In seinem neuen Film deutet der polnische Oscargewinner Paweł Pawlikowski die komplizierte Beziehung seiner Eltern zu einer Romanze ohne Romantik um. Im grazil vorgetragenen «Cold War» wird innige Liebe zum kalten Krieg.
Es ist spannend, Regisseur Paweł Pawlikowski («The Woman in the Fifth», «Ida») dabei zuzuhören, wie er über seine Eltern spricht. Denn er gesteht ihnen in Interviews und Festival-Panels – wie etwa beim diesjährigen Zurich Film Festival – sowohl ein persönlich-emotionales als auch ein historisches Leben zu: «Wunderbare Menschen, aber keine guten Eltern». Sie lernten sich in den stalinistischen Wirren der Nachkriegsjahre kennen, verbrachten Jahrzehnte damit, sich zu trennen und wieder zusammenzukommen, starben 1989 – kurz vor dem Mauerfall und dem Ende des Sowjetregimes.
Pawlikowski spitzt diese Geschichte in «Cold War», einer Quasi-Hommage an David Leans Klassiker «Brief Encounter» (1945), zu einer intimen Tragödie zu, zu einer melancholisch-lakonischen Winterreise durch die ersten 20 Jahre des kommunistischen Ostblocks. In deren Zentrum stehen der Pianist und Folklorist Wiktor (Tomasz Kot) und die junge Sängerin Zula (Joanna Kulig), deren turbulente Liebesgeschichte um 1950 in einer polnischen Musikakademie beginnt und die in den darauf folgenden Jahren den politischen und sozialen Umwälzungen schutzlos ausgesetzt ist.
Trotz der wunderschönen Schwarzweiss-Fotografie von Kameramann Łukasz Żal (oscarnominiert für «Ida»), die selbst einer bizarren Stalin-Huldigung etwas visuelle Poesie abzuringen vermag, ist in «Cold War» keine Spur von Nostalgie zu finden. Vielmehr scheint sich Pawlikowski dafür zu interessieren, was unter dem Totalitarismus mit dem sozialistischen Nachkriegsoptimismus passiert ist.
Der Film beginnt in der tiefsten polnischen Provinz, wo Wiktor und seine musikalischen Mitstreiter Irena (Agata Kulesza) und Lech (Borys Szyc) ländliche Melodien und Traditionen aufspüren. Es ist bitterkalt, aber man ist guter Dinge, beseelt vom Gedanken der Solidarität. Doch dann beginnt der Kalte Krieg – in der Politik und im Herzen: Wiktor und Irena entfremden sich, Lech wird zum Systemschergen, die Volksmusik zum Propagandawerkzeug. Als Wiktor und Zula zueinander finden, sind beide bereits desillusioniert, gefangen in einer Welt ohne Perspektiven: In Polen warten prekäre Lebensverhältnisse und diktatorischer Trott, jenseits des Eisernen Vorhangs Heimatlosigkeit und Anonymität.
«In gerade einmal 85 Minuten zeigt der brillant inszenierte Film, wie vor so einem Hintergrund eine glückliche Liebesgeschichte ein Ding der Unmöglichkeit ist».
In gerade einmal 85 Minuten zeigt der brillant inszenierte Film, wie vor so einem Hintergrund eine glückliche Liebesgeschichte ein Ding der Unmöglichkeit ist. Entsprechend überrascht es nicht, dass das Ganze eher ein intellektuelles denn ein emotionales Erlebnis ist. Doch ein Erlebnis ist es allemal.
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Kinostart Deutschschweiz: 29.11.2018 / Streambar auf cinefile, filmingo und myfilm
Filmfakten: «Cold War» («Zimna wojna») / Regie: Paweł Pawlikowski / Mit: Tomasz Kot, Joanna Kulig, Agata Kulesza, Borys Szyc / Polen, Frankreich, UK / 85 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Filmcoopi
Zwei Menschen suchen vergeblich nach dem Liebesglück: ein grossartig gemachter, kühl vorgetragener Film voller Melancholie und Lakonie.
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