Hinter jeder grantigen Unsympathin, die einen im Alltag nervt, steckt eine komplexe Person mit Problemen, Ängsten und Hoffnungen – aber das muss einen nicht davon abhalten, ihr das Leben zur Hölle zu machen! Die wütende Prämisse der Miniserie «Beef» ist vielversprechend – mit einem stringenteren Skript würde sie allerdings noch mehr glänzen.
Studien sind sich einig: Seit den weltweiten COVID-Lockdowns sind wir als Gesellschaft ungeduldiger, unhöflicher und übellauniger geworden. Nach Jahren von Isolation, Stress und sowohl persönlichen als auch globalen Sorgen – so diverse Artikel – lassen Menschen ihre negativen Gefühle viel eher an Restaurantpersonal oder anderen Verkehrsteilnehmenden aus als vor der Pandemie. Lee Sung Jins «Beef», eine Serie über zwei unglückliche Kampfhähne, die sich aus Wut und Rachsucht gegenseitig den Lebensfrieden zerstören, erweist sich entsprechend nicht nur als unterhaltsam, sondern auch als wenig schmeichelhaftes Porträt unserer kollektiven Unleidigkeit.
«Lee Sung Jins ‹Beef›, eine Serie über zwei unglückliche Kampfhähne, die sich aus Wut und Rachsucht gegenseitig den Lebensfrieden zerstören, erweist sich nicht nur als unterhaltsam, sondern auch als wenig schmeichelhaftes Porträt unserer kollektiven Unleidigkeit.»
Im Leben von Danny Cho (ein gewohnt nuancierter und empathischer Steven Yeun) will einfach nichts gelingen: Dannys Handwerker-Business läuft schleppend und sein kleiner Bruder Paul (Young Mazino) ist ein unambitionierter Krypto-Spekulant. Dies lastet gleich doppelt auf Dannys Schultern, will er doch seine Eltern aus Korea zurück nach L.A. holen und ihnen einen komfortablen Lebensabend bieten. Entsprechend angespannt ist er bereits, als ein Heimwerkerladen sich weigert, die Tischgrills anzunehmen, die Danny zurückgeben möchte. Draussen auf dem Parkplatz hupt ein weisser Mercedes und die Person hinter dem Steuer zeigt Danny den Mittelfinger. Es reicht: Danny gibt den angestauten Aggressionen nach, verfolgt den Wagen – und bringt so die Handlung ins Rollen.
Hinter dem Steuer des schicken Flitzers sitzt nämlich nicht ein gesichtsloser Fiesling, sondern Pflanzengeschäftsmogul Amy Lau (Ali Wong, bislang vor allem als Stand-Up-Komikerin bekannt), die selbst Ängste und Sorgen mit sich herumschleppt: Ihre Rolle als erfolgreiche Brötchenverdienerin lässt ihr kaum Zeit mit ihrer kleinen Tochter June (Remy Holt) oder ihrem Möchtegern-Künstler-Ehemann George (Joseph Lee). Seit Jahren rackert sie nahe am Burnout, um den Laden endlich gewinnbringend zu verschachern. Ein unachtsamer Autofahrer wie Danny, der ihr den Weg versperrt, ist das Letzte, was sie braucht.
Der titelgebende «Beef» der beiden aggressiv fahrenden Wüteriche eskaliert über die folgenden zehn Episoden rasant zu einem Kleinkrieg, was besonders in den ersten Episoden der Serie unterhaltsam und frisch daherkommt. Durch Amys und Dannys grantige Eskapaden linst «Beef» zudem – mal mehr, mal weniger subtil – hinter die Fassade von Depressionen, Einsamkeit, Klassenunterschieden, Familienkonflikten und kapitalistischem Stress. Die Art und Weise, wie Amy und Danny ihre eigenen tiefen Unzufriedenheiten aufeinander projizieren und diabolische Genugtuung aus sinnloser Tyrannei gewinnen, wirkt unangenehm vertraut: ein geschickt umrissener Schatten von so manch brennendem gesellschaftlichem Zerwürfnis, on- als auch offline.
«Der titelgebende ‹Beef› der beiden aggressiv fahrenden Wüteriche eskaliert über die folgenden zehn Episoden rasant zu einem Kleinkrieg, was besonders in den ersten Episoden der Serie unterhaltsam und frisch daherkommt.»
Allerdings streckt sich die Laufzeit der Miniserie zunehmend; die Episoden blähen sich unförmig auf; und die Eskalationen werden entweder unnötig zum Schockeffekt überspitzt oder sind nicht spitz genug, um einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Mit einer stringenten Straffung der fast siebenstündigen Laufzeit – vielleicht sogar auf Spielfilmlänge – wäre die Serie um einiges prägnanter und selbstsicherer in ihrem Tonfall. So aber pendelt das Publikum zwischen Anspannung und banalem Füllmaterial, Thriller und Familiendrama – und bekommt zum Schluss eine so unsubtile Moralkeule über den Dez gezogen, dass man sich kaum noch an den zynischen Biss und die scharfen Figurenzeichnungen der Anfangssequenzen erinnern kann.
–––
Jetzt auf Netflix Schweiz
Serienfakten: «Beef» / Creator: Lee Sung Jin / Mit: Steven Yeun, Ali Wong, Joseph Lee, Young Mazino, David Choe, Patti Yasutake / USA / 10 Episoden à 30–39 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Andrew Cooper/Netflix © 2023
No Comments