Ein Teenager verarbeitet in einer digitalen Parallelrealität den Tod ihrer Mutter. «Belle», der neue Film des gefeierten Mamoru Hosoda, ist ein visuelles Feuerwerk, das aber erzählerisch unfertig wirkt und letztlich unbefriedigend ist.
Es gibt neben Hayao Miyazaki («Princess Mononoke», «Spirited Away») wenige Anime-Regisseure, die sich ein so konstant erfolgreiches Werk erarbeitet haben wie Mamoru Hosoda. Der Regisseur, der laut eigenen Aussagen wegen Altmeister Miyazaki zum Animationsfilm fand, gewann bereits fünfmal den Japan Academy Film Prize für den besten Animationsfilm, das japanische Pendant zu den Oscars, und seine Filme «Summer Wars» (2009) und «The Boy and the Beast» (2015) zählen zu den grossen Klassikern des Genres. Und spätestens mit dem bildgewaltigen «Mirai» (2018), der sogar für einen Oscar nominiert war, gelang ihm auch international der grosse Durchbruch. Sein neuer Film «Belle» feierte 2021 am Festival von Cannes seine Weltpremiere, wo er vom Publikum mit einer viertelstündigen Standing Ovation bedacht wurde.
In «Belle» erzählt Hosoda die Geschichte des Teenagers Suzu (gesprochen von Kaho Nakamura), die nach dem tragischen Tod ihrer Mutter mit dem Schicksal hadert und betrübt ihren Gedanken nachhängt. Auch ihre ehemalige Leidenschaft, das Singen, spendet ihr keinen Trost – seit dem Tod ihrer Mutter bringt sie keinen Ton mehr aus sich heraus. Da kommt Suzu die digitale Parallelwelt U ganz gelegen: Dort kann sie eine zweite Identität annehmen und erobert als singende Belle fortan die Herzen der anderen U-User*innen. Doch allmählich holen Suzu auch im digitalen Raum ihre Sorgen und Ängste aus dem Alltag ein.
Es ist viel, das Hosoda mit seinem Film möchte: «Belle» ist nicht nur Coming-of-Age-Film und Science-Fiction-Abenteuer in einem; Hosoda greift auch schwierige, gewichtige Themen wie den Umgang mit Verlust oder häusliche Gewalt auf – und packt das alles in eine lose Adaptation der bekannten «Schöne und das Biest»-Erzählung, einschliesslich Neuinterpretation der berühmten Ballsaal-Tanzszene aus dem Disney-Klassiker.
«Hier prallen zu viele grobe, nicht zu Ende gedachte Ideenskizzen aufeinander und führen letztlich irgendwie nirgendwohin.»
Doch wie in vielen von Hosodas vergangenen Filmen tut diese Fülle an Ideen leider auch «Belle» nicht gut. Hier prallen zu viele grobe, nicht zu Ende gedachte Ideenskizzen aufeinander und führen letztlich irgendwie nirgendwohin. Das ist bedauernswert, weil man spürt, mit wie viel Leidenschaft und aufrichtiger Neugier der Filmemacher erzählt und neue fantastische Welten schaffen möchte.
Und zumindest visuell gelingt ihm das auch. Nach dem visuellen Feuerwerk, das schon «Mirai» war, doppelt Hosoda mit «Belle» gleich noch einmal nach. Die digitale Welt von U – mitgestaltet von Tomm Moore und Ross Stewart, den Köpfen hinter «Wolfwalkers» (2020) – ist atemberaubend und voller wunderbarer, liebevoll gestalteter Details, an denen man sich kaum sattsehen kann. An Hosodas überbordender Fantasie, insbesondere an der wunderbaren Wal-Parade zu Beginn des Films, hätte «Paprika»-Schöpfer Satoshi Kon seine helle Freude gehabt. Da verzeiht man Hosoda auch, dass er sich bei der Animation der Figuren etwas gar stark auf 3D-Technik verlässt, was dem Gezeigten bisweilen einen ziemlich klinischen Look verleiht.
«Die digitale Welt von U – mitgestaltet von Tomm Moore und Ross Stewart, den Köpfen hinter ‹Wolfwalkers› – ist atemberaubend und voller wunderbarer, liebevoll gestalteter Details, an denen man sich kaum sattsehen kann.»
Doch all seiner Schauwerte zum Trotz fehlt es «Belle» an einem klaren roten Faden. Der Film mäandert von Plot-Point zu Plot-Point und vergisst dabei das Erzählen. So bleiben die Figuren blass und ungreifbar, ihre Beziehungen bestenfalls erahnbar. Das ist schade, denn der ambitionierte Film von Mamoru Hosoda böte wirklich reizvolle erzählerische Ansätze, denen der Regisseur leider nie Herr wird.
Über «Belle» wird auch in Folge 45 des Maximum Cinema Filmpodcasts diskutiert.
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Kinostart Deutschschweiz: 9.6.2022
Filmfakten: «Belle» («竜とそばかすの姫», «Ryū to Sobakasu no Hime») / Regie: Mamoru Hosoda / Mit: Kaho Nakamura, Takeru Satoh, Kōji Yakusho, Lilas Ikuta, Ryō Narita, Shōta Sometani, Tina Tamashiro / Japan / 124 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Filmcoopi
Einmal mehr verliert sich Mamoru Hosoda in seinen Ambitionen und liefert mit «Belle» ein erzählerisches Tohuwabohu ab, das dem Potenzial und der schieren Bildgewalt des Films nicht gerecht wird.
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