Vom 2. bis 10. Juli 2021 zelebrierte das Neuchâtel International Fantastic Film Festival (NIFFF) zum 20. Mal das fantastische und asiatische Kino. Im Programm stand eine breite Auswahl an Filmen, von denen wir die besten sechs für euch herausgesucht haben. Einer davon ist nicht nur ein Schweizer Film, sondern kommt auch bald ins Kino.
Nach der reinen Online-Ausgabe 2020 ging es dieses Jahr für das NIFFF endlich zurück in die Kinos. Der internationale Wettbewerb war geprägt von Filmen, in denen die Natur zurückschlägt und zum Horror für den Menschen wird. Der Hauptpreis, der «Narcisse H. R. Giger», ging an die Gesellschaftssatire «Lapsis» von Noah Hutton, während der Schweizer Sci-Fi-Film «Tides» von Tim Fehlbaum gleich zwei Auszeichnungen holte: den RTS-Publikumspreis und den Preis für das beste Setdesign. Das sind aber nur zwei von sechs Filmempfehlungen, die wir für euch aus Neuchâtel mitgebracht haben.
«The Feast» von Lee Haven Jones
Eine reiche Familie lädt zum Dinner in ihrem luxuriösen Landhaus und heuert dafür eine neue Haushaltshilfe an. Diese hat abernoch eine Rechnung mit den Familienmitgliedern offen. Regisseur Lee Haven Jones kreiert mit seiner Mischung aus langsamem Rache-Thriller und Folk-Horror ein kraftvolles Werk, das bis ins letzte Detail sorgfältig aufgebaut ist. Von den visuell wunderschönen Bildern über das geschickt eingesetzte Setdesign bis hin zu den präzisen Dialogen, spielt in «The Feast» alles wunderbar zusammen. Schritt für Schritt wird die sauber-sterile Oberfläche der Familie angekratzt und schliesslich in einem kathartisch-dreckigen Finale endgültig zerschmettert. «The Feast» hat am NIFFF 2021 den Kritikerpreis gewonnen.
«Boys from County Hell» von Chris Baugh
Das kleine irische Dorf Six Mile Hill hat genau eine Attraktion: einen Steinhaufen, unter dem angeblich ein uralter Vampir begraben liegt. Als der Steinhaufen für den Bau einer Strasse gebodigt werden soll, lernen die lokalen Bauerbeiter*innen auf die harte Tour, dass manche Legenden einen wahren Kern haben. «Boys from County Hell» ist trockener, schwarzer Humor mit Herz vom Feinsten, mit der genau richtigen emotionalen Beimischung einer starken Vater-Sohn-Geschichte. Auch mit einem Bagger kann man episch in den Kampf gegen Vampire fahren. «Boys from County Hell» hat am NIFFF 2021 den Silbernen Mélies für den besten europäischen Langfilm gewonnen.
«Okay! Madam» von Lee Cheol-ha
Das Ehepaar Mi-young und Seok-hwan kommt finanziell grade so über die Runden, deswegen ist die Freude riesig, als sie eine Reise nach Hawaii gewinnen. Bereits der Hinflug geht aber gehörig schief: Das Flugzeug wird von Entführern gekapert. Allerdings haben diese nicht damit gerechnet, dass Mi-young früher keine einfache Bäckerin war – eine Tatsache, der sich Mi-young selbst nicht bewusst ist, was in dieser genialen Actionkomödie bereits für die ersten Lacher sorgt. Richtig zur Sache geht es aber, als sich herausstellt, dass auch weitere Passagiere an Bord ihre Geheimnisse haben. So entsteht bald eine bunte Truppe von unwahrscheinlichen Held*innen, die sich gegen die Entführer stellen. Das komödiantische Timing ist perfekt, die Figuren liebenswert und die Action rasant: «Okay! Madam» zündet in allen Belangen ein wahres Feuerwerk. «Okay! Madam» hat am NIFFF 2021 den Publikumspreis für den besten asiatischen Film gewonnen.
«Censor» von Prano Bailey-Bond
Enid arbeitet in den Achtzigerjahren in der britischen Zensurbehörde und sichtet dafür täglich Horrorfilme, um zu bestimmen, wie viel Gewalt und Sex gezeigt werden darf. Als sie jedoch eines Tages ihre verschollene Schwester in einem Film zu erkennen glaubt, beginnen sich die Grenzen von Film und Realität zu vermischen. Eine wunderbare, in düstere Farben getauchte Hommage an die Untergrund-Horrorfilme der Achtzigerjahre, mit einer fantastischen Niamh Algar in der Hauptrolle.
«Lapsis» von Noah Hutton
Der Lieferfahrer Ray Tincelli nimmt einen neuen Job in der Gig-Economy als sogenannter «Cabler» an, um die Therapie seines Bruders bezahlen zu können. Die Cabler verlegen im Wald Kabel zwischen riesigen Quadratblöcken für eine neue Art von Netzwerk-Technologie. Ihre Routen können sie über eine App selbst frei auswählen; wer mehr Erfahrung hat, bekommt längere Strecken mit besserer Entlöhnung angeboten. Was vielversprechend klingt, ist in Wahrheit weniger grossartig, wie Ray bald herausfinden muss. Regisseur Noah Hutton nutzt ein fiktives Sci-Fi-Setting, um die Gig-Economy von Unternehmen wie Uber und Deliveroo, aber auch Arbeitgeber wie Amazon zu kritisieren. Der Höhepunkt von Lapsis ist allerdings Dean Imperial als Ray: Dieser läuft herum wie ein Gangster aus den Siebzigerjahren, will aber vor allem einfach seinem kranken Bruder helfen und versucht dafür, sich in der Welt der Cabler zurechtzufinden. Seine Figur und die sehr aktuelle Gesellschaftskritik machen «Lapsis» trotz eines etwas unspektakulären Endes absolut sehenswert. Nicht umsonst hat der Film am NIFFF 2021 den Hauptpreis «Narcisse H. R. Giger» gewonnen.
«Tides» von Tim Fehlbaum
In der Zukunft ist die Erde unbewohnbar geworden, die letzten Menschen haben sich auf den Planet Kepler 209 gerettet. Zwei Generationen später kehrt das Team der Ulysse II auf die Erde zurück, um abzuklären, ob die Erde wieder bewohnbar geworden ist. Die Geschichte von «Tides» (Titelbild) ist spätestens ab der Hälfte vorhersehbar, aber sehenswert ist der Schweizer Sci-Fi-Film trotzdem – dank seines herausragendem Setdesigns, seiner starken Bilder und atmosphärischer Musik. «Tides» hat am NIFFF 2021 den Publikumspreis und den Preis für das beste Setdesign gewonnen. / «Tides» läuft ab dem 26. August 2021 in den Schweizer Kinos.
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