Mit viel Fingerspitzengefühl inszenieren die Schweizer Zwillingsbrüder Ramon und Silvan Zürcher mit «Das Mädchen und die Spinne» ein kammerspielartiges psychologisches Drama, das dem Publikum viel Freiraum für Interpretationen lässt. Dabei sind die nachdenklichen Blicke der Figuren oftmals expressiver als deren Worte.
Nach mehreren Jahren des gemeinsamen Wohnens zieht Lisa (Liliane Amuat) in eine eigene Wohnung und lässt damit Mara (Henriette Confurius) zurück. Diese hilft ihr aber beim Zügeln, denn immerhin waren die beiden gute Freundinnen. Oder waren sie mehr? Es wirkt eher so, als wären sie nicht einmal das gewesen, denn Mara verhindert ein sorgenfreies Einziehen mit allen Mitteln. Sie scheint den Domizilwechsel von Lisa als Verrat zu deuten und lässt ihrer Frustration darüber an allem Möglichem aus.
Neben Mara packen auch Lisas Mutter (Ursina Lardi) und einige Kolleg*innen beim Umzug mit an. Obwohl sich alle gut verstehen, kommt es immer wieder zu kleineren Konflikten: Permanent liegen zwischenmenschliche Spannungen in der Luft. Genau diese Spannungen sind die grösste Stärke von «Das Mädchen und die Spinne». Die Regisseure Ramon und Silvan Zürcher, die zugleich auch die Autoren sind, kombinieren knackige und glaubwürdige Dialoge mit tiefgründigen und meist auch bitterbösen Blicken. Dies ergibt eine einzigartige fesselnde Atmosphäre. Gerade Maras Augen am Ende eines Gesprächs lösen ein unerklärliches Unbehagen aus, welches das Publikum trotz fehlendem Plot bis zum Abspann bei der Stange hält. Eine tiefe emotionale Verletzung scheint da im Busch zu sein. Doch auf den gefühlvollen Ausbruch wartet man vergebens, genauso wie auf klare Antworten. Vielmehr wirft der Film einige Fragen auf.
«Die Regisseure Ramon und Silvan Zürcher, die zugleich auch die Autoren sind, kombinieren knackige und glaubwürdige Dialoge mit tiefgründigen und meist auch bitterbösen Blicken. Dies ergibt eine einzigartige fesselnde Atmosphäre.»

©Beauvoir Films
Wiederkehrende Motive wie die eines Presslufthammers, der Risse in den Beton bohrt, oder Maras Erzählungen über ein schwankendes Schiff akzentuieren das Gefühl einer heilen Welt, die aufgrund einer Veränderung in sich zusammenbricht. Andere Elemente wiederum, etwa die surrealen Traumsequenzen, lassen sich nicht so einfach in den Kontext des Films einbetten. Selbst bei der titelgebenden Spinne, die in einer Szene von Maras auf Lisas Arm krabbelt, ist man sich nicht sicher, ob dies nun für das Loslassen einer Person oder für eine Herpesübertragung steht. Beides wäre möglich!
«Auch der zweite Teil der ‹Tier-Trilogie› der Zürcher-Zwillinge (nach ‹Das merkwürdige Kätzchen›) zeigt brillant inszenierte Konflikte in alltäglichen Situationen, wobei die Sehnsucht nach Nähe und die Angst vor Einsamkeit immer im Zentrum stehen.»

©Beauvoir Films
Auch der zweite Teil der «Tier-Trilogie» der Zürcher-Zwillinge (nach «Das merkwürdige Kätzchen») zeigt brillant inszenierte Konflikte in alltäglichen Situationen, wobei die Sehnsucht nach Nähe und die Angst vor Einsamkeit immer im Zentrum stehen. So punktet der Film zwar durch seine überzeugende Atmosphäre, vermag aber mit seinem eher unbefriedigenden Ende nicht vollends zu überzeugen. Mehr Aufklärung zum Schluss hätte der Geschichte gut getan. Ist der Weg aber das Ziel, dann ist «Das Mädchen und die Spinne» die Reise allemal wert.
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Kinostart Deutschschweiz: 13.5.2021
Filmfakten: «Das Mädchen und die Spinne» / Regie: Ramon Zürcher, Silvan Zürcher / Mit: Henriette Confurius, Liliane Amuat, Ursina Lardi, Flurin Giger, André M. Hennicke / Schweiz / 98 Minuten
Bild- und Trailerquelle: Xenix Filmdistribution GmbH / ©Beauvoir Films
Ein emotionales, ruhiges Filmerlebnis mit einzigartiger Atmosphäre. Hervorragend inszeniert, gut gespielt. Ein eigenwilliges Schweizer Drama zum Nachdenken.
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