Die Ausgabe des Fantoche, die dieses Jahr vom 1. bis 6. September in Baden über die Bühne ging, war eindeutig eine, die so schnell nicht in Vergessenheit geraten dürfte. Als erstes grosses Festival, das seit dem Corona-Shutdown mit Publikum stattfinden durfte, wurde das Trickfilmfestival von der Direktorin Annette Schindler passend als «Testballon» für eine ganze Szene bezeichnet.
Jetzt, wo die Preise verliehen sind, die Gäste abgereist und die Deko bereits wieder abgebaut wird, lässt sich sagen: Auch mit Maskenpflicht, weniger Publikum und ohne seine legendären Apéros war dieses Fantoche ein Erfolg.
In jedem anderen Jahr wäre es vermutlich erwähnenswert, dass am Fantoche nicht nur eine Vielzahl der Langfilme ständig ausverkauft war, sondern auch diverse Wettbewerbsprogramme. Wenn man jedoch – wie in diesem Jahr – fast nur jeden zweiten Platz im Kino besetzt, verlieren diese Superlativen gewissermassen an Bedeutung. Dennoch: Mit 15’800 Besucher*innen und einer Auslastung von über 60% im Vergleich zum Vorjahr (25’500 Besucher*innen) kann das Fantoche seine Corona-Version durchaus als Erfolg verbuchen.

Q&As in Zeiten von Corona. Foto: Justin Veuthey
Dass man COVID am Fantoche ernst nimmt, zeigt die Tatsache, dass das Festival immer wieder über die behördlichen Verordnungen hinausging: So galt im Foyer und in den Sälen zusätzlich zu den Abstandsregeln strikte Maskenpflicht, was vom Publikum auch respektiert wurde. Natürlich bleibt – wie bei jeder Grossveranstaltung im Moment – zu hoffen, dass es in den kommenden Tagen kein böses Erwachen gibt. Aber man kann dem Festival nicht vorwerfen, seine Sorgfaltspflicht vernachlässigt zu haben.
Filmisch bot das Fantoche dieses Jahr beste Unterhaltung – eröffnet wurde das Festival von «Calamity, une enfance de Martha Jane Cannary» von Rémi Chayé, der nach seiner Online-Weltpremiere in Annecy zum ersten Mal auf der grossen Leinwand zu sehen war. Das bildgewaltige Coming-of-Age-Abenteuer überzeugt durch seine diverse und starke Figurenzeichnung und macht damit auch eine etwas gar konventionelle Erzählstruktur wett. Der Film lockte denn auch viel Publikum ins Kino, ebenso wie das Teenager-Drama «Weathering with You» von Makoto Shinkai, der in seinem Heimatland dermassen grosse Erfolge feierte, dass er im vergangenen Jahr als japanischer Beitrag an die Oscars geschickt wurde.
Bekannte Gesichter im Internationalen Wettbewerb
2019 beschloss das Fantoche, seinen Internationalen Wettbewerb um ein zusätzliches Programm zu ergänzen und gleich fünf statt der ursprünglichen vier Filmblöcke zu zeigen. Damals wurde diese Entscheidung durch einen beeindruckenden Wettbewerb bestätigt. Dass das Festival in diesem Jahr erneut an den fünf Wettbewerbsblöcken festhielt, überrascht hingegen gleich doppelt. Einerseits war die Auswahl in diesem Jahr sehr durchzogen, sodass sich fünf Blöcke nicht durch Qualität rechtfertigen lassen – andererseits belastete der zusätzliche Filmblock das wegen Corona ohnehin schon gestraffte und angespannte Programm zusätzlich.

«Something to Remember» von Niki Lindroth von Bahr (Gewinner: Best Film 2020)
Die Jury liess sich davon jedoch nicht beirren und kürte die schwedische Filmemacherin Niki Lindroth von Bahr und ihr tierisches Elend-Musical «Something to Remember» zur Gewinnerin, was die Filmemacherin mit einem Videobeitrag, in dem ihr ein bananenessendes Kind die Schau stiehlt, verdankte. Niki Lindroth von Bahr ist am Fantoche ein bekanntes Gesicht: Sie gewann denselben Preis bereits 2017, als sie mit «The Burden» das Festival im Sturm eroberte. Dina Velikovskaya – eine der wenigen anwesenden ausländischen Filmemacher*innen – sicherte sich für «Ties» den Publikumspreis.
Als «High Risk»-Preisträgerfilm wurde «Freeze Frame» von Soetkin Verstegen gekürt. Paul Mas wurde für sein Ausseinseiterdrama «Précieux» verdient mit dem Nachwuchsregiepreis bedacht, während Bryan Lees herrlich absurder Kugelschreiberfilm «Cage Match» über Aufzüge, Angstzustände und Wrestling völlig zu Recht mit dem Preis für den besten Ton ausgezeichnet wurde. Einzig, dass bei all den Preisen der eindrückliche 15-Minüter «I’m Here» von Julia Orlik völlig vergessen ging, ist nicht schönzureden. Der beklemmende Film erzählt vom schieren Über-Leben einer älteren Frau, die nur noch in den Gesprächen der Menschen, die sich um sie kümmern, zu existieren scheint.
Grosse Überraschung im Schweizer Wettbewerb
Der Schweizer Wettbewerb wiederum präsentierte sich 2020 so stark wie noch nie. In diesem hart umkämpften Programm setzte sich das experimentelle Werk «Aletsch Negative» von Laurence Bonvin durch. Mit diesem Preis überraschte die Jury – nicht zuletzt auch die Regisseurin selbst, die den Preis für ihr Animationsdebüt dankend entgegennahm. Den Publikumspreis sicherte sich Dustin Rees für seine berührenden Alltagsbeobachtungen in «Signs» und als New Talents wurden Zaide Kutay und Géraldine Cammisar mit «The Edge» gekürt.
Dustin Rees und Géraldine Cammisar waren übrigens erst gerade zu Gast in der siebten Folge des Maximum Cinema Filmpodcasts, wo sie über ihre Arbeit an ihren Kurzfilmen erzählen.

«Signs» von Dustin Rees (Gewinner: Publikumspreis Schweizer Wettbewerb 2020)
Der «High Risk»-Award im Schweizer Wettbewerb ging völlig verdient an Joder von Rotz, der in seinem rasanten und umwerfenden «Little Miss Fate» einer unerfahrenen Heldin die Kontrolle über das Schicksal in die Hände legt. Das aberwitzige Kollektivwerk «Interdimensional Melancholy» von Team Tumult wird mit dem «Fantastic Swiss»-Award bedacht – denselben Preis, den die Filmschaffenden bereits im Vorjahr für «The Lonely Orbit» (Regie: Frederic Siegel und Benjamin Morard) gewannen. «Average Happiness» von Maja Gehrig kann derweil die Jugendjury überzeugen und wird für seine sinnlich bewegten Statistiken ausgezeichnet.
Dass im Schweizer Wettbewerb gleich zwei erfrischend witzige Beiträge unerwähnt blieben, schmerzt dennoch. Der rasante «Lachsmänner» über hormongesteuerte Helden, ein filmisches Manifest für den Vaterschaftsurlaub aus den Federn von Manuela Leuenberger, Veronica L. Montaño und Joel Hofmann, ging ebenso leer aus wie «Warum Schnecken keine Beine haben» von Aline Höchli, den vermutlich lustigsten Beitrag des ganzen Festivals.
Alle Gewinner*innen im Überblick:
INTERNATIONALER WETTBEWERB
- Best Film: «Something to Remember», Niki Lindroth von Bahr (Schweden)
- High Risk: «Freeze Frame», Soetkin Verstegen (Belgien)
- New Talent: «Précieux», Paul Mas (Frankreich)
- Best Sound: «Cage Match», Bryan Lee (USA)
- Special Mention: «Tie», Alexandra Ramires (Xá), (Portugal)
- Publikumspreis: «Ties», Dina Velikovskaya (Russland)
SCHWEIZER WETTBEWERB
- Best Swiss: «Aletsch Negative», Laurence Bonvin
- High Swiss Risk: «Little Miss Fate», Joder von Rotz
- New Swiss Talent: «The Edge», Zaide Kutay, Géraldine Cammisar
- Fantastic Swiss: «Interdimensional Melancholy», Team Tumult
- Swiss Youth Award: «Average Happiness», Maja Gehrig
- Special Mention: «Un lynx dans la ville», Nina Bisiarina
- Publikumspreis: «Signs», Dustin Rees
KINDERFILM-WETTBEWERB
- Best Kids: «Avec le Do de la cuillère», Laurent Wassouf, Clément Crosnier, Edgard Cros, Theoline Chapas, Nolwenn Pétereau, Nedellec Anouk, Lucas Ancel (Frankreich)
- Special Mention: «La pêche miraculeuse», Fabrice Luang-Vija (Frankreich)
- Kinderpublikumspreis: «Apple Tree Man», Alla Vartanyan (Russland)
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