Is this the real life?
Is this just fantasy?
Nein, keine Fantasie: 28 Jahre nach Freddie Mercurys Tod kommt die Geschichte seiner legendären Band Queen auf unsere Leinwand. Von der Gründung der Glam Rock-Band 1970 bis zum bahnbrechenden Auftritt am Live Aid-Konzert im Wembley-Stadion 1985 nimmt «Bohemian Rhapsody» den Zuschauer mit auf eine musikalische Odyssee, die in der Geschichte der Rock-Annalen einging.
Ja, das ist tatsächlich die eigens für den Film komponierte 20th Century Fox Fanfare. Gibt es eine bessere Einstimmung auf ein Band-Biopic?
Der eigene biografische Background beeinflusst die Visionierung eines Musik-Filmes, der die Geschichte wahren Band erzählt, ungemein:
Entweder ist man mit der Musik der Band aufgewachsen, war als Teenie kreischend auf Konzerten und hat den auf zahlreichen Plakaten im eigenen Zimmer abgebildeten Leadsänger angeschmachtet.
Wer die Biografie einer solchen Band sieht, ist voreingenommen: Die Replika seiner grossen Idole auf der riesigen Leinwand zu sehen, löst Nostalgie aus, über filmische Fehler wird hinweggeblickt, denn die eigene Erinnerung an die ekstatische Fan-Zeit vernebelt die klare Sicht, mit der man sonst andere Filme zu kritisieren vermag.
Anders, wenn man zu anderen Kulturkreisen gehört oder schlichtweg zu jung ist, um selbst bei der grossen Zeit der dargestellten Band dabei gewesen zu sein. Dann wirken diese Filme eher wie musik-historischer Unterricht, der einem die Augen für ein kulturelles Zeitalter öffnet, in welchem man selbst noch über gar kein Seh- (oder Hör)organ verfügte. Emotionsanschraubende Erinnerungen und Flashbacks an die eigene Jugend gibt es nicht, der Blick auf den Film per se ist klar.
Ich gehöre zur zweiten Sorte. Nie gab es einen Moment, an dem Freddie Mercury und ich gleichzeitig diesirdischen Sauerstoff eingeatmet haben, die ganze Queen-Story war schon passé, als ich als Mini-Lola im Bauch ihrer Mutter strampelte.
Doch den Song «Under Pressure», den Queen mit all time favorite David Bowie aufgenommen hat, ist einer meiner Lieblinge, der jeden Tag mindestens einmal abgespielt wird. Queen is not dead – und ein Biopic ist die perfekte Gelegenheit, zurück in die 70er und 80er zu reisen, egal, ob man selbst damals live dabei war oder die ganze Geschichte nur aus Nacherzählungen und Google-Recherchen kennt.
Rami Malek will rock you
Viel Häme musste er über sich ergehen lassen, als Rami Malek als Besetzung des Freddie Mercury bekannt gegeben wurde: Zu klein sei er und zu ruhig. Tatsächlich hatte der amerikanische Schauspieler mit ägyptischen Wurzeln bis anhin nur in kleineren Rollen wenig exzentrische Figuren gemimt . Und die Stichworte «kleine Rolle» und «unauffällig» passen so ganz und gar nicht zur Glam Rock-Legende Mercury. Malek dachte sich aber: Don’t stop me now und performt herrlich: Perfekt mimt er Mercurys energiegeladene Auftritte, läuft und spricht eins zu eins wie das Original, dessen Stimmumfang ganze vier Oktaven umfasst haben soll. Zusammen mit dem schwarzen Wuschelkopf, der (in Maleks Gesicht etwas ulkig wirkenden) Zahnprothese und den extravaganten Outfits ist er die beinahe perfekte Reinkarnation des in Sansibar geborenen Musikers.
Es wird bereits gemunkelt, dass Malek als Oscar-Kandidat für den besten Hauptdarsteller in Frage kommt.
Die zuvor angedachten Besetzungsmöglichkeiten (Sasha Baron Cohen sowie Benedict Cumberbatch waren im Gespräch) wirken neben Rami Malek als unmögliche Lösung für eine schillernde Figur, die als unnachahmbar galt. Es wird bereits gemunkelt, dass Malek als Oscar-Kandidat für den besten Hauptdarsteller in Frage kommt. Ebenfalls ist die Darbietung von Queen-Gitarristen Gwilym Lee, der Brian May spielt, erstaunlich. Nicht nur sieht er mit seiner langen Lockenmähne dem Original zum Verwechseln ähnlich, auch die Gitarrenriffs beherrscht er fast genauso gut wie May himself.
Mercury just wanted to break free
Die Oberfläche der Figur Freddie Mercury funkelt und glänzt: Gerne inszenierte sich das extravagante Gesangstalent als der ultimative Entertainer und war auch neben der Bühne eine Rampensau, die ausschweifende Parties veranstaltete. Die Kritik, dass «Bohemian Rhapsody» das Thema seiner Homosexualität und seines ausschweifenden Lebensstil nicht genug behandelt, ist unbegründet. Rami Malek setzte sich selbst dafür ein, dass Mercurys Erkrankung an HIV, der er im Jahr 1991 erlag, im Film erwähnt wird, obwohl dies die chronologische Reihenfolge der echten Begebenheiten durcheinander bringt. Die Szene, in der er seiner langjährigen Freundin Mary Austin (Lucy Boynton) seine Homosexualität beichtet, gehört zu den emotionalsten des ganzen Filmes.
Ohne gewertet zu werden, finden diese Themen, die Mercury vor der Öffentlichkeit geheim hielt, in «Bohemian Rhapsody» ihren Platz. Ebenso zeigt der Film Mercurys persönliche Schwierigkeiten, als seine Bandkollegen sich Ende der 80er vom Partyleben verabschiedeten und eigene Familien gründeten, worauf sich Mercury an einer Solo-Karriere versuchte und sich nur noch mit falschen Freunden umgab.
Dennoch verfehlt das Biopic sein Ziel, Freddie Mercurys Persona zu entschlüsseln. Wer war der Mann unter den extravaganten Kostümen und hinter der Bühne? Wieso schämte er sich für seine Herkunft? Das scheue Drehbuch kratzt nur an der Oberfläche dieser Fragen, beleuchtet die Einsamkeit des passionierten Künstlers und zeigt seine Kommunikationsschwierigkeiten, beantwortet aber das Warum für sein Verhalten nicht – Freddie Mercury bleibt ein Mysterium.
135 Minuten Under pressure
Auch scheint das Drehbuch «under pressure» gewesen zu sein: Im Schnelldurchlauf durchläuft der Film die verschiedenen biografischen Stationen von Freddie Mercury und Queen. Kaum ein Thema wird ausführlich behandelt, die 15 Jahre spulen im Schnelldurchlauf ab. Wie eine Glam Rocket schiesst die Nacherzählung vorwärts, was wahre Empathie für die Figuren schwierig macht und die emotionale Kartharsis abschwächt.
Zusätzlich angefeuert wird der Hetzzug vom ungeduldigen Schnitt. Die Kamera verweilt nur kurz auf jedem Sujet, bisweilen wechselt sie ihren Fokus schneller als die Basslinie in «Another one bites the dust» (immerhin fast 110 bpm).
Zudem lassen sich chronologische Fehler in «Bohemian Rhapsody» ausmachen, die zugunsten der Dramaturgie so eingesetzt wurden. Diese Unachtsamkeiten lassen sich vielleicht auf die etwas chaotische Produktion zurückführen: So sprang Regisseur Bryan Singer («X-Men») während des Drehs ab und wurde durch Dexter Fletcher ersetzt.

Live Aid im Wembley
Das wahre Potential des Biopics
Erst in den letzten zwanzig Minuten, dem Grande Finale, hält die Kamera ein wenig länger schnittlos durch. Hier entfaltet sich das wahre Potential des Films: Die Verfilmung des Live Aid-Konzerts ist detailgetreu nachgeahmt, sogar die Becher auf dem Klavier, an dem Freddie zu Beginn feierlich die ersten Klänge von Bohemian Rhapsody einhämmert, sind eins zu eins von den Originalaufnahmen aus dem Jahr 1985 übernommen.
Keine lästigen Schnitte, kein Hin und Her, sondern nur das reine Konzert, das als grösstes der Rockgeschichte einging: Euphorie setzt ein, längst hat man vergessen, wie der echte Freddie Mercury ausgesehen hat (egal, ob man ihn jemals live gesehen hat oder nicht), und auch, dass man ja im Kinosaal sitzt und nicht in der jubelnden Menge am legendären Live Aid-Konzert schwimmt.
Wer nach «Bohemian Rhapsody» aus dem Saal läuft, hat nicht nur mindestens acht Ohrwürmer zugleich, sondern auch einen frappanten Hörschaden – aber das muss so sein bei einem Film, der besser als Konzertfilm als als Künstlerbiografie taugt
Wer nach «Bohemian Rhapsody» aus dem Saal läuft, hat nicht nur mindestens acht Ohrwürmer zugleich, sondern auch einen frappanten Hörschaden – aber das muss so sein bei einem Film, der besser als Konzertfilm als als Künstlerbiografie taugt und so dem ganzen Zuschauerraum beweist, dass es nur eine Queen gibt: Freddie Mercury mitsamt seiner unvergesslichen Stimme.
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Kinostart: 31. Oktober 2018
Regie: Bryan Singer
Mit: Rami Malek, Mike Myers, Gwilym Lee, Ben Hardy, Joseph Mazzello, Lucy Boynton
Bild- und Trailerquelle: Warner Bros. Schweiz
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