Schauplatz: Brunaupark, Zürich. Fünf Wohnkomplexe, 405 Wohnungen – und das Zuhause von über 350 Menschen. Das ändert sich drastisch, als 2018 bei der Hälfte der Mietparteien die Kündigung in den Briefkasten flattert. Der Grund? Ein geplanter Neubau der Pensionskasse der Credit Suisse. Moderner, hipper und natürlich deutlich gewinnbringender. «Brunaupark» begleitet drei Jahre lang eine Handvoll Betroffener und zeigt den Umgang mit Gentrifizierung und Spekulation durch ihre Augen. Auf dem Papier ein nüchterner Dokumentarfilm, in Realität ein wunderbar feinfühliges Porträt, das sich mit einer relevanten Frage befasst: Wie und wo wohnen wir in Zukunft?
«Eine Liebeserklärung an einen vom Abbruch bedrohten Häuserblock»: Diese anerkennenden Worte fand die Jury am diesjährigen Visions de Réel in Nyon für den Schweizer Dokumentarfilm «Brunaupark». Als Krönung folgte der Hauptreis im nationalen Wettbewerb. Dass die Luzerner Regisseure Felix Hergert («Drummer», «Mussies Zimmer») und Dominik Zietlow («Taube Feuer») ein derart positives Echo auslösen, überrascht nicht. Klar liegt das in erster Linie am gelungenen Ergebnis ihrer ersten Zusammenarbeit – aber eben auch nicht zuletzt am gewählten Thema, das relevanter nicht sein könnte: der Wandel im (Wohn-)Raum.
Der Brunaupark in Zürich ist der ideale Schauplatz, um dieses Phänomen aufzuzeigen – nicht nur aufgrund seiner beachtlichen Grösse und dem unfreiwilligen Dasein als Profitanlage der Credit Suisse, sondern auch wegen seiner bunt durchmischten und charismatischen Bewohnerschaft, die einem schnell ans Herz wächst. Da ist zum Beispiel Ciccio, Pizzaiolo aus Leidenschaft und Seele des Quartiers. Er muss sein Restaurant unfreiwillig schliessen und eröffnet kurzerhand ein improvisiertes Bistro für seine Freunde. Oder die Gruppe achtjähriger Mädchen, die sich beim Herumturnen an den Baumasten fragt, warum man nicht den deutlich hässlicheren CS-Betonblock nebenan abreissen könne. Eine ältere Bewohnerin hat Angst, bald unter einer Brücke zu schlafen, während in der Tiefgarage eine Opernsängerin nachts ihr einsames Lied trällert.
So unterschiedlich die gezeigten Figuren sind, so ähnlich sind ihre Anliegen. Alle bangen um ihre eigenen vier Wände und leben mit einer wachsenden Ungewissheit. Wohin, wenn die Baumaschinen kommen? Was tun, wenn die Miete in unbezahlbare Höhen schnellt? Sich vertreiben zu lassen, kommt trotzdem nicht infrage – nicht einmal, als die geschlossene Pizzeria einem Hipstercafé mit Açaí-Bowls und Latte-Art weicht und eine Firma die vielen bereits leerstehenden Wohnungen temporär vermietet. Umso schöner ist es, dass Hergert und Zietlow genau diese Menschen ins Rampenlicht rücken, die immer weniger willkommen sind. Ohne explizit erörternde Interviews zu führen, tauchen sie ein in deren Lebenswelten und halten alles fest, von den melancholischen Augenblicken bis hin zu wundersamen Eigenheiten und Ritualen.
«Der Film zeigt wunderbar feinfühlig und lebensnah auf, was hier an Heimat und Gemeinschaft verloren geht – und was schliesslich an Hoffnung bleibt.»
Genau das ist es, was «Brunaupark» so besonders macht: Das Publikum erlebt die Hauptfiguren aus nächster Nähe und nimmt verschiedenste Perspektiven ein. Kinder erleben Umbrüche anders als pubertierende Teenager. Die ältere Dame setzt andere Prioritäten als die vierköpfige Familie. Durch diese persönlichen Blickwinkel und kunstvolle Standbilder aus dem Brunaupark-Kosmos fühlt sich die Dokumentation phasenweise fast an wie ein Indie-Film im Stil von «The Florida Project» (2017).
In gewissen Momenten wäre etwas mehr Richtung und Struktur zwar nicht schlecht gewesen, aber bei einer überschaubaren Länge von gut 90 Minuten ist das schnell vergessen. Denn alles in allem zeigt der Film wunderbar feinfühlig und lebensnah auf, was hier an Heimat und Gemeinschaft verloren geht – und was schliesslich an Hoffnung bleibt.
«Es wird sich also zeigen, ob sich das Ausharren der Mietenden gelohnt hat – und es vielleicht doch noch ein Happy End für den Brunaupark gibt.»
Wer diesen Kampf gewinnt, steht aktuell übrigens noch in den Sternen. Zwar erhielt die Pensionskasse der Credit Suisse im März 2020 die Brunaupark-Baubewilligung. Wegen Lärmschutzbedenken und Beschwerden des Mieter*innenverbands musste sie aber schon mehrfach einen Stopp einlegen. In der Zwischenzeit hat sich auch die Stadt Zürich eingeschaltet und mehrere Forderungen gestellt. Darum kam es bis jetzt lediglich zur Renovation der Gewerbeflächen. Bei den Wohneinheiten ist bisher nichts passiert. Es wird sich also zeigen, ob sich das Ausharren der Mietenden gelohnt hat – und es vielleicht doch noch ein Happy End für den Brunaupark gibt.
Über «Brunaupark» wird auch in Folge 75 des Maximum Cinema Filmpodcasts diskutiert.
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Kinostart Deutschschweiz: 29.8.2024
Filmfakten: «Brunaupark» / Regie: Felix Hergert, Dominik Zietlow / Schweiz / 91 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Vinca Film GmbH
Wohnungsnot und Wandel: «Brunaupark» ist ein feinfühliges Ensembleporträt einer verschwindenden Siedlung, deren Bewohnerschaft resistent dagegen ankämpft.
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