Best-of 2019: Das sind die 27 Lieblingsfilme und -serien der Maximum-Cinema-Redaktion
Das Kino- und Serienjahr 2019 ist Geschichte. Wir schauen zurück und präsentieren (wie letztes Jahr) die 27 Lieblingstitel unserer Redakteurinnen und Redakteure. Viel Spass mit dem Maximum-Cinema-Best-of 2019!
«Parasite» von Bong Joon-ho
Bestimmt der überraschendste Film des Jahres: unvorhersehbar, temporeich und unglaublich lustig. Die Gesellschaftssatire über eine sehr arme und eine sehr reiche Familie in Südkorea verzichtet ebenso auf Moralisierung wie Genre-Konventionen. Dieser Mischung aus Sozialdrama, Komödie, Thriller und Horrorfilm konnte heuer kein anderer Film das Wasser reichen. Schön, dass «Parasite» auch kommerziell äusserst erfolgreich war. / Lieblingsfilm von Simon Kümin / Zur ausführlichen Kritik
«Joker» von Todd Phillips
Als Origin-Story sorgte «Joker» von «Hangover»-Regisseur Todd Phillips dieses Jahr für grosse Aufruhr. Im September gewann der Film den Goldenen Löwen in Venedig und scheint seither ungebremst die Massen ins Kino zu locken. Das hat der Film vor allem Joaquin Phoenix‘ beeindruckender Schauspielleistung zu verdanken: Der 45-jährige mimt den titelgebenden Comic-Bösewicht auf eine zugleich abartige und doch menschliche Weise. Gekoppelt mit Phillips‘ geschickt gemischter Inszenierung aus «arthousigen» Einstellungen und Mainstream-Hauptfigur, erwies sich «Joker» als einer der grossen Überflieger 2019. / Lieblingsfilm von Aline Schlunegger / Zur ausführlichen Kritik
«Die fruchtbaren Jahre sind vorbei» von Natascha Beller
Fast schon überrascht verkündeten die hiesigen Medien diesen Sommer, dass «Die fruchtbaren Jahre sind vorbei» von Natascha Beller beweise, dass die Schweiz durchaus lustig sein könne. Wer überrascht ist, dass die Zürcherin ihr Handwerk beherrscht, hat die letzten Jahre geschlafen – oder einfach bewusst ausgeblendet, dass Beller als Co-Autorin und Regisseurin der SRF-Satiresendung «Deville Late Night» bereits für zahlreiche grandiose Comedy-Momente verantwortlich ist. Aber ja: Mit ihrem energiegeladenen Regiedebüt über Frauen jenseits der Dreissig bringt Beller ordentlich frischen Wind in die Schweizer Kinolandschaft. Gekonnt spielt und bricht sie mit Klischees – und wenn Beller mit den Metaphern jongliert, als wäre sie eine Zirkusakrobatin auf Ecstacy, dann wird einem fast ein bisschen schwindelig. Vor Freude. / Lieblingsfilm von Olivier Samter
«The Favourite» von Yorgos Lanthimos
Regisseur Yorgos Lanthimos verleiht seiner gewohnten Trostlosigkeit in diesem Historien- und Kostümfilm, der sich durch ästhetische Bilder und starke, grausame Frauen auszeichnet, eine Portion schrillen Humor. Olivia Colman, Rachel Weisz und Emma Stone sind mit einer formidablen Darbietung in den Hauptrollen zu sehen. Lanthimos‘ frühere Filme – wie «The Lobster» und «The Killing of a Sacred Deer» – waren unerbittlich dystopisch und böswillig; «The Favourite» setzt diese Weltsicht fort. Es gibt wenige, wenn überhaupt, gute Leute in Lanthimos‘ Filmen. Aber dieses Mal, vielleicht auch dank des Drehbuchs von Deborah Davis und Tony McNamara, gelingt es dem Film durch das zwiespältige Verhalten der Figuren, den Zuschauer zumindest zum Lachen anzuregen. Der Film wurde mit verschiedenen Auszeichnungen geehrt, unter anderem als bester europäischer Film des Jahres und mit dem Oscar für Hauptdarstellerin Olivia Colman./ Lieblingsfilm von Dafina Abazi / Zur ausführlichen Kritik
«Chernobyl» von Craig Mazin und Johan Renck
Die amerikanisch-britische TV-Serie «Chernobyl» aus dem Hause HBO und Sky gilt bereits jetzt als eine der besten Serien überhaupt. Die fünfteilige Miniserie gewann zehn Emmys und hat eine IMDb-Durchschnittsbewertung von 9,5 von 10 Punkten – damit haben wohl auch die Macher Craig Mazin und Johan Renck nicht gerechnet. Die düsteren Szenen werden bildgewaltig und mit einer eindringlichen Geräuschkulisse umgesetzt. Der Serie gelingt es, die abstrakte Nuklearkatastrophe von 1986 authentisch, verständlich und trotzdem hochspannend zu erzählen. / Lieblingsserie von Joel Singh
«When They See Us» von Ava DuVernay
Netflix ist mittlerweile zu einem Moloch angewachsen, der viel Schrott ausspeit. Doch auf gefühlte 50 schlechte Serien kommt jeweils eine Eigenproduktion, die so grossartig ist, dass sie alles Andere in den Schatten stellt. «When They See Us» ist so ein Fall. Die Miniserie kreist um den berüchtigten «Central Park Jogger Case» von 1989, als in New York eine weisse Joggerin brutal vergewaltigt wurde und fünf schwarze minderjährige Jugendliche für das Verbrechen verurteilt wurden, obwohl sie unschuldig waren. Regisseurin Ava DuVernay leuchtet schonungslos den strukturellen Rassismus der USA aus und rekonstruiert präzise, wie die Medien mitschuldig waren an diesem Fehlurteil. «When They See Us» ist packend erzählt, herausragend gespielt, stellenweise schwer verdaulich und absolut notwendig. / Lieblingsserie von Dario Pollice / Zur ausführlichen Kritik
«Once Upon a Time in Hollywood» von Quentin Tarantino
Blickt man auf die Filme der letzten zwölf Monate, darf der neue Film von Quentin Tarantino kaum unerwähnt bleiben. So viel wurde darüber geschrieben, und am Ende liess er begeisterte und fragende Zuschauerinnen und Zuschauer im Saal zurück. Für mich persönlich gehört der Film zu den Lieblingen 2019 – und zwar aus einem bestimmten Grund: Die Hollywood-Stimmung und die liebevolle Nostalgie haben mich umgehauen. Sehr langsam erzählt – und eigentlich ohne Spannungsbogen –, blickt der Film zurück auf gute Zeiten und wärmt das Kinoliebhaber-Herz. Und dann wäre da noch Leonardo DiCaprio… / Lieblingsfilm von Sharon Kesper / Zur ausführlichen Kritik
«Gräns» von Ali Abbasi
Mit Floskeln wie «Unlike anything you’ve ever seen» wird in Trailern und auf Filmplakaten von gefühlt jedem zweiten neuen Kinofilm für dessen Originalität geworben und somit das FOMO-Phänomen ausgelöst, das wiederum die Kinokassen zum Klingeln bringt. Bei «Gräns», mitverfasst von John Lindqvist («Let the Right One in») und unter der Regie von Ali Abbasi verfilmt, bleibt dieser Lockspruch jedoch kein leeres Versprechen. Das mit sensibler Kameraarbeit eingefangene Bildnis der physisch entstellten Tina (Eva Melander), die am schwedischen Zoll jeden Schmuggler mit ihrem übernatürlichen Geruchssinn entlarvt, entfaltet sich von einem realistischen Alltagsporträt einer Aussenseiterin zu einem faszinierendem Genre-Clash aus Mystery-Horror, Romanze und Identitätssuche, als der ähnlich befremdlich aussehende Vore (Eero Milonoff) den Zoll passiert und Tina in eine ihr unbekannte Welt einführt. Das Märchen überzeugt nicht nur durch die nordisch-mystischen Naturbilder, das grossartige Schauspiel und einen wahrlich intelligenten Twist (sowie einer der einprägsamsten Sexszenen der Filmgeschichte), sondern findet seinen Anker auch in der Realität: So weist der Titel («Gräns» bedeutet «Grenze») bereits auf die Thematik hin, die, als Fabel verpackt, die Angst vor dem Andersartigen bespricht und somit die Flüchtlingskrise und den zunehmenden Rechtsrutsch der globalen Politik aufgreift. / Lieblingsfilm von Lola Funk
«Better Things» von Pamela Adlon
Fast hätte es die dritte Staffel «Better Things» nicht gegeben (die Gründe dafür findest du hier). Mehr als ein Jahr verstrich zwischen der zweiten und dritten Staffel, doch das Warten hat sich gelohnt. Samatha Fox (Pamela Adlon) nimmt uns einmal mehr mit auf die wilde Achterbahn, die ihr Leben als Schauspielerin und alleinerziehende Mutter von drei Teenagern ist: Es wird wieder gestritten, geliebt, versöhnt und vor allem gelacht. Selten hat eine Serie das chaotische Familienleben und das Leben moderner Frauen gleichzeitig so authentisch und amüsant dargestellt. Ich hoffe auf Staffel vier! / Lieblingsserie von Christine Albrecht / Zur ausführlichen Kritik
«The Irishman» von Martin Scorsese
«The Irishman» von Martin Scorsese schafft es mit einem tollen Drehbuch und sehr viel Liebe zum Detail, den Zuschauer in die Zeit der ganz grossen Mafiafilme wie «GoodFellas» (1990) und «Casino» (1995) zurückzuversetzen. Als Vorlage des Films diente das Buch «I Heard You Paint Houses», das den aussergewöhnliche Werdegang des Kriegsveteranen Frank Sheeran (Robert De Niro) vom einfachen Fleischlieferanten zum kaltblütigen Auftragskiller erzählt. Trotz einer Laufzeit von dreieinhalb Stunden hat jede einzelne Minute seine Berechtigung. Für Genrefans ist «The Irishman» damit definitiv ein Muss im Filmjahr 2019. / Lieblingsfilm von Lars Scheuner / Zur ausführlichen Kritik
«The Lighthouse» von Robert Eggers
Wen würdet ihr auf die berühmte einsame Insel mitnehmen – einen gestandenen Seebären mit chronischen Blähungen oder einen jungtüchtigen Suchenden auf der Flucht vor seiner eigenen Vergangenheit? In Robert Eggers‘ Kunst-Horrorfilm «The Lighthouse» – mit einer 35 mm-Linse gefilmt, auf der Kinoleinwand fast quadratisch erscheinend und mit überwältigendem Score unterlegt – hüten diese beiden Protagonisten (Willem Defoe und Robert Pattinson, beide oscarhungrig) vier Wochen lang einen Leuchtturm, kämpfen dabei gegen die äussere und die innere Natur, betrinken und bekämpfen sich, tanzen Arm im Arm und taumeln um ihre Vergangenheit herum. Vielleicht ist «The Lighthouse» nicht der beste Film des Jahres – aber zweifelsfrei das immersivste, nachhallendste Experimental-Theater, das filmisch festgehalten wurde. / Lieblingsfilm von Daniela Bär / Zur ausführlichen Kritik
«Us» von Jordan Peele
Nach seinem erfolgreichen Regiedebüt «Get Out» schreibt sich Jordan Peele mit einem weiteren Horrorfilm eine Etage tiefer ins Bewusstsein der hiesigen Schauderfreunde ein. Dabei greift er auf seine bewährte Erzählstrategie, die das geheime Mysterium erst gegen Ende offenbart und auf dem Weg dahin anhand von subtilen Hinweisen, die erst im Nachhinein Sinn ergeben, auf die erschreckende Auflösung hinsteuert. Die Geschichte um Adelaide (Lupita Nyong’o), die mit ihrer Familie für einige Tage ins Ferienhaus ihrer Kindheit fährt und dort von ihren mörderischen Doppelgängern – den wohl gruseligsten Zwillingen seit dem herzig-bösen «The Shining»-Doppelpack – heimgesucht wird, ist mehr als nur blutiger Horror im «Saw»-Stil: Geschickt erzählt und von den Schauspielern in Doppelrollen hervorragend inszeniert, entwickelt sich ein Schauderspiel, das einmal mehr auf Rassenkonflikte anspielt, sich mit Ari Asters Filmen zu einem «New Horror» vermengt und einen Soundtrack liefert, der noch lange nach dem Kinobesuch die eigenen Träume bespielt. / Lieblingsfilm von Lola Funk / Zur ausführlichen Kritik
«Ramy» von Ramy Youssef, Ari Katcher und Ryan Welch
Ramy ist ein typischer Mittzwanziger in den USA: Er lernt Frauen kennen, geht aus und «is figuring out his shit». Er ist aber auch gläubiger Muslim und hält sich an die Regeln der Religion. Meistens jedenfalls, denn während er keinen Alkohol trinkt, hat er dennoch Sex. Und das rituelle Waschen vor dem Gebet in der Moschee bringt er auch mehr schlecht als recht hinter sich – immerhin hat er ja am Morgen gerade geduscht. Comedian Ramy Youssef, gleichzeitig kreativer Kopf und Hauptdarsteller der Serie, hat «Ramy» eng an seine eigenen Erfahrungen angelehnt und erzählt mit viel Humor und Fingerspitzengefühl vom schwierigen Spagat zwischen den beiden Lebensstilen. «Ramy» ist die erste muslimisch-amerikanische Serie und schafft einen unterhaltsamen und pointierten Einblick in das persönliche (Er-)Leben eines jungen muslimischen Amerikaners – ganz im Stil von «Better Things» und «Master of None». / Lieblingsserie von Christine Albrecht
«The Farewell» von Lulu Wang
Als die 30-jährige Billi herausfindet, dass ihre Grossmutter bald sterben wird, steigt sie umgehend ins Flugzeug nach Peking, um sie zu besuchen. Unter dem Vorwand einer Hochzeit kommt die ganze Familie zusammen, um noch einmal Zeit mit der sterbenden Matriarchin zu verbringen, denn die Tatsache, dass sie schwer krank ist, wird der Betroffenen verschwiegen. Die tragikomische Geschichte stammt aus der Feder von Lulu Wang, deren eigener Grossmutter genau das widerfuhr. Die Regisseurin schafft es, tragische, für westliche Verhältnisse möglicherweise nicht nachvollziehbare Entscheidungen mit Herz, Verstand und unglaublich viel Empathie nachzuzeichnen und kreiert zusammen mit einem grossartigen, feinfühligen Cast ein Universum mit wahnsinnig liebenswerten Figuren. / Lieblingsfilm von Aurel Graf / Zur ausführlichen Kritik
«Les hirondelles de Kaboul» von Zabou Breitman und Éléa Gobbé-Mévellec
Die Schicksale zweier Paare in Kabul Ende der 1990er Jahre treffen in «Les hirondelles de Kaboul» aufeinander. Der Lehrer Mohsen und die Künstlerin Zunaira versuchen wenigstens in den eigenen vier Wänden ihr Leben zu leben. Der Gefängniswärter Atiq macht sich Sorgen um seine todkranke Frau Mussarat und muss zugleich seine Kollegen abwehren, die ihn zu überzeugen versuchen, sich doch von ihr abzuwenden und sich eine neue, jüngere Frau zu nehmen. Die Herrschaft der Taliban ist unüberwindbar und macht jegliche Hoffnung auf ein normales Leben scheinbar zu nichte. Trotz der düsteren Thematik schaffte es der Animationsfilm mit seinen schönen, fliessenden Bildern sein Publikum zu berühren und in seinen Bann zu ziehen. Ein Film, der nachhallt und im Gedächtnis bleibt./ Lieblingsfilm von Corinna Haag / Zur ausführlichen Kritik
«Das letzte Buch» von Anne-Marie Haller und Tanja Trentmann
2019 wird mir als das Jahr des Frauenstreiks in Erinnerung bleiben und «Das letzte Buch» als eine wunderbare Dokumentation über Emanzipation in der Schweiz. Katharina Zimmermann (*1933), die im Film porträtiert wird, gehört der Grossmütter-Generation an, die ohne Zustimmung ihres Mannes weder einen Vertrag abschliessen noch ein Konto eröffnen durfte. Sie heiratet jung einen Pfarrer; gemeinsam ziehen sie nach Indonesien, um zu missionieren. Aber Zimmermann ist nicht bloss mitgereiste Ehefrau und Mutter: Sie geht eigene Wege und wird Schriftstellerin. Als solche kann sie auch vom Fremdsein erzählen, das sie zuerst in Indonesien, dann aber auch zurück in der Schweiz erlebt. Ihr scharfer, auch selbstironischer Blick auf die Welt und ihr eigenes Leben zeichnet diesen Film besonders aus. / Lieblingsfilm von Karla Koller
«Queen of Hearts» von May el-Toukhy
Eine Affäre zwischen Stiefmutter und Stiefsohn – so absurd und perfide das klingt, so ist es auch in diesem Film. Mit einer bedrückenden Kühle steigert sich der dänische Film in immer tiefere menschliche Abgründe vollgepackt mit moralischen Fragen mit Gänsehauteffekt. Kurz gesagt: Man bleibt mit offenem Mund im Kinosessel zurück. Die ungemein spannende Handlung wird mit genauso eindrücklichen stilistischen Einstellungen untermalt, was den Film auf allen Ebenen absolut sehenswert macht. / Lieblingsfilm von Aline Schlunegger
«Portrait de la jeune fille en feu» von Céline Sciamma
Die subtile, scharfsichtige Romanze der französischen Regisseurin und Drehbuchautorin Céline Sciamma ist viel mehr als ein klassisches Kostümdrama. Mit knisternder Romantik und einem allgegenwärtigen Gefühl der Sehnsucht zeigt der erzählerisch und ästhetisch virtuos vorgetragene, gänzlich männerlose «Portrait de la jeune fille en feu», wie sich im 18. Jahrhundert eine Malerin (Noémie Merlant) und eine Adlige (Adèle Haenel) allmählich ineinander verlieben. Das hat nicht nur enorme emotionale Schlagkraft; Sciamma legt damit auch eine hochintelligente Auseinandersetzung mit Kunst und Repräsentation vor, in der sie eindrücklich und stimmig darlegt, wie Weiblichkeit und Queerness jahrhundertelang aus der Geschichte geschrieben wurden. / Lieblingsfilm von Alan Mattli / Zur ausführlichen Kritik
«Midsommar» von Ari Aster
Der Folk-Horror «Midsommar» von Ari Aster bleibt in Erinnerung, ob man den Film nun liebt oder hasst. Aber das farbenfrohe Treiben rund um die fiktiven heidnischen Bräuche und Riten ist visuell so betörend und inhaltlich so brillant-verstörend, dass man sich noch lange an die psychedelischen Ornament- und Gewaltexzesse erinnern wird. Aster hat damit einen starken Nachfolger seines Erstlings «Hereditary» gezaubert – eine Art schwedischen Jodorowsky-Blumenkranz, der auch den hellsten Tag zum dunkelsten Entsetzten verzaubern mag. Nichts für schwache Nerven! / Zur ausführlichen Kritik
«Fleabag» von Phoebe Waller-Bridge
Phoebe Waller-Bridges Adaption ihres eigenen Bühnenprogramms wurde nicht nur mehrfach mit dem Emmy ausgezeichnet, sondern ist wohl eine der brillantesten Serien aller Zeiten. Olivia Colman und Sian Clifford überzeugen als Nebendarstellerinnen ebenso wie der eigentliche Star der Serie: Hillary das Meerschweinchen. Natürlich wird auch Waller-Bridge ihrer eigenen Hauptfigur mehr als gerecht. Wer diesem Meisterwerk noch keinen Blick gegönnt oder die zweite Staffel noch nicht gesehen hat, sollte dies unbedingt nachholen. «Fleabag» ist einfach eine wundervolle Liebesgeschichte – nicht nur zwischen zwei Schwestern, sondern auch zu sich selbst. Ausserdem sei versprochen: Der nächste Kirchengang könnte unerwartete Emotionen auslösen. / Lieblingsserie von Delfina Thon / Zur ausführlichen Kritik
«The Lion King» von Jon Favreau
Damit wir uns gleich zu Beginn einig sind: Die Neuverfilmung von «The Lion King» (1994) ist ein Gugus. Und trotzdem muss man den Film zu den Highlights des Jahres zählen. Denn er hat dem Studio Disney das schrecklichste aller möglichen Weihnachtsgeschenke spendiert und – rechtzeitig zum Fest der Liebe – bewiesen, dass es vielleicht trotzdem so etwas wie einen Gott gibt. Aber eins nach dem anderen: «The Lion King», dieses CGI-technisch ebenso hochstehende wie lieb- und seelenlose Rechenschieber-Remake, das abgesehen von einem Sonnenuntergang keine einzige Realsequenz beinhaltet, wird von Disney absurderweise mit beinahe schockierender Sturheit als «Realfilm» bezeichnet – und nicht dem Animationsfilm zugeschrieben, wie es eigentlich richtig wäre.
Damit wird nicht zuletzt die Arbeit der Hundertschaften von Animator*innen geringgeschätzt, welche die Figuren für den Film überhaupt erst zum Leben erwecken. Die Hollywood Foreign Press Association liess sich von Disneys Verwirrspiel jedoch nicht täuschen – und hat den Film bei den Golden Globes als «Besten Animationsfilm» nominiert. Brisant dabei: Disney hat den Film selber gar nicht für besagte Kategorie eingereicht und muss nun für drei der fünf nominierten Filme («Frozen II» und «Toy Story 4» sind ebenfalls im Rennen) Werbung machen. Was für ein wunderwunderschönes Geschenk. / Lieblingsmoment von Olivier Samter / Zur ausführlichen Kritik
«Burning» von Lee Chang-dong
Wie eine züngelnde Flamme brennt Lee Chang-dongs «Burning» langsam und mit hypnotischer Intensität: Basierend auf einer Kurzgeschichte des japanischen Autors Haruki Murakami, erzählt der Film die Geschichte der jungen Hae-mi (Jeon Jong-seo), die plötzlich verschwindet, ihres geheimnisvollen, reichen Freundes Ben (dem grossartigen Steven Yeun) und ihres Verehrers Jong-su (Yoo Ah-in), der sich auf ihre Spur begibt. Subtil, spannungsgeladen und ästhetisch berauschend gibt «Burning» Einblicke ins moderne Südkorea, in die Machtverhältnisse zwischen Arm und Reich sowie in die Bilder von Männlichkeit und Weiblichkeit, welche die Gesellschaft prägen. / Lieblingsfilm von Sara Bucher / Zur ausführlichen Kritik
«Unbelievable» von Susannah Grant, Ayelet Waldman und Michael Chabon
«Unbelievable» ist ein grosses Highlight des Serienjahrs 2019. Nicht nur ist die Serie vom ersten Moment an packend und spannend aufgebaut, sondern es sind auch die facettenreich ausgearbeiteten Figuren, das authentische Schauspiel und nicht zuletzt die wunderbare Beziehung zwischen dem Ermittler-Duo Karen Duvall (Merritt Wever) und Grace Rasmussen (Toni Collette), die der Serie noch mehr Substanz verleihen. Für das Publikum ist «Unbelievable» eine emotionale Lachen-Heulen-Achterbahn mit belohnenden kathartischen Elementen. Trotz der tragischen Vorfälle macht es schliesslich viel Spass, dem Ermittler-Duo dabei zuzusehen, wie es sich in dieser «unglaublich» erscheinenden Geschichte ergänzt, schätzt und die Verbrechen an Frauen mit viel Intelligenz, Humor, Empathie und Herz aufklärt. Eine wichtige Serie, die wir nur empfehlen können. / Zur ausführlichen Kritik
«First Reformed» von Paul Schrader
«First Reformed» startete in den USA bereits 2017, gelangte in der Schweiz allerdings erst dieses Jahr für einige wenige Vorstellungen ins Kino. Der Film hat in der Zwischenzeit aber nur noch an Dringlichkeit gewonnen: Die Geschichte des Pfarrers Toller (Ethan Hawkes bisher wohl intensivste Schauspielleistung) erzählt vom Ringen mit dem Glauben, von der lähmenden Hilflosigkeit im Angesicht des von Menschen herbeigeführten Klimawandels und vom Versuch, Sinn und Hoffnung in einer langsam, aber stetig sterbenden Welt zu finden. Paul Schraders ruhige, spartanische Aufnahmen machen den Film zu einer tiefgründig spirituellen Erfahrung, die noch lange in der Erinnerung nachhallt und einen die eigene Beziehung zum Planeten überdenken lässt. / Lieblingsfilm von Sara Bucher / Zur ausführlichen Kritik
«Good Omens» von Neil Gaiman
«Good Omens» schafft es, als Serie ganz anders zu sein als das Buch, auf dem sie basiert, und sich trotzdem irgendwie genau richtig anzufühlen. Showrunner und Autor Neil Gaiman hat alles gegeben, um den letzten Wunsch seines Freundes und Schriftstellerkollegen Terry Pratchett zu verwirklichen: So ist eine Serie entstanden, die vor Liebe nur so strotzt. Die Begeisterung für das Projekt, die Details und die Figuren machen es alten und neuen Fans einfach, sich in die fantastisch (b)romantische Neuerzählung der Apokalypse mit eitlen Erzengeln und tunnelgrabenden Tibeter*innen zu verlieben und herzhaft mitzulachen. / Lieblingsserie von Selina Wolfisberg / Zur ausführlichen Kritik
«Mein Lotta-Leben – Alles Bingo mit Flamingo!» von Neele Leana Vollmar
Oh, mein Gott! Was für ein schräger Trailer: Muffige Farben, durchgeknallte Namen wie aus einer RTL-II-Reality-Show, passend dazu die schrägen Figuren in Klamotten, die man selbst im Secondhandladen hängen lassen würde. Mein erster Eindruck (ehrlich): «Gregs Tagebuch» für Mädchen – völlig überdreht, schrecklich, was soll das? Was für ein Lotterleben? Ich gebe es zu: Ich kannte vorher die Bücher von Alice Pantermüller überhaupt nicht und mein Vorsatz – jeden Tag eine gute Tat! – liess mich mit meinen Kindern ins Kino gehen, um «Mein Lotta-Leben» zu sehen. Was für eine Überraschung! Die Geschichte ist immer noch leicht durchgeknallt, die Namen und die Charaktere immer noch schräg, die Farben weiterhin muffig, aber vielleicht musste das so sein, denn die Geschichte ist gleichermassen für Kinder (lustig) und für Erwachsene (ernst). Lasst euch nicht vom Trailer abschrecken. Macht euch ein eigenes Bild, denn «Mein Lotta-Leben» überrascht – ein unkonventioneller und unkomplizierter Umgang mit ernsten Themen, denen sich die Kids schon immer ausgesetzt sehen. Pubertät, hip sein, ausgegrenzt werden und dazu noch mit der Familie klarkommen. Einfach rotzig originell! / Lieblingsfilm von Olaf Kah
«Marriage Story» von Noah Baumbach
«Marriage Story» brachte in diesem Jahr viele zum Weinen, daheim am Laptop, und (zum Glück) auch im Kino. Die Scheidungsgeschichte von Charlie (Adam Driver) und Nicole (Scarlett Johnasson) ist mit viel Empathie und Differenziertheit gespielt. Und auch wenn es hier um eine Scheidung geht – die Chemie zwischen den beiden Hauptdarstellern bringt ein fantastisches Tempo, eine brillante Dynamik und viel Humor in die Netflix-Produktion. Noah Baumbach («Frances Ha») hat mit viel Liebe zum Detail und intimer Nähe zu seinen Figuren einen modernen Klassiker geschaffen, der ein authentisches Beziehungsportrait unserer Zeit wiedergibt. Wunderbar traurig, aufwühlend und schön. / Zur ausführlichen Kritik.
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