Best of 2022: Das sind die 30 Lieblingsfilme und -serien der Maximum-Cinema-Redaktion
Das Kino- und Serienjahr 2022 ist zu Ende. Wir blicken zurück und präsentieren – wie letztes Jahr – die 30 Lieblingstitel unserer Redakteurinnen und Redakteure. Viel Spass mit dem Maximum-Cinema-Best-of 2022!
«The Worst Person in the World» von Joachim Trier
Julie (Renate Reinsve) weiss nicht, was sie will – und das auf der ganzen Linie. Soll sie nun Chirurgie studieren oder nicht? Will sie Kinder oder nicht? Und ist ihr Freund denn wirklich der Richtige für sie? «The Worst Person in the World» bringt die Ängste, Wünsche und Hoffnungen der Millennial-Generation mit einem elektrisierenden Soundtrack so berührend und humorvoll auf die Leinwand, dass sich vermutlich alle direkt Betroffenen mal weinend, mal lachend ein Stück weit wiedererkennen. / Verfügbar auf blue TV, Kino on Demand, Apple TV, Sky, DVD und Blu-ray / Aline Schlunegger / Zur ausführlichen Kritik / Zur Podcast-Diskussion
«The White Lotus» von Mike White (2. Staffel)
Gerade einmal ein Jahr nach der sensationellen ersten Staffel von «The White Lotus» legt Mike White nach und liefert uns eine weitere White-Lotus-Geschichte – diesmal auf Sizilien. Und diese kommt noch intriganter, noch böser daher und begeistert einmal mehr mit grossartig geschriebenen Episoden und einem hervorragenden Cast – allen voran Aubrey Plaza und Jennifer Coolidge. So ist auch die zweite Staffel absolutes Must-See-TV. / Verfügbar auf Sky / Aurel Graf
«Nope» von Jordan Peele
Bereits mit seinem ersten Werk, dem messerscharfen «Get Out» (2017), etablierte sich Jordan Peele nicht nur prompt als Meister des kontemporären Horrorkinos, sondern auch als pointierter Kritiker der US-Gesellschaft. Seine Filme sind seither nur noch komplexer geworden: «Nope» schickt seine Figuren auf die Jagd nach einer fliegenden Untertasse – und kommentiert nebenher intelligent und treffsicher die westliche Spektakel-Besessenheit, das Showbusiness und die Bewältigung von Trauer und Trauma in einer Welt, in der das eigene Leben eine vermarktbare Geschichte ist. / Verfügbar auf UPC TV, blue TV, Rakuten, Apple TV, Sky, DVD und Blu-ray / Sara Bucher / Zur ausführlichen Kritik / Zur Podcast-Diskussion
«RRR» von S. S. Rajamouli
Wem das Mainstream-Actionkino abseits von «Top Gun: Maverick» und «Avatar: The Way of Water» dieses Jahr etwas gar brav und genormt vorkam, war mit dem aberwitzigen Tollywood-Epos «RRR» von S. S. Rajamouli hervorragend bedient: Mit den indischen Superstars Ram Charan und N. T. Rama Rao Jr. in den Hauptrollen brennt Rajamouli in seiner mitreissenden Geschichte über Indiens Kampf gegen die britische Kolonisierung ein veritables Actionfeuerwerk ab, dem es während seiner 188 Minuten Laufzeit immer wieder aus Neue gelingt, sich in Sachen fantasievoller Zerstörungswut und Prügel-Choreografie selbst zu überbieten. / Verfügbar auf Netflix (Hindi-Version) / Alan Mattli / Zur ausführlichen Kritik
«Triangle of Sadness» von Ruben Östlund
«Triangle of Sadness» von Ruben Östlund ist ein amüsanter, sadistischer und absolut hemmungsloser Angriff auf die Reichen und Privilegierten. Östlund, der mit dem Film schon seine zweite Palme d’or am Filmfestival von Cannes gewann – die erste hatte es 2017 für die Kunstwelt-Satire «The Square» gesetzt –, erweitert hier seinen Horizont und nimmt dabei die kapitalistischen und patriarchalen Strukturen ins Visier, die unser gesellschaftliches Narrenschiff dominieren. Seine Absicht ist selten unklar, – um es milde auszudrücken –, aber «Triangle of Sadness» fühlt sich wie ein essenzieller Film der Gegenwart an, der es wagt, die Spannungen zwischen den Besitzenden und den Habenichtsen in einer Zeit zu konfrontieren, in der das Chaos die Weltordnung zu kippen droht. Vielleicht ist es nicht der Spiegel, den wir im Augenblick brauchen, aber definitiv einer, den wir verdienen. / Läuft aktuell im Kino / Dafina Abazi / Zur ausführlichen Kritik
«C’mon C’mon» von Mike Mills
Johnny (Joaquin Phoenix) reist als Radioreporter durch die USA und befragt die junge Generation zu ihrer Sicht auf Gegenwart und Zukunft. Als seine Schwester (Gaby Hoffmann) für längere Zeit ausgelastet ist, übergibt sie ihren Sohn Jesse (Woody Norman) in seine Obhut. Gemeinsam reisen die zwei durchs Land und erleben Momente voller Poesie und Wunder. Joaquin Phoenix‘ Performance geht einmal mehr unter die Haut – doch sein Filmneffe Woody Norman stellt ihn dabei allerdings fast noch in den Schatten. / Verfügbar auf UPC TV, blue TV, Apple TV, Kino on Demand, Sky, DVD und Blu-ray / Mirjam Schilliger / Zur ausführlichen Kritik / Zur Podcast-Diskussion
«Marcel the Shell with Shoes on» von Dean Fleischer-Camp
Stell dir vor, der beste Animationsfilm seit Jahren läuft im Kino – und niemand geht hin. So geschehen bei «Marcel the Shell with Shoes on», den laut ProCinema nur 191 Menschen in der Schweiz gesehen haben. Immerhin: Ein paar Hundert Menschen dürften sich den Film zudem am Fantoche angesehen haben, wo der liebenswerte Stop-Motion-Film und heisse Oscarkandidat als Europapremiere gezeigt wurde. Dean Fleischer-Camp erzählt darin von der kleinen Muschel Marcel (Stimme: Jenny Slate), die in einem Airbnb haust und sich mithilfe eines Dokumentarfilmemachers auf die Suche nach ihrer Familie begibt. Das ist mit seinem Mix aus Realfilm und Animation nicht nur technisch überragend, sondern auch äusserst charmant inszeniert. / Olivier Samter / Zur ausführlichen Kritik
«The Menu» von Mark Mylod
In «The Menu» wird einer ausgewählten Gruppe von Feinschmecker*innen in einem Haute-Cuisine-Restaurant ein mehrgängiges Luxusmenü vom berüchtigten Chefkoch Slowik (Ralph Fiennes) vorgesetzt – mit finsteren Hintergedanken. Wie bei «Triangle of Sadness» wird der Bourgeoisie hier deren eigene Selbstbezogenheit und Ignoranz vorgeführt – doch «The Menu» ist eine prägnantere, schärfere Gesellschaftssatire über «the grind», über die Tücken des Tellerwäscher-Millionär-Narrativs. Das Setting in der Welt des Ultra Fine Dining, wo eines der fundamentalsten Grundbedürfnisse des Menschen – das Essen – von seiner ursprünglichen Ernährungsfunktion losgelöst und zur groteskten Unterhaltung der Superreichen umgemünzt wird, funktioniert wunderbar und macht Mark Mylods Film zum cineastischen Augenschmaus. Zwei weitere Gründe, die für «The Menu» sprechen: Anya Taylor-Joy (hier ist keine weitere Erklärung notwendig) und ein überspitztes Ende, dass man so lange nicht erwartet. En guete! / Läuft aktuell im Kino / Lola Funk
«Everything Everywhere All at Once» von Daniel Kwan und Daniel Scheinert
«Everything Everywhere All at Once» schafft es tatsächlich fast, das Versprechen seines Titels einzuhalten: Das Spektakel der als «Daniels» bekannten Regisseure Daniel Kwan und Daniel Scheinert über eine desillusionierte chinesische Waschsalon-Besitzerin mixt munter Sci-Fi, Martial Arts, Familiendrama und Komödie und garniert das Ganze mit einem Überfluss an Filmreferenzen, philosophischen Fragen und visuellen Spielereien. Das Resultat ist tiefgründig, berührend und durch und durch albern – und sprengte für sein Studio zu Recht einige Rekorde. / Verfügbar auf blue TV, UPC TV, Filmingo, Kino on Demand, Rakuten, Apple TV, Sky, DVD und Blu-ray / Sara Bucher / Zur ausführlichen Kritik / Zur Podcast-Diskussion
«Severance» von Dan Erickson
Ein Arbeitsplatzdrama über ein Unternehmen, das die Gedanken seiner Mitarbeitenden löscht, sobald sie das Firmengelände verlassen, und einen Protagonisten (Adam Scott), der eine Verschwörung aufdeckt: Klingt wie ein bekannter Thriller? Das ist es nicht. «Severance» ist anders und absolut relevant für die heutige Zeit, in der Biotechnologie rasante Fortschritte macht, das Streben nach einer ausgewogenen Work-Life-Balance anhält, sich verändernde gesellschaftliche Aspekte ein Umdenken der Arbeitsplatzgestaltung fordern und das Unbehagen der Allgemeinheit über die Macht der grossen Konzerne zunimmt. In den neun Episoden der ersten Staffel (sechs davon unter der Regie von Ben Stiller) schafft «Severance» einen dystopischen Thriller mit der Ästhetik der Siebzigerjahre, in dem es um Schmerz, Strategien zur Verlustbewältigung und Selbstbestimmung geht. Die Apple TV+-Serie entfaltet sich genüsslich langsam und wer sich die Zeit dafür nimmt, wird mit einer fesselnden Geschichte und Impulsen zur Selbstreflexion belohnt. / Verfügbar auf Apple TV+ / Sara Michel
«Fire of Love» von Sara Dosa
Katia und Maurice Krafft waren ein Ehepaar und Vulkanforscher*innen aus Leidenschaft. Maurice dokumentierte ihre Forschungsarbeit mit einer Filmkamera, behauptete aber, kein Filmemacher zu sein. Sara Dosa, die das Filmmaterial zusammenstellte, beweist das Gegenteil. «Fire of Love» ist ein grandioser Dokumentarfilm, der Poesie verströmt wie ein Vulkan seine Lava. / Verfügbar auf Disney+ / Aline Locher
«Licorice Pizza » von Paul Thomas Anderson
Ein wunderbarer Sommerfilm – und ein wunderbarer Liebesfilm. Das Grossartige daran: Die beiden Hauptdarsteller*innen feiern beide ihr Filmdebüt: Alana Haim (die Sängerin der Band Haim) als Alana Kane ist fabulös; Cooper Hoffman, der Sohn der Schauspiellegende Philip Seymor Hoffman («Boogie Nights», «Capote») ist auch phänomenal; und zusammen stimmt die Chemie einfach perfekt. Diese humorvolle Liebesgeschichte – mit Tom Waits, Sean Penn und Bradley Cooper in tollen Nebenrollen – wirft einen zurück in die Zeit, in der man selbst das erste Mal verliebt war. Unterstützt wird dieser zarte Feelgood-Film mit einem der besten Soundtracks des Jahres. Und auch jenen, die ein wenig in die Siebzigerjahre abtauchen wollen, sei «Licorice Pizza» ans Herz gelegt, wurde er doch mit 35-Millimeter-Analogfilm und alten Kameralinsen aus genau jener Ära gedreht. / Verfügbar auf Amazon Prime, blue TV, Sky, Apple TV, Rakuten, DVD und Blu-ray / Simon Keller / Zur ausführlichen Kritik
«Drii Winter» von Michael Koch
Der beste Schweizer Spielfilm seit langem: Über drei Jahre hinweg – oder: «drii Winter» lang – wird die Liebes- und Leidensgeschichte von Anna (Michèle Brand) und Marco (Simon Wisler) erzählt. Dabei wird der Schauplatz, die Urner Alpen(täler), minimalistisch, äusserst ästhetisch und konsequent modern in Szene gesetzt. Hervorragende Darsteller*innen und eine starke Regieleistung machen «Drii Winter» letztendlich zu einem beeindruckenden Rohdiamanten. / Aurel Graf
«Memoria» von Apichatpong Weerasethakul
Was, wenn ein Mensch nur ein Klumpen Materie ist und im grossen Ganzen nichts Bedeutenderes ist als eine Synapse in einem riesigen, unvorstellbar alten irdischen Gedächtnis? Diese Vorstellung ist seit jeher der Stoff von Existenzkrisen – doch der thailändische Slow-Cinema-Meister Apichatpong Weerasethakul («Uncle Boonmee Who Can Recall His Past Lives») deutet sie in «Memoria» zu einer fast schon anheimelnden Annäherung von Mensch und Natur um. Die Geschichte einer Botanikerin (Tilda Swinton), die in Kolumbien von einem mysteriösen Knall heimgesucht wird, ist – wie bei Apichatpong üblich – von meditativer Langsamkeit, dominiert von einer grandios designten Natur-Geräuschkulisse und nur dann geniessbar, wenn man sich auf ihre Eigenheiten einlässt. Doch wenn einem das gelingt, wird man mit einem bewegenden Meisterstück belohnt. / Verfügbar auf DVD und Blu-ray / Alan Mattli / Zur ausführlichen Kritik
«Glass Onion: A Knives Out Mystery» von Rian Johnson
Der grosse Detektiv Benoit Blanc (Daniel Craig) muss nach «Knives Out» (2019) erneut einen eigenartigen Fall lösen: Dieses Mal führt es ihn während des Pandemiesommers 2020 auf eine Luxus-Privatinsel. Ein berühmter Milliardär (Edward Norton) hat seine besten Freund*innen, seine Ex-Partnerin sowie den berühmten Detektiv für ein Wochenende auf seiner Insel eingeladen, wo es angeblich zu einem Mord kommen soll. Ein Film voller spassiger Dialoge, mit einem tollem und vor allem wunderbar zusammen harmonierenden Cast und – natürlich – unerwarteten Plottwists. / Verfügbar auf Netflix / Corinna Haag
«Euphoria» von Sam Levinson (2. Staffel)
Die zweite Staffel von «Euphoria» ist noch explosiver und unheilvoller als die erste. Oder wie es Creator Sam Levinson selbst beschrieb: «If season one was sort of a house party at 2 a.m., season two should feel like 5 a.m., way past the point in which everyone should have gone home.» Die Figuren werden hier weiterhin mit ihren tiefsten Sehnsüchten und den höchsten Hürden des Lebens konfrontiert. Auch formal ist die zweite Staffel ein Feuerwerk von durchmischten Genres und expressiven filmischen Gestaltungsmitteln, die gekonnt die Emotionen der Figuren und ihre subjektiven Realitäten ins Zentrum rücken. / Verfügbar auf Sky / Dario Iannotta / Zur ausführlichen Kritik
«The Swimmers» von Sally El Hosaini
Die Schwestern Sara und Yusra (Manal und Nathalie Issa) bereiten sich in Damaskus auf den Schwimmwettbewerb an den Olympischen Spielen 2016 vor. Da sich die politische Lage in Syrien aber bedrohlich zuspitzt, begeben sich die beiden zusammen mit einem Cousin auf eine Reise ins Ungewisse und fliehen über das Mittelmeer nach Europa. «The Swimmers» beruht auf wahren Begebenheiten und lässt das Publikum in beeindruckenden Bildern das Drama einer gefährlichen Flucht im Schlauchboot miterleben. Der Film konzentriert sich auf das Schicksal der Schwestern, ohne jedoch den grösseren Zusammenhang – Krieg, Flucht und Neubeginn – aus den Augen zu verlieren. Sally El Hosaini ist so ein bewegendes Drama gelungen, das Mut und Menschlichkeit in den Vordergrund stellt. / Verfügbar auf Netflix / Beate Steininger
«Elvis» von Baz Luhrmann
Das schillernde Leben des King of Rock ’n‘ Roll ist der ideale Spielplatz, auf dem sich «Moulin Rouge»-Regisseur Baz Luhrmann austoben kann – und tatsächlich serviert er uns mit «Elvis» ein hüftschwingendes und hypnotisches Erlebnis. Der Australier nutzt seinen fesselnden Erzählstil, um sein Elvis–Presley-Biopic so gross und ausschweifend zu inszenieren wie das Leben der Musiklegende selbst. In atemberaubenden Bildern erzählt er von Presleys bescheidenen Anfängen bis hin zu seinem Aufstieg zu einem der grössten Künstler der Musikgeschichte. Ist der Film gelegentlich übertrieben? Ja. Chronologisch manchmal ungenau? Klar. Werden die stillen Momente von der Mehr-ist-mehr-Inszenierung überrollt? Das auch. Aber dennoch ist «Elvis» ein unwiderstehlicher Mix aus Musik, Geschichte und Presley-Pilgerschaft – eine Ode an den «King», die von der spektakulären Interpretation von Hauptdarsteller Austin Butler getragen wird. The King is dead, long live the King! / Verfügbar auf blue TV, Apple TV, Rakuten, Sky, DVD und Blu-ray / Matthias Ettlin / Zur ausführlichen Kritik
«Crimes of the Future» von David Cronenberg
Er ist wieder da: Acht Jahre nach seinem letzten Film und fast ein Vierteljahrhundert nach seinem letzten Ausflug ins Body-Horror-Fach kehrt «Videodrome»– und «The Fly»-Regisseur David Cronenberg triumphal zurück: «Crimes of the Future» spielt in einer dystopischen Zukunft, in der Schmerzen ausgerottet wurden und die menschliche Evolution dafür sorgt, dass in gewissen Menschen neue Organe wachsen – und Cronenberg erzählt von zwei Performance-Künstler*innen (Viggo Mortensen, Léa Seydoux), die sich unter diesen Vorzeichen mit Sinn und Unsinn des menschlichen Strebens nach Kunst auseinandersetzen. Verkopfte Kunsttheorie mit grotesken Körperwelten, überstilisierten Schauspieldarbietungen und sehr viel Selbstironie – das ist Cronenberg in Reinform; der Meister hat es nicht verlernt. / Verfügbar auf DVD und Blu-ray / Alan Mattli
«Three Thousand Years of Longing» von George Miller
Drei Wünsche sind alles, was der aus einer kleinen Flasche vom Basar entschlüpfte Dschinn (Idris Elba) von Alithea (Tilda Swinton) will – zu viel für die genügsame Narratologin, die den Dschinn lieber erzählen und sich von seinen Geschichten durch die Jahrhunderte tragen lässt. Er wiederum liefert Erklärungen: wie wichtig Geschichten sind, in jeder möglichen und unmöglichen Zeit; wie wichtig sie für ihn sind, dessen Schicksal von den Wünschen von Alithea abhängt; und wie wichtig sie auch für Alithea selbst sind, die sich zwar abgeklärt und selbstbewusst wähnt und trotzdem dieses Reissen nach mehr spürt. «Three Thousand Years of Longing» war 2022 wirklich eine Entdeckung: Er zeigt, wie grossartig das Kino sein kann, was die Kraft von Geschichten ist und wie viel Spass in einer kleinen Handvoll guter Schauspieler*innen stecken kann. / Verfügbar auf UPC TV, blue TV, Kino on Demand, Rakuten, Apple TV, Sky, DVD und Blu-ray / Corinna Haag / Zur ausführlichen Kritik / Zur Podcast-Diskussion
«The Bear» von Christopher Storer
«The Bear» entführt uns mit schwindelerregendem Tempo, einem grandiosen Cast und viel Chicago-Kolorit hinter den Herd des Sandwich-Laden namens «The Original Beef of Chicagoland». Erzählt wird die emotionsgewürzte Geschichte vom ehemaligen Spitzenkoch Carmy (Jeremy Allen White), der in die Windy City zurückkehrt, um das Familienunternehmen vor dem Aus zu bewahren – und dabei auf ein widerspenstiges Küchenteam, seinen cholerischen Cousin und viele Leichen im Keller des chaotischen Speiseunternehmens trifft. Die Brillianz der Serie liegt in der atmosphärischen Inszenierung, die einerseits den Stress, die Spannungen und die Konflikte des Küchen- und Familienalltags authentisch seziert, und andererseits viel Herz auf die Teller der Zuschauer*innen zaubert, da man die Chaosbude einfach lieb gewinnt. Liebe geht halt doch durch den Magen. / Verfügbar auf Disney+ / Simon Keller
«Drive My Car» von Ryūsuke Hamaguchi
Der Theaterregiesseur Yūsuke (Hidetoshi Nishijima) beginnt einige Zeit nach dem Tod seiner geliebten Frau (Reika Kirishima) mit einer Produktion von Anton Chekhovs «Onkel Wanja», die zur Auseinandersetzung mit sich selbst und Otos Vermächtnis wird. Ryūsuke Hamaguchis intelligente Inszenierung nach der gleichnamigen Kurzgeschichte von Haruki Murakami bietet eine konzeptuelle Meisterleistung, in der in dreistündiger Spielzeit die Möglichkeiten von Sprache gekonnt künstlerisch dargeboten werden. Hamaguchi beweist in «Drive My Car», wie unaufgeregt wirklich grosse Geschichten erzählt werden können – und vielleicht sogar sollten. / Verfügbar auf Filmingo, Rakuten, Kino on Demand, DVD und Blu-ray / Delfina Thon / Zur ausführlichen Kritik
«Andor» von Tony Gilroy
Die «Star Wars»-Serie «Andor» zeigt die Abenteuer des Rebellen Cassian Andor (Diego Luna), den man bereits im Film «Rogue One: A Star Wars Story» (2016) zum ersten Mal kennenlernte. Ausnahmsweise steht kein Auserwählter im Mittelpunkt, sondern ein Aussenseiter und Gesetzloser, der langsam zum Rebellen gegen das Imperium wird. Ausnahmsweise stehen die einfachen Menschen im Fokus, ihr Kampf mit der Ungerechtigkeit unter der imperialen Diktatur. «Andor» ist nach der Enttäuschung von «Obi-Wan Kenobi» ein echtes Highlight und macht Lust auf mehr von Andors Abenteuern – und vom «Star Wars»-Universum. / Verfügbar auf Disney+ / Franziska Merz
«Broker» von Hirokazu Kore-eda
«Broker» ist, wie zuletzt «Minari» (2020), so ein Film, der ganz tief ins Herz geht, der uns im Kino zum Weinen und zum Lachen bringt. Es wird traurig, aber das Ganze ist auch durchsetzt von Szenen, die vor Freude so hell leuchten, dass einem das Grinsen wie nach einer Botox-Behandlung gar nicht mehr aus dem Gesicht geht. Die südkoreanische Odyssee des japanischen Familien-Puzzlemeisters Hirokazu Kore-eda («Shoplifters») um eine Babyklappe ist eine wahre Wohltat: unaufgeregt, bescheiden, mit viel Substanz und einem grossartigem Cast rund um Song Kang-ho («Parasite»). / Läuft aktuell im Kino / Simon Keller / Zur ausführlichen Kritik
«L’événement» von Audrey Diwan
«L’événement» spielt im Frankreich der Sechzigerjahre – zu einer Zeit, in der Schwangerschaftsabbrüche noch mit Gefängnis bestraft wurden. Dort sieht sich die Literaturstudentin Anne (Anamaria Vartolomei) mit ebendiesem Problem konfrontiert: Opfert sie ihre Bildung und somit auch ihre Zukunft für ein ungewolltes Kind oder begeht sie einen riskanten Gesetzesbruch? Audrey Diwans Abtreibungsdrama wurde in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet und könnte – leider – aktueller nicht sein. / Verfügbar auf blue TV, Kino on Demand, Apple TV, Sky, DVD und Blu-ray / Mirjam Schilliger / Zur ausführlichen Kritik
«Boiling Point» von Philip Barantini
Wer gerne einmal wissen würde, wie es ist, in einem Restaurant zu arbeiten, muss sich unbedingt «Boiling Point» ansehen. Die Kamera begleitet das Küchenteam auf Augenhöhe und ohne einen einzigen Schnutt. So erlebt das Publikum diesen nervenaufreibenden Restaurantabend hautnah mit. Eine veritable Achterbahnfahrt der Gefühle! / Verfügbar auf Apple TV und Sky / Aline Locher / Zur Podcast-Diskussion
«Cyrano» von Joe Wright
Der Meister des Kostümdramas, Joe Wright («Pride & Prejudice»), schnappt sich mit «Cyrano» ein Musical mit Songs aus der Feder von The National und inszeniert es als melancholisches Drama über Liebe und Wehmut. In der Hauptrolle brilliert Peter Dinklage («Game of Thrones») als verliebter und verschüchterter Dichter Cyrano, der um die Gunst der schönen Roxanne (Haley Bennett) buhlt. Ein Musical für Melancholiker*innen und andere Sehnsüchtige – ein bildschöner Seufzer von einem Film. / Verfügbar auf Amazon Prime, blue TV, Sky, Apple TV, Rakuten, DVD und Blu-ray / Olivier Samter / Zur ausführlichen Kritik
«The Lord of the Rings: The Rings of Power» von J. D. Payne and Patrick McKay
Etwas absurd ist es schon, dass Amazon mehrere Lastwagen voller Geld hinblätterte, um nicht etwa das Fantasy-Epos «The Lord of the Ring» neu zu verfilmen, sondern nur dessen Anhänge. Material für ganze fünf Staffeln soll in dem Stoff stecken. Erfreulicherweise ist die erste Staffel «The Rings of Power» tatsächlich ein wunderschön anzusehender Einstieg in eine abenteuerliche Geschichte, die rund 1’000 Jahre vor den Ereignissen der berühmten Haupttrilogie angesiedelt ist, und in der im mehrheitlich friedlichen «zweiten Zeitalter» von Middle-earth die junge Elben-Kriegerin Galadriel (Morfydd Clark) als Einzige dem totgeglaubten Sauron hinterherjagt. In diesem Prequel wird eine vielfältige und um Diversität bemühte Palette an neuen (und auch einigen durchaus bekannten) Figuren vorgestellt, mit denen man sich nur zu gerne auf das grosse Abenteuer einlässt. Die erste Staffel ist ein mehr als nur gelungener Einstieg, respektive eine Heimkehr, nach Mittelerde, und sie schafft es auch, die Poesie der Bücher von J. R. R. Tolkien und das Gefühl für die fantastische Welt, die in den «Hobbit»-Filmen fast gänzlich verloren ging, neu zu erwecken. / Verfügbar auf Amazon Prime / Matthias Ettlin
«Sachertorte» von Tine Rogoll
Was wäre Wien ohne die Liebe? Wir erinnern uns an «Before Sunrise» (1995), wo zwei junge Menschen die ganze Nacht in der romantischen Stadt verbrachten, bevor sie am nächsten Morgen ihre Züge in Richtung Heimat bestiegen, um sich dann jahrelang zu verlieren, weil es damals noch keine Handys gab. Und jetzt trifft der smarte Karl (Max Hubacher) am Berliner Bahnhof auf die Wienerin Nini (Michaela Saba) und verliebt sich in sie. Aber Karl verliert ihre Telefonnummer und beschliesst, nach Wien zu ziehen, weil er weiss, dass Nini traditionell an ihrem Geburtstag um 15 Uhr im Café Sacher sitzt, um dort die weltberühmte Torte zu geniessen. Da er aber nicht weiss, wann sie Geburtstag hat, sitzt er nun jeden Tag um 15 Uhr im Sacher, um die wahre Liebe zu suchen und zu finden. Regisseurin Tine Rogoll zeigt in ihrem Regiedebüt, dass sich Tradition und Moderne hervorragend ergänzen können und es sich lohnt, mit den Zutaten von früheren romantischen Komödien wie «Notting Hill» (1999) oder eben «Before Sunrise» etwas Neues zu formen. / Verfügbar auf Amazon Prime / Beate Steininger
«Jibaro» von Alberto Mielgo (aus «Love, Death & Robots»)
Was sind die Kriterien für einen Film oder eine Serie, welche diese(n) zum persönlichen Liebling des Jahres machen? Im Fall von diesem Werk ist es ganz einfach die Anzahl der Visionierung: Je öfter etwas gesehen wurde, desto faszinierender muss es sein, auch wenn – oder vielleicht gerade weil – man manchmal gar nicht genau weiss, was diese Faszination nun ausmacht. Mindestens siebenmal habe ich «Jibaro» gesehen, die letzte Episode der dritten Staffel von «Love, Death & Robots», für die einmal mehr verschiedene internationale Animator*innen-Teams diverse Kurzfilme kreiert haben, welche die Zukunft mal lustig, mal gewagt erotisch, mal gräuelig-dystopisch zeichnen – alles unter dem Motto, das Medium Animationsfilm vom Stigma zu befreien, es sei nur für Kinder. In «Jibaro» erzählt der spanische Regisseur Alberto Mielgo von einem Konquistadoren, der am Ufer eines malerischen Waldsees eine Münze aufliest und damit eine goldbehangene Sirene alarmiert, die mit ihren Schreien die gesamte Kompanie in den Unterwassertod zieht. Doch dieser Trick funktioniert bei unserem tauben Protagonisten nicht – also kommt es zwischen der mystischen Gestalt und dem weltlichen Ritter zu einem Katz-und-Maus-Spiel, das von Gier, Blutdurst, Rache und einer zerstörerischen gegenseitigen Anziehungskraft angetrieben wird. Mielgo gelingt es, sein Publikum 19 Minuten lang ohne ein einziges gesprochenes Wort tief in diese Welt zu ziehen. «Jibaro» zeigt eine toxische Beziehung, doch das Ganze funktioniert auch als Metapher auf die menschliche Ausbeutung der Natur, den Kolonialismus und die Unterdrückung des weiblichen Geschlechts. / Verfügbar auf Netflix / Lola Funk / Zur ausführlichen Kritik der dritten Staffel von «Love, Death & Robots»
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Titelbild aus oben besprochenen Filmen: Schweizer Filmverleiher / © 2021 Home Box Office, Inc. All rights reserved. HBO® and all related programs are the property of Home Box Office, Inc. / COURTESY OF NETFLIX © 2022 / Crimes of the Future: © Nikos Nikolopoulos / Disney+ / «Severence»: Apple TV+ / «Glass Onion: A Knives Out Mystery»: Cr. John Wilson/Netflix © 2022 / «The Menu»: © 2022 20th Century Studios. All Rights Reserved / «The Lord of the Rings: The Rings of Power»: © 2022 Amazon.com, Inc. or its affiliates / Frenetic Films AG / 2021 Warner Bros. Ent. All Rights Reserved. / Netflix / Disney+ / © The Walt Disney Company Switzerland. All Rights Reserved. / Filmcoopi / Agora Films / Impuls Pictures AG / Universal Pictures International Switzerland GmbH / Ascot Elite / DCM
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