Gerwig als Regisseurin auserkoren wurde, ist genauso kalkuliert wie der Rest dieses Projekts. Immerhin hatte sich diese nach ihrer Mumblecore-Karriere mit den wunderbaren «Lady Bird» (2017) und «Little Women» (2019) einen Namen als feministische Regisseurin gemacht, die mit «den Jungen» auf den sozialen Netzwerken resoniert und deren Skripts endlos zitierbar sind. Das perfekte Gesicht also für ein Projekt, dessen grösste Angriffsfläche seine Hauptfigur sein würde – die ewig diskutierte Barbie, von den einen als unproportionierte Antifeministin verschrien, von den anderen zur weiblichen Inspirationsfigur verklärt.
Entsprechend ist das Skript darauf gebürstet, augenzwinkernde Antworten an beide Lager zu liefern: Barbie (Margot Robbie) lebt im perfekten Barbieland, wo den ganzen Tag nur gefeiert und getanzt wird. Frauen sind dort Präsidentinnen, Ärztinnen, Bauarbeiterinnen und gewinnen jeden einzelnen Nobelpreis. Sexismus existiert nicht – ausser, vielleicht, für Barbie-Anhängsel Ken (Ryan Gosling), der einzig für den «Barbie gaze» existiert und seine Lebensaufgabe als «just beach» beschreibt. Aus Gründen muss Barbie schliesslich in die «echte Welt» ausbüxen – wo sie, wider Erwarten, nicht als feministische Retterin begrüsst, sondern als Antifeministin, ja sogar als «Faschistin» beschimpft wird.
«Obwohl den Legenden zufolge Gerwig und ihr Partner Noah Baumbach komplette kreative Freiheit beim Skriptprozess genossen, ist es schwer, diesen Film nicht mit zynisch zusammengekniffenen Augen zu schauen.»
Obwohl den Legenden zufolge Gerwig und ihr Partner Noah Baumbach («Marriage Story») komplette kreative Freiheit beim Skriptprozess genossen, ist es schwer, diesen Film nicht mit zynisch zusammengekniffenen Augen zu schauen. Denn mit dem Hintergrundwissen, dass es sich bei «Barbie» nur um den ersten von Dutzenden von geplanten Mattel-Filmen handeln soll, wird es beinahe unmöglich, das Ganze nicht als auf Hochglanz poliertes Verkaufsgespräch zu sehen und schreiend davonlaufen zu wollen. Und das, obwohl «Barbie» teilweise durchaus zu bestechen weiss.
Besonders die ersten 40 Minuten in der Barbie-Welt zeigen, dass Gerwig (mit «and Ken»-Baumbach) es noch immer versteht, schräge, aber nachvollziehbare Figuren zu schaffen und ihren spezifischen Witz, der «Lady Bird» so frisch daherkommen liess, zu barbiefizieren. So fragt Barbie etwa ganz naiv nach einem glitzrigen Dance-off in die Runde, ob auch die anderen öfters mal über den Tod nachdächten – oder zeigt in der «echten Welt» strahlend auf ein Poster leichtbekleideter Models und verkündet: «Look, the Supreme Court! They’re so smart!». Der Film verliert aber rasant an Tempo, Charme und Originalität, sobald sich Barbie in der «echten Welt» zurechtfinden muss – ein narrativer Kniff, den man in dieser Form schon viele Male gesehen hat, etwa in Disneys «Enchanted» (2007). Dass es sich hier tatsächlich um die stärkste Geschichte handelt, die Gerwig-Baumbach bei kompletter kreativer Kontrolle erschaffen konnten, wirft ein paar Fragezeichen auf.
Getragen werden die Glanzmomente des Skripts von seinen grossartigen Leads: Nicht nur optisch ist Margot Robbie offensichtlich die ideale Barbie, auch ihr herzensgut-naives Spiel verleiht der Plastikpuppe eine unerwartete emotionale Tiefe, während sie mit den Schrecken des Todes und der Zellulite ringt. Dass aber Ryan Gosling als trottelig-treuer Ken in jeder Szene die Show stiehlt, darüber sind sich bislang sämtliche Kritiken einig: Gosling spielt den ewigen Boyfriend mit herrlicher Ernsthaftigkeit und komödiantischem Gusto und parodiert unbefangen sämtliche seiner Talente, vom romantischen Schmollmund bis hin zu Musical-Einlagen à la «La La Land» (2016).
«Gosling spielt den ewigen Boyfriend mit herrlicher Ernsthaftigkeit und komödiantischem Gusto und parodiert unbefangen sämtliche seiner Talente, vom romantischen Schmollmund bis hin zu Musical-Einlagen à la ‹La La Land›.»
Auch Gerwigs Regiearbeit ist gewohnt virtuos: Die Barbie-Welt, erschaffen von Sarah Greenwood und Katie Spencer, glänzt mit tiefenloser Künstlichkeit, in der die Kamera sich in linearen Spielzeughaus-Ebenen bewegt. Das Set- und Kostüm-Design (Letzteres von Jacqueline Durran, die unter anderem für ihre Arbeit an «Little Women» einen Oscar gewann) ist ein wahres Feuerwerk an Barbie-Katalog-Referenzen, bei dem alles gleichsam wunderbar künstlich und anfassbar wirkt: Barbie-Häuser ohne Wände, Plastik-gefüllte Pools, 2D-Kartonhintergründe und Autos, in denen Barbie mit gestreckten Beinen sitzt – Barbieland ist eine lebendig gewordene Ode ans Spielzeug. (Visuelle Langeweile macht sich aber auch hier breit, sobald Barbie in die «echte Welt» abdüst.)
Ja, die Stärken von Gerwig (and Baumbach) sind präsent – zunehmend aber kurios plastifiziert und durch eine Mattel-förmige Linse gefilmt: teils IP-Branding, teils «Greta Gerwig wehrt sich irgendwie ironisch, irgendwie auch nicht, gegen IP-Arbeit – it’s complicated». Die Pointen sind oft treffend, haben aber zufälligerweise die perfekte Länge für ein Reel oder ein Meme, triefen mit Buzzwords («you fascist») und selbstreferenziellen Plattitüden, die ins Leere führen. Nichts folgt etwa auf die Szene, in der eine Gruppe von Teenagern Barbie mit ihrer Rolle als kapitalistisches Plastikprodukt, das Mädchen in Essstörungen treibt, konfrontieren. Angesprochen werden muss der Elefant im Raum – und dann? Lieber schnell einen modernen Abklatsch der beliebten Jo-March-Rede aus «Little Women» über die Tücken des Frauseins einspielen: ansprechend genug, um Feminismus zu signalisieren, aber so generisch und harmlos, dass keine Probleme – Barbie oder real – wirklich angegriffen werden.
«Ambiguität, Komplexität, unbeantwortete Fragen – das muss nichts Schlechtes sein. Doch im Mattel-Kontext hinterlässt die Pop-Kritik einen schalen Nachgeschmack.»
Ambiguität, Komplexität, unbeantwortete Fragen – das muss nichts Schlechtes sein. Doch im Mattel-Kontext hinterlässt die Pop-Kritik einen schalen Nachgeschmack: Oberflächliche Selbstkritik wird Teil der Marke, erstickt von zahllosen Lagen von Ironie. «Barbie» schafft sich selbst ein bizarres postmodernes Halbleben, in dem es sich vor den Augen des Publikums selbst montiert und demontiert: Die Puppe ist problematisch, die Puppe ist Feministin – die Puppe ist einfach nur Puppe. Und am Ende ist es auch völlig egal: Barbie-Nagellack, Barbie-Pullover und Barbie-Frappuccinos kaufen wir alle sowieso – bis die neuen Merchandise-Artikel für J.J. Abrams‘ «Hot Wheels», Daniel Kaluuyas «Barney the Dinosaur» und Lena Dunhams «Polly Pocket» in die Regale gestapelt werden.
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Kinostart Deutschschweiz: 20.7.2023
Filmfakten: «Barbie» / Regie: Greta Gerwig / Mit: Margot Robbie, Ryan Gosling, Will Ferrell, America Ferrara, Ariana Greenblatt, Kate McKinnon, Helen Mirren, Michael Cera, Simu Liu, Issa Rae, Hari Nef, Alexandra Shipp, Rhea Perlman / USA / 114 Minuten
Bild- und Trailerquelle: © 2023 Warner Bros. Entertainment Inc.
Greta Gerwigs «Barbie» unterhält mit poppiger Künstlichkeit, Witz und einem Ryan Gosling in Höchstform. Dafür kleidet es sich in Mattel-farbene, leicht verdauliche feministische Plattitüden.
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