Wenn ein Partner in einer Beziehung ganze Teile seines Lebens verheimlicht, ist dies bereits schlimm genug. Führen die Geheimnisse aber schliesslich zu einer Tat, die negative Auswirkungen auf unzählige Menschen haben wird, nimmt das Ganze noch einmal ganz andere Dimensionen an. «Copilot» wagt sich an eine heikle Thematik, traut sich aber am Ende nicht, richtig darin abzutauchen.
Die junge türkischstämmige Asli (Canan Kir) verliebt sich Mitte Neunzigerjahre in Deutschland in ihren libanesischen Mitstudenten Saeed (Roger Azar). Die beiden werden ein Paar, doch Aslis konservative Mutter ist resolut gegen eine Beziehung ihrer Tochter mit einem Araber. Und auch Saeed hat Konflikte mit seinen Eltern: Sie bestehen auf einem Medizinstudium, obwohl er lieber Pilot werden will.
Sowohl Asli als auch Saeed scheuen eine Konfrontation mit ihren Familien – so bleibt ihre Beziehung ein Geheimnis, und Saeed studiert weiter Medizin. Sie heiraten heimlich in einer Moschee; während der Zeremonie schwört Asli, Saeeds Geheimnisse zu wahren. Da ahnt sie aber noch nicht, dass Saeed davon eine ganze Menge hat, und dass diese nicht nur ihr Leben, sondern das Leben von unzähligen Menschen verändern werden.
«Wie erzählt man eine Geschichte mit einem empathischen Blick auf einen Menschen, der eine unfassbare Tat begangen hat?»
Wie erzählt man eine Geschichte mit einem empathischen Blick auf einen Menschen, der eine unfassbare Tat begangen hat? Eine Möglichkeit ist, diesen Menschen aus den Augen von jemandem zu betrachten, der die Person liebt – wie in diesem Fall aus Aslis Augen. Von Saeeds Motivation und Innenleben zeigt «Copilot» daher logischerweise nur wenig, hält er Asli doch während der Dauer ihrer Beziehung immer mehr auf Distanz und verheimlicht ihr jenen Teil seines Lebens, der ihn schliesslich zu seiner schrecklichen Tat führt.
Leider zeichnet der Film aber auch Aslis Charakter nur flach. Zu Beginn ist der Konflikt mit ihrer Familie noch ein Thema, wird aber bald zugunsten des puren Fokus auf ihrer Beziehung mit Saeed in den Hintergrund gedrängt. Somit gibt «Copilot» auch von Aslis Leben ausserhalb ihrer Beziehung nur wenig preis.
Dass Asli trotzdem als interessante Figur funktioniert, ist vor allem der grossartigen Schauspielleistung von Hauptdarstellerin Canan Kir zu verdanken. Von Aslis anfänglicher Naivität bis zur langsamen Erkenntnis, dass Saeed etwas vor ihr verbirgt, verkörpert Kir die Rolle glaubhaft und mit so viel Nuanciertheit, wie das Drehbuch sie ihr erlaubt.
Am stärksten stolpert der Film aber ausgerechnet beim Fokus seiner Geschichte: bei der Darstellung von Saeed und Aslis Beziehung. Diese beginnt wie in einer niedlichen Romanze: Ali und Saeed lernen sich beim Flaschendrehen kennen und steuern später zusammen ein imaginäres Flugzeug über die Strasse. Bis schliesslich der erste grosse Konflikt aufkommt – und der Film mitten in Asli und Saeeds Diskussion abrupt abbricht und, ohne zu zeigen, wie die beiden den Konflikt lösen, einen Zeitsprung vollführt. Genau wie bei den Charakteren bleibt der Film also auch bei der Beziehung an der Oberfläche und scheint sich einer wirklichen Auseinandersetzung mit der Thematik zu verweigern.
«So bleibt ‹Copilot› eine Erzählung, die eine äusserst komplexe Thematik schlicht zu simpel abhandelt.»
Erst im letzten Viertel wird das Tempo endlich so weit gedrosselt, dass die Auswirkungen von Saeeds Verhalten auf Ali wirklich zum Vorschein kommen und Canan Kir schauspielerisch aus dem Vollen schöpfen kann. Dann überrascht «Copilot» mit einigen grossartigen Szenen, wie etwa jener, in der als Asli Saeeds reiche Eltern im Libanon besucht und es Regisseurin Anne Zohra Berrached («24 Wochen») gelingt, ohne viele Worte viel auszusagen. Für ein wirklich kraftvolles Ende fehlt letztlich aber dann doch der entsprechende Aufbau von Figuren und Beziehungsdynamiken in den ersten drei Vierteln des Films. So bleibt «Copilot» eine Erzählung, die eine äusserst komplexe Thematik schlicht zu simpel abhandelt.
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Kinostart Deutschschweiz: 4.11.2021
Filmfakten: «Copilot» («Die Welt wird eine andere sein») / Regie: Anne Zohra Berrached / Mit: Canan Kir, Roger Azar, Özay Fecht, Jana Julia Roth, Ceci Chuh / Deutschland, Frankreich / 118 Minuten
Bild- und Trailerquelle: First Hand Films / ©Razor_Film_Photo ©Christopher_Aoun
Spannendes Thema, dem «Copilot» mit seiner mangelnden Tiefe leider nicht gerecht wird. Hautpdarstellerin Canan Kir holt aber mit ihrem nuancierten Schauspiel das beste aus ihrer Rolle heraus.
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