Chris Kraus wagt das Undenkbare: Er stellt den Holocaust und seine Folgen ins Zentrum einer Komödie. Kann das gut gehen?
«Jemand, der sich Firmenevents ausdenkt, dem ist doch scheissegal, was in Auschwitz passiert ist», wettert Totila Blumen bereits in der Auftaktszene von «Die Blumen von gestern». Totila (Lars Eidinger, «Alle anderen») ist Historiker, erforscht den Holocaust und soll eine «Auschwitz-Konferenz» organisieren. Bloss, dass er sich und seine Emotionen nicht im Griff hat, und ihm die Zuständigkeit dafür deshalb wieder entzogen wird. Gründe, sich aufzuregen, hat er zahlreiche: Nicht nur, dass er seinen Platz an einen aus seiner Sicht inkompetenten Konkurrenten abgeben muss und eine in die Jahre gekommene Diva umwerben soll, damit sie von ihren Erfahrungen im KZ erzählt. Nein, nun hat er sich auch noch um eine überdrehte Praktikantin (Adèle Hanele, «Les combattants«) zu kümmern.
Ein humorloser, cholerisch veranlagter Held, ein dümmlicher Rivale und eine hübsche Studentin, die dem Protagonisten mit ihren eigenen Macken die Stirn bietet – das sind Zutaten für eine waschechte Komödie. Wäre da nur nicht die Tatsache, dass sich alle beruflich mit dem Holocaust beschäftigen und als Nachkommen von Nazischergen und -opfern eine «pränatale Vergangenheit» haben. Eine Komödie über die Aufarbeitung des Holocausts – geht das?
1949 postulierte Theodor Adorno: «Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch«. Der Satz sorgte nachhaltig für Diskussionen, wurde auf weitere Kunstformen ausgeweitet und als generelles Darstellungsverbot der Gräuel verstanden. Letzteres betrifft insbesondere auch Verfilmungen von Verbrechen der Nationalsozialisten. Diesen widmet sich Chris Kraus («Vier Minuten«) mit «Die Blumen von gestern» nicht direkt, vielmehr zeigt er auf, dass Traumata vererbt werden und eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit nicht zuletzt deshalb auch zwei Generationen später noch not tut. Eine klarere Positionierung zu Adorno bei der Wahl der Form hätte allerdings gut getan. So aber wird das wahre Potential der Komödie nicht ausgeschöpft; der Mut für richtig schwarzen, bösen Humor fehlt – formal wird also wiederholt, was Totila auf inhaltlicher Ebene stürzen lässt. Stattdessen drehen sich die Dialoge im Kreis und die Protagonisten torkeln so schnell von einer Schlägerei in die nächste, dass die Luft schnell draussen ist. Aber auch die ernstere Herangehensweise will nicht so recht gelingen: So wirkt beispielsweise die Idee, Schuld und Versöhnung als Impotenz und Sex darzustellen, banalisierend. Der Balanceakt zwischen Komödie und Tragödie scheitert kläglich.
Kinostart Deutschschweiz: 27.4.2017 / Regie: Chris Kraus / Mit: Lars Eidinger, Adèle Haenel, Jan Josef Liefers, Hannah Herzsprung
Trailer und Bilder: Xenix Film
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