Mit «Civil War» stürzt «Ex Machina»-Regisseur Alex Garland die USA in den Bürgerkrieg und schickt eine Truppe von Medienschaffenden auf einen Roadtrip des Grauens. Es ist ein Werk von eindringlichen Bildern und explosiven Tönen, das sich aber jeder Aussage verwehrt.
In den USA der nahen Zukunft stehen Menschen Schlange für Wasserrationen. Die Autobahnen quellen über vor verlassenen Autos. Der Horizont qualmt ominös, Schüsse hallen durch die Nacht. Der US-Dollar hat jeden Wert verloren; wer wertvolles Benzin erstehen will, probiert es besser mit kanadischer Währung. Der Präsident befindet sich in seiner dritten Amtszeit, hat das FBI aufgelöst auf und bereits Luftangriffe auf Zivilpersonen befehligt. Das Land ist gespalten. Gesetz und Ordnung sind passé; Selbsterhaltung ist das oberste Gebot.
In diese vom Bürgerkrieg zerrissene Landschaft reisen die versierte Kriegsfotografin Lee (Kirsten Dunst), ihr Kollege Joel (Wagner Moura), die junge, ambitionierte Fotografin Jessie (Cailee Spaeny) und der gutmütige ältere Journalist Sammy (Stephen McKinley Henderson). Ihr Ziel ist das Weisse Haus, wo sich der Präsident (Nick Offerman) verschanzt, während die Westliche Allianz von Kalifornien und Texas unaufhaltsam näher rückt. Ein letztes Foto, ein letztes Interview – ein Ziel, das für die Truppe alle Mittel rechtfertigt.
Die Welt, die Regisseur und Drehbuchautor Alex Garland seinem Publikum in «Civil War» skizziert, ist bruchstückhaft. Welche politischen Umstände zum titelgebenden Bürgerkrieg geführt haben und welche Anliegen die unterschiedlichen Fraktionen vertreten, lässt der Film bewusst offen. Hie und da ein vager Hinweis, etwa die Nennung eines «Antifa-Massakers», dessen Dokumentierung Lee zum Durchbruch verhalf – doch ob hier die Antifa massakrierte oder massakriert wurde, ist unklar. Sind es Moral oder Idealismus, für welche die Medienschaffenden ihr Leben riskieren? Nein: Ihre Aufgabe, erläutert Lee mit abgelöschter Entschlossenheit, ist das Aufzeichnen. Urteile sollen sich andere Leute bilden.
Die Reise von New York nach Washington D.C. gestaltet sich als episodische Horror-Odyssee, halb Kriegsfilm, halb apokalyptische Dystopie, angesiedelt zwischen «Apocalypse Now» (1979) und «The Last of Us» (2023): Gehängte Leichen, Massengräber und Zeltlager voll mit Menschen, die alles verloren haben. Dazwischen laute Schüsse und blutige Explosionen, die dem Publikum in kalkulierten Abständen Adrenalin durch die Adern jagen. Nie lässt einen «Civil War» vergessen, dass Friede in dieser Welt nicht existiert.
«Gehängte Leichen, Massengräber und Zeltlager voll mit Menschen, die alles verloren haben. Dazwischen laute Schüsse und blutige Explosionen, die dem Publikum in kalkulierten Abständen Adrenalin durch die Adern jagen.»
In einer der wenigen ruhigen Szenen des Films findet die Truppe etwa eine letzte Bastion der scheinbaren Normalität: eine kleine Stadt, in der die unversehrte Einkaufpassage hübsche Kleider und allerlei Tand feilbietet. Es ist die beinahe obligatorische Szene für das Genre, in der die Figuren einander spielerisch näherkommen können – doch effektiv, besonders als die Illusion aufgehoben wird und die Kamera langsam nach oben schwenkt, um die Scharfschützen auf den Dächern zu offenbaren.
Dass der Film auf audiovisueller Ebene überzeugt, überrascht nicht: Garland bewies mit seinem klaustrophobischen AI-Kellerverlies in «Ex Machina» (2015) und dem meditativen Horror-Sumpf in «Annihilation» (2018), dass er ein Meister darin ist, Welten zu kreieren, die unangenehm unter die Haut gehen. Doch bereits sein letzter Film «Men» (2022) wirkte unter der polierten Oberfläche auf ähnliche Weise hohl wie «Civil War»: Auch in «Men» stellte Garland den Anspruch auf Universalität über eine effektive Spezifität; auch in «Men» erhielten grosse metaphorische Gesten den Vorzug vor konkreten soziopolitischen Realitäten.
«Civil War» ist voll mit Szenen, die unbestimmt gegen den Gräuel des Krieges gestikulieren. Die wohl aussagekräftigste Szene platziert die Medien-Truppe in einem verlassenen Weihnachtsdorf mit geisterhafter Weihnachtsmusik (atmosphärisch!), in dem zwei Soldaten blind auf einen ungesehenen Feind schiessen, dessen politische Gesinnung sie nicht kennen. Eine etwaige These von «Civil War» könnte also lauten: Wenn auf uns geschossen wird, schiessen wir zurück. Oder: Krieg wird nicht von Gesinnung, Moral, oder Überzeugung vorangetrieben, sondern vom Kampf ums Überleben. Oder aber: Krieg ist schlecht und macht uns alle schlechter.
«Inwiefern kann sich ein Kriegsfilm etwa aus der Verantwortung winden, auch nur den Ansatz eines Kommentars über die Welt zu liefern, in der er entstanden ist und die ihn inspiriert hat? Gibt es apolitisches Kriegskino überhaupt?»
Wie schon in «Men» ist dieser breit gepinselte Ansatz nicht unbedingt falsch, wirft aber grosse Fragen auf. Inwiefern kann sich ein Kriegsfilm etwa aus der Verantwortung winden, auch nur den Ansatz eines Kommentars über die Welt zu liefern, in der er entstanden ist und die ihn inspiriert hat? Gibt es apolitisches Kriegskino überhaupt? Was bedeutet es, einen Film über einen Bürgerkrieg in den USA anzusiedeln, wo der letzte Bürgerkrieg sehr wohl zwischen einer ganz klar «guten» und «schlechten» Seite ausgefochten wurde? Sind es Feigheit oder Box-Office-Kalkül, die Garland dazu veranlassen, seinen Bürgerkrieg in einer Realität anzusiedeln, in der ausgerechnet das stereotyp konservative Texas und das sprichwörtlich hyperliberale Kalifornien einen ideologischen Pakt eingegangen sind? Oder lenken uns solche Fragen nur von den Stärken und wahren Anliegen eines Werks ab?
Inwiefern der Film einen abholen wird, mag davon abhängen, wie man diese Fragen für sich selbst beantwortet. Für diese Kritikerin entpuppte sich der Film schliesslich als leeres Experiment: Ja, die Schüsse liessen sie zusammenzucken. Doch die Figuren, auf die geschossen wurde, sind in ihrem apolitischen Vakuum nicht greifbar, sind kaum mehr als Pappaufsteller, die einzig durch die durchgehend grossartigen Schauspielleistungen von Dunst, Moura und Co. einen Funken Leben erhalten.
«Die Figuren, auf die geschossen wird, sind in ihrem apolitischen Vakuum nicht greifbar, sind kaum mehr als Pappaufsteller, die einzig durch die durchgehend grossartigen Schauspielleistungen von Dunst, Moura und Co. einen Funken Leben erhalten.»
Die Alternative ist nicht ein offenes Anti-Trump-Werk oder ein Ausschlachten der wachsenden Gespaltenheit im US-Diskurs. Doch gänzlich ohne moralischen Anker, ohne konkreten Blickpunkt, ohne auch nur eine einzige gewagte Aussage oder Überzeugung schafft der Film den Sprung von atmosphärischer Skizze zu an- und aufregendem Kunstwerk nicht.
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Kinostart Deutschschweiz: 18.4.2024
Filmfakten: «Civil War» / Regie: Alex Garland / Mit: Kirsten Dunst, Wagner Moura, Cailee Spaeny, Stephen McKinley Henderson, Nick Offerman, Sonoya Mizuno, Jesse Plemons / Grossbritannien, USA / 109 Minuten
Bild- und Trailerquelle: © 2024 Ascot Elite Entertainment. All Rights Reserved.
Gräuliche Bilder, laute Explosionen und politische Leere. Shoutout an Jesse Plemons, der in der Kritik keinen Platz fand – die wohl schaurigste und eindringlichste Darbietung im ganzen Film.
1 Comment
kriegsfotografin mit einer sony kamera ist mir einfach nicht sympatisch 🙂