In Marielle Hellers «Can You Ever Forgive Me?» versucht sich eine verbitterte New Yorker Autorin mithilfe eines schlagfertigen Lebemanns als literarische Fälscherin. Die faktenbasierte Tragikomödie ist das reine Vergnügen.
Anfang der Neunzigerjahre kämpft Lee Israel (Melissa McCarthy) im erbarmungslosen New Yorker Buchmarkt um jeden Cent: Während Kultautoren wie Tom Clancy oder Nora Ephron heiss begehrt sind, muss die einst gefeierte Biografin bei ihrer Agentin (der wunderbaren Jane Curtin) regelrecht um Meetings betteln. Doch als bei Lee die Miete überfällig ist, ihre geliebte Katze einen Besuch beim Tierarzt nötig hat und auch das Whiskey-Geld langsam knapp wird, stösst sie unverhofft auf eine lukrative Einnahmequelle: Es stellt sich heraus, dass Buchläden bereit sind, ansehnliche Summen für die Briefe berühmter Leute hinzublättern. Also greift Lee kurzerhand zur Schreibmaschine und fängt an, diese begehrten «Originale» gleich selber herzustellen.
Marielle Heller, deren Regiedebüt («The Diary of a Teenage Girl») beim Sundance-Festival 2015 für Furore sorgte, und ihren oscarnominierten Drehbuchautoren Nicole Holofcener («Enough Said») und Jeff Whitty ist mit «Can You Ever Forgive Me?» ein Kunststück gelungen. Obwohl sich die Geschichte einer unverhofften kriminellen Karriere hauptsächlich in Bars, Antiquariaten und an Lees Schreibtisch abspielt, ist ihre Adaption von Israels Memoiren eine hinreissende Mischung aus Screwball-Komödie, Heist-Movie und Charakterstudie.
Aufrichtig berührt
Neben den geistreichen Dialogen stechen dabei vor allem die Schauspieler hervor. Melissa McCarthy, die vor allem für ihre Komödienrollen («Bridesmaids», «The Heat», «Spy») bekannt ist, ist hier erstmals seit ihrer grossartigen Leistung im Bill-Murray-Vehikel «St. Vincent» (2014) wieder in einem ernsteren Stoff zu sehen und beweist einmal mehr, dass sie das Zeug zur dramatischen Hauptdarstellerin hat. Sie bringt es fertig, die nicht eben umgängliche Lee Israel zu einer richtiggehend einnehmenden Persönlichkeit zu machen: McCarthy erfüllt das komödiantische Potenzial, das der staubtrockene Zynismus ihrer Figur in sich birgt, gibt sich damit aber nicht zufrieden. Unterstützt von Whittys und Holofceners hintersinnig-subtilem Skript, lotet sie Lees tragische Seite vollumfänglich aus, sodass «Can You Ever Forgive Me?» nicht nur bestens unterhält, sondern auch aufrichtig berührt.
Ihr gegenüber agiert der britische Charakterdarsteller Richard E. Grant, der mit seiner ansteckenden Freude über den Erfolg seiner Darbietung zu einem Höhepunkt der diesjährigen Oscar-Saison avanciert ist. Er hat auch allen Grund, stolz zu sein: In der Rolle des Jack Hock, des spitzzüngigen Überlebenskünstlers, mit dem Lee sich anfreundet, zeigt Grant eine der besten Nebendarsteller-Performances der letzten Jahre. Jacks mitreissender Elan ist die perfekte Ergänzung zur mürrischen Lee, wobei auch Grant die Gelegenheit erhält, die dramatischen Tiefen seiner Figur – eines einsamen, praktisch obdachlosen Mittfünfziger-Casanovas – zu erkunden.
«Eine hinreissende Mischung aus Screwball-Komödie, Heist-Movie und Charakterstudie.»
«Can You Ever Forgive Me?» handelt von rauen, unvollkommenen, emotional komplexen Menschen, die sich das Leben manchmal auch selber schwer machen. Doch Lee und Jack – zwei angejahrte, homosexuelle Intellektuelle, die es mit der Welt aufnehmen – bleiben dank grandioser Schauspieler und eines gewitzten Drehbuchs durchgehend ein sympathisches und für Hollywood-Verhältnisse leider immer noch ungewöhnliches Protagonisten-Duo.
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Kinostart Deutschschweiz: 14.2.2019
Filmfakten: «Can You Ever Forgive Me?» / Regie: Marielle Heller / Mit: Melissa McCarthy, Richard E. Grant, Dolly Wells, Jane Curtin / USA / 107 Minuten
Bild- und Trailerquelle: 2018 Twentieth Century Fox Film Corporation
Melissa McCarthy und Richard E. Grant sowie ein starkes Drehbuch machen Marielle Hellers «Can You Ever Forgive Me?» zu einem ebenso vergnüglichen wie bewegenden Kinoerlebnis.
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