Ein weltberühmtes Musical trifft auf einen gefeierten Oscar-Regisseur: Mit «Cats» schafft Tom Hooper einen verstörenden Albtraum, der so ziemlich alles falsch macht, was ein Film falsch machen kann. Trotzdem kann und will man nicht wegschauen.
«Eine Kritik über ‹Cats› zu schreiben – dazu noch eine originelle –, ist kein einfaches Unterfangen.»
Eine Kritik über «Cats» zu schreiben – dazu noch eine originelle –, ist kein einfaches Unterfangen. Der Film von Oscar-Gewinner Tom Hooper («The Kings Speech») inspirierte bereits so viele Spotttiraden, dass es scheint, als sei ein regelrechter Wettbewerb der Schadenfreude entbrannt: «a purr-fectly dreadful hairball of woe», betitelte so etwa der «Guardian»-Kritiker Peter Bradshaw sein ganz in Reimen verfasstes Review. Edward Douglas bezeichnet das Musical als «the worst thing to happen to cats since dogs». Und Ignatiy Vishnevetsky schreibt ganz nüchtern: «Yes, Cats is as bad as it looks».
Letzteres wird keine Überraschung sein für all jene, die seit dem ersten Trailer von Albträumen geplagt werden: Einige der grössten Stars aus dem Film- und Showbusiness (darunter Judi Dench, Taylor Swift, Jennifer Hudson, Ian McKellen und Jason Derulo) präsentierten sich der Welt als eine groteske Mischung aus Mensch und Tier – fellbedeckt, beschnurrhaart und beschwanzt, doch mit menschlichen Augen, Nasen, Lippen, Zähnen und Fingern. Sie räkelten sich auf rostigen Autos, in dreckigen Hinterhöfen, in überdimensionalen Wohnungen, allesamt biegsam, sinnlich und ausgesprochen verstörend. Der Trailer, so schien es, machte nicht einmal Anstalten, mehr als eine Aneinanderreihung von Horrorvisionen zu sein. Und gerade das machte ihn so faszinierend.
«Tatsächlich ist der Film ein so fundamental bestürzendes Erlebnis, dass man ihn kaum in Worte fassen kann.»
Tatsächlich ist der Film ein so fundamental bestürzendes Erlebnis, dass man ihn kaum in Worte fassen kann. Basierend auf dem weltweit erfolgreichen Bühnenstück der wohl zentralsten Figur der Musicalwelt, Andrew Lloyd Webber (der dafür wiederum einen Band von simplen Kindergedichten von T. S. Eliot vertonte), erzählt «Cats» von einer Bande von sogenannten «Jellicle Cats». Jede darf sich individuell mit einem Lied vorstellen, um auszulosen, welche von ihnen sterben und per Kronleuchter in den Himmel aufsteigen darf. Damit ist die Geschichte auch bereits zusammengefasst, denn mehr passiert während der 110-minütigen Filmlaufzeit nicht.
Jenen, die sich von der Aussicht auf die detaillierte Lebensgeschichte von gefühlt 200 Katzen noch nicht genügend abgeschreckt und/oder von masochistischer Neugier übermannt fühlen, sei noch einmal versichert, dass jede einzelne Entscheidung, die in diesen Film floss, rätselhaft und haarsträubend ist. Selbst wenn man sich plötzlich an die abscheuliche Gestaltung der Figuren gewöhnt und vergessen hat, wie Katzen und Menschen ausserhalb des Kinosaals aussehen, bleiben immer noch genügend Szenen, in denen man nicht weiss, ob man lieber hinschauen oder die Augen schliessen soll. Im einen Moment tanzt etwa Rebel Wilson mit einer Reihe Kakerlaken durch eine überproportionale Küche und zieht sich, dank Reissverschluss, die eigene Katzenhaut aus – im nächsten entblösst Idris Elba einen muskulös gestählten Katzenkörper, der einen vor plötzlicher Nacktheit beschämt erröten lässt. Diese Albtraumvisionen, aus dem abgründigsten Unterbewusstsein der Menschheit gepflückt, sind Bilder, die man sonst eigentlich beim Aufwachen vergessen möchte – die nun aber überlebensgross und eindringlich auf die Leinwand gebannt sind.
«Selbst wenn man sich plötzlich an die abscheuliche Gestaltung der Figuren gewöhnt und vergessen hat, wie Katzen und Menschen ausserhalb des Kinosaals aussehen, bleiben immer noch genügend Szenen, in denen man nicht weiss, ob man lieber hinschauen oder die Augen schliessen soll.»
Ein anderer Regisseur hätte sich dem einzigartigen Potenzial des albernen Materials vielleicht mit einer gehörigen Prise Humor und Selbstironie angenommen. Allerdings bewies Hooper bereits mit seiner ersten Musical-Adaption «Les Misérables» (2012), dass er ein zutiefst ernsthafter Regisseur ist, einer, der glaubt, dass Emotionen am besten in Close-Ups festgehalten werden – je mehr Augenkontakt mit dem Publikum, desto besser. So fehlt auch «Cats» der Schalk, der ein Bewusstsein dem eigenen Horror gegenüber verraten würde; und dank Hoopers gewohnt bizarren Kameraeinstellungen werden obendrein auch die charakteristischen Tanzeinlagen von «Hamilton»-Choreograf Andy Blankenbuehler überwiegend in den Hintergrund gedrängt. Alles, was bleibt, ist der Blick auf die Katzengesichter mit Menschennasen – und Tränen und Rotz, die beim emotionalen Höhepunkt in Strömen fliessen.
«Ein Film, der voller ernsthafter Aufrichtigkeit einfach alles falsch macht, was ein Film nur falsch machen kann.»
«Cats» hat das Potenzial, ein Klassiker im Stil von Tommy Wiseaus genüsslich verspottetem Drama «The Room» (2003) zu werden: ein Film, der voller ernsthafter Aufrichtigkeit einfach alles falsch macht, was ein Film nur falsch machen kann. Mit der richtigen Einstellung und einem entsprechenden Publikum kann der Kinobesuch viel Spass machen, ansonsten wird man – gelangweilt, verwirrt und voller Grauen – spätestens nach dem dritten Katzen-Solo schwören, von jetzt an nur noch Hunde zu mögen.
–––
Kinostart Deutschschweiz: 26.12.2019
Filmfakten: «Cats» / Regie: Tom Hooper / Mit: Francesca Hayward, Robbie Fairchild, Judi Dench, Idris Elba, Jennifer Hudson, James Corden, Rebel Wilson, Ian McKellen, Jason Derulo, Taylor Swift / Grossbritannien, USA / 110 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Universal Pictures International Switzerland
Diesem Film ein Rating zu verpassen, ist unmöglich – dafür ist er auf jeder Ebene zu rätselhaft. Mutig entwirft «Cats» eine grauenvolle Welt jenseits traditioneller Kategorien wie «gut» oder «schlecht».
No Comments