«Borat Subsequent Moviefilm: Delivery of Prodigious Bribe to American Regime for Make Benefit Once Glorious Nation of Kazakhstan»
14 Jahre ist es her, seit Sacha Baron Cohen in der Rolle des rasenden kasachischen Reporters Borat Sagdiyev die USA unsicher gemacht und mit «Borat» einen Meilenstein der Versteckte-Kamera-Komödie geschaffen hat. Nun ist er zurückgekehrt ins Land der Pandemieleugner und Verschwörungstheoretiker – und er kommt wie gerufen: «Borat Subsequent Moviefilm» ist die Mischung aus messerscharfer Satire, unerhörter Blödel-Farce und atemberaubender Performance-Kunst, die das Chaosjahr 2020 verdient.
Kein Zweifel, Sacha Baron Cohen ist Geschmackssache. Er mag aus der gleichen britischen TV-Comedy-Ecke kommen wie die inzwischen etablierten Filmemacher Chris Morris («Four Lions») und Edgar Wright («Shaun of the Dead», «Baby Driver»); doch während diese mit spitzem Wortwitz und brillanten Inszenierungskniffen von sich reden machen, zieht Baron Cohen brachialere und damit polarisierendere Methoden vor: Seine berühmtesten Kunstfiguren, Rapper Ali G und Journalist Borat Sagdiyev, zeichnen sich in erster Linie durch anzüglichen Toilettenhumor und nicht selten demütigende Versteckte-Kamera-Streiche aus. Als Ali G veräppelte Baron Cohen leichtgläubige Berühmtheiten von David Beckham bis Donald Trump in absurden Interviews; mit dem trottelig-freundlichen, aber himmelschreiend sexistischen, homophoben, rassistischen und antisemitischen Borat wiegt er seine Gesprächspartner*innen in falscher Sicherheit und verleitet sie zu bisweilen ungeheuerlichen Aussagen.
Das ist nicht immer lustig, und manchmal würde man sich sogar wünschen, Baron Cohen möge doch etwas mehr Gnade walten lassen mit Menschen, deren grösster Fehler darin bestand, sich nichts ahnend auf die schnauzbärtige, Englisch radebrechende Karikatur eines Osteuropäers/Vorder-/Zentralasiaten einzulassen. Doch wie der Film «Borat: Cultural Learnings of America for Make Benefit Glorious Nation of Kazakhstan» (2006) zumindest stellenweise bewies, steckt in dieser Masche grosses subversives Potenzial: Zusammen mit Regisseur Larry Charles erwischte Baron Cohen George W. Bushs Amerika quasi in flagranti – die Szene, in der Borat ein ganzes Rodeo-Publikum in Virginia seine Glückwünsche an den blutrünstigen «War of Terror» des «mächtigen US-Warlords» Bush lautstark bejubeln lässt, ist bis heute einer der unheimlichsten Vorboten der Ära Trump.
«Borat soll dem amerikanischen Vizepräsidenten Mike Pence einen Affen – seines Zeichens kasachischer Kulturminister und Spitzen-Pornostar – als Geschenk überreichen.»
Höchste Zeit also, Borat aus dem Ruhestand zu holen – oder genauer gesagt: aus dem Gulag. Denn dass Charles’ Mockumentary zum Blockbuster avancierte, wird Borat in Jason Woliners Fortsetzung «Borat Subsequent Moviefilm» zum Verhängnis: Seit 2006 schuftet der in Ungnade gefallene Reporter in einem Steinbruch, weil sein USA-Roadtrip Schande über das glorreiche kasachische Reich gebracht hat. Doch nun hat Premier Nursultan Nazarbayev (Dani Popescu) einen Plan: Borat soll dem amerikanischen Vizepräsidenten Mike Pence einen Affen – seines Zeichens kasachischer Kulturminister und Spitzen-Pornostar – als Geschenk überreichen, sodass Nazarbayev im internationalen Club der Diktatoren rund um Präsident Trump mittun kann.
Waren die eher halbherzigen Versuche, Borats Fettnäpfchen-Tingelei in einen Plot zu integrieren, eine der grössten Schwächen von «Borat», punktet das Sequel mit einem vollständigen dramatischen Bogen: Der einstmals viertbeste Journalist von Kasachstan bestreitet seine bizarre Odyssee nämlich nicht allein, sondern in Begleitung seiner 15-jährigen Tochter Tutar (Maria Bakalova), die in den USA langsam dahinterkommt, dass die Geschichten von natürlicher weiblicher Dummheit und menschenfressenden Vaginas, die ihr in ihrer Heimat erzählt wurden, womöglich nur frauenfeindliche Märchen sind.
«‹Borat Subsequent Moviefilm› ist 15 Minuten länger als sein Vorgänger, weist aber trotz aller Improvisation eine komödiantische und emotionale (!) Stringenz an den Tag, die ‹Borat› nie erreichte.»
Die erzählerische Erdung wirkt Wunder. «Borat Subsequent Moviefilm» ist 15 Minuten länger als sein Vorgänger, weist aber trotz aller Improvisation eine komödiantische und emotionale (!) Stringenz an den Tag, die «Borat» nie erreichte. Geskriptete Szenen, in denen Vater und «nicht-männlicher Sohn» ihre Differenzen austragen, geben den ungeskripteten und ungeskriptet scheinenden Momenten den nötigen Kontext – die Besuche in seltsamen Clubs und Institutionen, wo der nicht aus dem Konzept zu bringende Baron Cohen und die kongeniale Maria Bakalova Unruhe stiften, werden Teil einer überraschend anregenden Dramaturgie. Das ist besonders beeindruckend, wenn man bedenkt, dass der Film just dann gedreht wurde, als die Welt – allen voran die USA – ins COVID-Chaos zu stürzen begann.
Vielleicht ist es auch diesem turbulenten Produktionsprozess geschuldet, dass in «Borat 2» die Szenen, in denen nicht die düstere amerikanische Psyche, sondern das Fremdschämen an sich im Vordergrund steht, auf ein Minimum reduziert wurden. Woliner und Baron Cohen sagen sich weitestgehend los von letztlich kaum aussagekräftigen Eskapaden, in denen Borat etwa eine Benimmschule mit einem mit Fäkalien gefüllten Plastiksäckchen konfrontiert.
Hier geht es mit wenigen Ausnahmen praktisch pausenlos ans Eingemachte: Ein Pastor in einem «Crisis Pregnancy Center» zeigt sich von einem vermeintlichen Abtreibungswunsch schockierter als von einer Inzest-Schwangerschaft. Ein Ladenbesitzer ist etwas zu gelassen, als er Borats Frage beantwortet, wie viele Roma er mit einem Gaskanister töten könnte. Die wahrscheinlich gestellte Szene, in der Borat eine Konditorin den Nazi-Slogan «Jews will not replace us» auf einen Kuchen spritzen lässt, wirkt gerade realitätsnah genug, um einen leer schlucken zu lassen. Die ganz sicher nicht gestellte Szene, in der Baron Cohen, verkleidet als konservativer Sänger «Country Steve», einen Anti-Lockdown-Protestzug zu Hitlergrüssen verführt, ist ein beängstigend vertrautes Bild aus dem Amerika von Trump und QAnon – und eines, das durch den zwiespältigen Auftritt zweier gewaltverherrlichender Trump-Wähler noch zusätzlich verkompliziert wird.
«Mit ‹Borat Subsequent Moviefilm› eskaliert Baron Cohen das Projekt seiner inhaltsverwandten Fernsehserie ‹Who Is America?› – das gnadenlose Herumstochern in den Wunden der amerikanischen Gesellschaft – und schafft damit eine wohl definierende Komödie der noch jungen 2020er Jahre.»
Es sind Momente wie diese – Momente, in denen man sich als Zuschauer*in schmerzlich bewusst ist, dass das Lachen nur ein Abwehrreflex ist –, welche diese Affiche zu einer ernstzunehmenden Satire über die USA im Jahr 2020 machen. Geschmackssache hin oder her: Mit «Borat Subsequent Moviefilm» eskaliert Baron Cohen das Projekt seiner inhaltsverwandten Fernsehserie «Who Is America?» (2018) – das gnadenlose Herumstochern in den Wunden der amerikanischen Gesellschaft – und schafft damit eine wohl definierende Komödie der noch jungen 2020er Jahre.
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Filmfakten: «Borat Subsequent Moviefilm: Delivery of Prodigious Bribe to American Regime for Make Benefit Once Glorious Nation of Kazakhstan» / Regie: Jason Woliner / Mit: Sacha Baron Cohen, Maria Bakalova / USA / 96 Minuten
Bild- und Trailerquelle: © Amazon Prime Video
Das «Borat»-Sequel ist ein Volltreffer: Getragen von zwei grossartigen Schauspielleistungen, bietet der Film messerscharfe, urkomische und überraschend emotionale Satire-Unterhaltung.
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