Lara Stoll – Allein zu Haus
«Das Höllentor von Zürich», geschrieben von Lara Stoll und Cyill Oberholzer, erzählt wie Lara Stoll sich den Finger im Abfluss ihrer Badewanne einklemmt und ähnlich wie im Film «127 Hours» dann stundenlang auf ihre Befreiung warten muss. Aber der Experimental-Horror-Klamauk ist weit mehr als diese gewitzte und sehr exakte Nachstellung des besagten Films in einem Badezimmer an der Zürcher Langstrasse. Denn neben der gelungenen intertextuellen Destruktion ist diese kleine Odyssee zu sich selbst eine grosse, subtile, eine poetische, psychologische und eine intelligente Parabel und eine Tour de force über das, was Menschsein, Kunst und Wahrnehmung im 21. Jahrhundert mit Social Media, Eurovision Song Contest und Homepage bedeutet. Und das hat weit mehr Substanz als alle Blockbuster dieses Sommers zusammen.
Der Film beginnt damit, dass wir Lara Stoll „allein zu haus“ antreffen. Wie Kevin im oben angefügten Film-Teaser-Titel wirkt sie ein wenig verlassen in dieser Wohnung, in der sie sich mit Siri unterhält und ihr ihre To Do’s diktiert. Auf dieser ist die Teilnahme am Eurovision Song Contest und die neue Homepage von ihrer Mutter. Schon am Anfang macht der Film klar, auf kaleidoskopische und dekonstruktive Weise (verfärbte Bilder, hoher Kontrast und Verpixelung), dass die digitale Welt neben der realen Wahrnehmung und Erinnerung Laras Dasein bestimmt und leitet. Die Auseinandersetzung mit sich und der Welt wird in den kommenden Minuten und Stunden geprägt sein von Pop-Up Apps, Youtube-Videos, Facebook Chats und Mails. Aber auch analog wird die Welt von bohrenden Bauarbeitern oder Mamis Anrufen gestört. Lara Stoll als Lara Stoll ist allein mit sich, arbeitet von zuhause aus, leidet an Reizdarm, trinkt eine Mischung aus Appenzeller und Red Bull und verbarrikadiert sich in ihrem Badezimmer mit einer Packung Minipics. Und anstatt ein paar gemütliche Minuten im Bad mit Minipic und Youtube Videos zu verbringen, artet der Badezimmerbesuch in einen psychologischen Horrortrip aus, da Lara im Abfluss mit ihrem Finger stecken bleibt. Was sie dann erlebt, sei hier nicht verraten. Für zartbesaitete und Kein-Blut-Sehen-Könner: Hand vors Gesicht und durch! Denn das Hässliche hat bei Stoll und Oberholzer auch sehr viel Poetisches.
Lynch, Godard, Tarkowski, van Sant, Kubrick
Einflüsse und Referenzen gibt’s in diesem experimentellen und postmodernen Märchen viele. Und sie machen Sinn und sind stimmig eingesetzt. Man erkennt Verweise an Regisseure, die sich mit der Sprache des Films auseinandersetzten. Regisseure wie Godard, Lynch oder Tarkowski sprechen ihre eigene Sprache. Und ebenso versuchen Oberholzer und Stoll den modernistischen Geist in die heutige Welt einfliessen zu lassen. Einmal streift Lara über den Bildschirm ihres Macs und sagt: „Wenn ich den Bildschirm berühre, kann ich das Internet spüren“. Eine Schlüsselszene, auch in Bezug auf die filmischen Mittel, zeigt auf der bildlichen Ebene exzessive Lara-in-der-Badewanne-am-Schreien-Bilder, die auf Körper-Innenaufnahmen, Kinderüberraschungs-Youtube Aufnahmen und gumpende PDF-Aktualisierungs-Pop-Ups schnell geschnitten sind. Auf der Tonebene hören wir eine 8-Bit-Version von Vivaldis Stück aus den Vier Jahreszeiten. Am Schluss der Sequenz – sinngebend sagt der Mac, dass keine Internetverbindung besteht – scheint Lara dem Höllentor zu entkommen und rennt durch ein regnerisches Zürich zu ihrer Mami nach Hause, wo aber auch nur ein digitaler Stellvertreter aus der Hölle die Türe öffnet.
Machs wie Shia Saide LaBeouf: Do it!
«Das Höllentor von Zürich» ist ein harter und hässlicher Kampf zwischen der analogen und der digitalen Welt. Ein Film über die Wirkung dieser Welten auf das menschliche Bewusstsein. Und eine philosophische Reise über Subjektivität und Konstruktivismus. Klar ist das sehr hoch gestochen, aber in der Symbolik des Höllentor und dem Gefühl von Gefangensein in der digitalen Welt haben Lara Stoll und Cyrill Oberholzer in der Badewanne und deren Abfluss ein schönes Moment gefunden, um dem Wirrwarr Internet und der digitale Welt symbolisch eine Pforte zu geben, von der Mensch nur loskommt, wenn man es wie Shia Saide LaBeouf macht: Do it!
«Alles in allem ist «Das Höllentor von Zürich» ein wunderbar lustiger, ein wunderbar hässlicher und ein wunderbar farbiger Tanz in der digitalen Agora, die Badewanne heisst. Ein postmodernes Märchen in Minipic-Moll.»
Alles in allem ist «Das Höllentor von Zürich» ein wunderbar lustiger, ein wunderbar hässlicher und ein wunderbar farbiger Tanz in der digitalen Agora, die Badewanne heisst. Ein postmodernes Märchen in Minipic-Moll. Und alleine der Abspann, wo die Zauberer ihre Tricks verraten, ist wirklich sehenswert. Filmisch wird’s nie langweilig, inhaltlich schon gar nicht. Dafür hats zu viele spassige und verfremdende Ideen und assoziative Montagen, die uns nachdenken lassen über uns und diese Welt, in welcher die Updates nie enden. Unsere Wertung: Switzerland, 12 points.
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Nächste Gelegenheit den. Kinofilm zu sehen: 10.8. & 11.8. um 22.50 Uhr im RiffRaff.
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Kinostart: 27.7.2018 / Regie: Cyrill Oberholzer / Darsteller: Lara Stoll, Müggli, Shia Saide LaBeouf /
Bilder und Trailerquelle: tellfilm / larastoll.ch / http://www.bildmitton.tv/
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