Mit verdienten Gewinnerfilmen ging die Jubiläumsausgabe des Animationsfestivals Fantoche in Baden zu Ende. Zum Zwanzigjährigen bescherte sich das Festival ein vielseitiges Programm, das aber einmal mehr durch grosse Abwesenheiten in der Langfilmauswahl auffiel.
Der Blick nach vorne prägte das diesjährige Fantoche: Nicht nur beim Filmprogramm, welches das Überwinden der Krise gleich selber ins Zentrum rückte und mit einem reichhaltigen Kurzfilmprogramm und mit viel Brimborium seine 20. Ausgabe feierte, sondern auch bei den Besucherzahlen, die nach den zwei bisherigen Pandemie-Ausgaben 2020 und 2021 erneut stiegen und sich mit 21’500 verkauften Tickets sehen lassen können. Gleichzeitig muss sich das Festival aber auch die Frage stellen, wie lange es tatsächlich noch dauern wird, bis sich die Besuchszahlen wieder normalisieren – vom Rekord von 2018 mit 27’000 verkauften Billets ist die soeben zu Ende gegangene Ausgabe noch meilenweit entfernt.
Was dem Festival sicher nicht half, war, dass ihm die grossen Zugpferde fehlten – aktuelle Langfilme, die ein junges und altes Publikum gleichermassen ansprechen und so für volle Kinosäle sorgen könnten. Filme wie «Wolfwalkers» (2020) und «Ma vie de Courgette» (2016), die in Vorjahren ein vielseitiges Publikum nach Baden locken konnten, gab es dieses Jahr am Fantoche kaum. «Perlimps» von Alê Abreu, der das Fantoche 2014 mit «Boy and the World» im Sturm eroberte, fand den Weg aus unerklärlichen Gründen nicht ins Programm – während die Abwesenheit von «Le Petit Nicolas», der Verfilmung der Bücher des kürzlich verstorbenen Sempé, wohl damit erklärt werden kann, dass dieser Film seine Schweizer Premiere lieber am Zurich Film Festival Ende Monat feiern will.
«Was dem Festival sicher nicht half, war, dass ihm die grossen Zugpferde fehlten – aktuelle Langfilme, die ein junges und altes Publikum gleichermassen ansprechen und so für volle Kinosäle sorgen könnten.»
Was braucht es also, damit das Fantoche auch für Filme dieses Kalibers interessant wird? Vielleicht kommen sie ja von alleine, wenn es etwas zu gewinnen gibt. Über die Einführung eines Langfilmwettbewerbs sollte man in Baden zumindest einmal ernsthaft nachdenken – wenn man nicht Jahr für Jahr dabei zuschauen möchte, wie einem die Konkurrenz in Zürich einen Animationsfilm nach dem anderen vor der Nase wegschnappt, nur um ihn dann in einer Randkategorie versauern zu lassen.
Doch nur weil die grossen Publikumsmagneten fehlten, bedeutet das nicht, dass es dieses Jahr an sehenswerter Kost mangelte: Der mit viel Liebe zum Detail inszenierte Stop-Motion-Film «Marcel the Shell with Shoes on» etwa, vom Festival zunächst noch als geheime Überraschung angekündigt, ist nicht weniger als einer der schönsten Animationsfilme seit Jahren. Schade, dass der Film in Baden mit seiner Europapremiere wohl für eine Weile eine seiner letzten Vorführungen in der Schweiz gehabt haben dürfte. Für einen regulären Kinostart dürfte Dean Fleischer-Camps herzige Mockumentary dem Verleiher wohl zu sonderbar sein.
Ebenfalls sehr zu empfehlen: die liebevoll gestaltete schweizerisch-französisch-italienische Koproduktion «Interdit aux chiens et aux Italiens» von Regisseur Alain Ughetto, der das Fantoche in Gesellschaft der beiden Protagonist*innen – zwei kleinen Puppen – besuchte, sowie «I Am What I Am» von Sun Haipeng, ein computeranimiertes Abenteuer aus China über drei Aussenseiter mit viel Neunzigerjahre-College-Movie-Charme und -Witz.

«I Am What I Am» von Sun Haipeng
Tanz und Vögel im internationalen Wettbewerb und ein Award-Hattrick
Das Herzstück des Fantoche war aber auch in diesem Jahr der Kurzfilmwettbewerb. In gleich drei Kategorien gab es Preise abzuräumen: im internationalen Wettbewerb, im Schweizer Wettbewerb sowie im Kinderwettbewerb. Im internationalen Vergleich sicherte sich «Bird in the Peninsula» von Atsushi Wada den Hauptpreis – ein verspielter, kruder Film über einen Jungen, der zwischen Tanz und Vogel-Freundschaft hin- und hergerissen ist.
Gleich doppelt prämiert wurde der Film «Au revoir Jérôme!» von Adam Sillard, Gabrielle Selnet und Chloé Farr, der von einer verflossenen Liebe im Jenseits erzählt: Der etwas klobige Kurzfilm schnappte sich den Publikumspreis sowie den «Best Visual»-Award. Für den visuell beeindruckenden «Epicenter» von Hahm Hee-yoon gab es indes den «High Risk»-Award, während Sander Joon für seine schräge Rennwagenfamiliengeschichte «Sierra» zu Recht als «New Talent» gefeiert wurde. Und für Jack Grays herrlich verspielte Loop-Sammlung «Menagerie» hatte die Jury immerhin eine Special Mention übrig.
Im Schweizer Wettbewerb wiederholte sich indes das Bild von 2021, als der grosse Annecy-Gewinner «Écorce» von Samuel Patthey und Silvain Monney sowohl Publikums- als auch Jurypreis absahnte. Auch dem wunderbar charmanten Kurzfilm «La reine des renards» von Marina Rosset – in diesen Jahr in Annecy gleich zweifach prämiert – gelingt dieser Doppelpack. Und nicht nur das: Der Film wurde obendrein noch von der Jugendjury mit einer Special Mention bedacht und geht damit gleich mit drei Preisen nach Hause – ein Novum in der Geschichte des Festivals.
«‹La reine des renards› geht gleich mit drei Preisen nach Hause – ein Novum in der Geschichte des Festivals.»
Samantha Aquilino wurde derweil für ihren unbeschwerten Experimentalfilm «Manchmal weiss ich nicht wo die Sonne» mit dem «High Swiss Risk»-Preis bedacht – ein Preis, der auch gut zu Jonas Bienz‘ gleichermassen abstossender und anziehender Körpererkundung «Boddyssey» gepasst hätte.
Für Bienz gab es stattdessen die «Fantastic Swiss»-Auszeichnung und damit einen Platz im Programm des Neuchâtel International Fantastic Film Festival (NIFFF). Als «New Swiss Talent» wurde Jonathan Laskar für seinen Kurzfilm «The Record» über eine magische Schallplatte ausgezeichnet, womit der Preis erstmals seit Jahren nicht an einen Abschlussfilm der Hochschule Luzern geht. Die Jugendjury schliesslich würdigt mit ihrem Preis den Film «Miracasas» von Raphaëlle Stolz und Augusto Zanovello, ein bildgewaltiges, farbenfrohes Werk über eine sonderbare Totenfeier.
Auch im Kinderwettbewerb gehen Hauptpreis und Publikumspreis an denselben Film: Ausgezeichnet wurde «Loop» von Pablo Polledri, ein Film über Alltagsroutinen und -rhythmen. Eine Special Mention setzte es für «Elevator Alone» von Anastasia Papadopoulou.

«La reine des Renards» von Marina Rosset
Alle Gewinner*innen im Überblick:
INTERNATIONALER WETTBEWERB
- Best Film: «Bird in the Peninsula», Atsushi Wada (Frankreich/Japan)
- High Risk: «Epicenter», Hahm Hee-yoon (Südkorea)
- New Talent: «Sierra», Sander Joon (Estland)
- Best Visual: «Au revoir Jérôme!», Adam Sillard, Gabrielle Selnet, Chloé Farr (Frankreich)
- Special Mention: «Menagerie», Jack Gray (USA)
- Publikumspreis: «Au revoir Jérôme!», Adam Sillard, Gabrielle Selnet, Chloé Farr (Frankreich)
SCHWEIZER WETTBEWERB
- Best Swiss: «La reine des renards», Marina Rosset
- High Swiss Risk: «Manchmal weiss ich nicht wo die Sonne», Samantha Aquilino
- New Swiss Talent: «The Record», Jonathan Laskar
- Fantastic Swiss: «Boddyssey», Jonas Bienz
- Swiss Youth Award: «Miracasas», Raphaëlle Stolz
- Special Mention: «La reine des renards», Marina Rosset
- Publikumspreis: «La reine des renards», Marina Rosset
KINDERFILM-WETTBEWERB
- Best Kids: «Loop», Pablo Polledri (Spanien)
- Special Mention: «Elevator Alone», Anastasia Papadopoulou (Griechenland)
- Publikumspreis: «Loop», Pablo Polledri (Spanien)
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Themenbezogene Interessensbindung des Autoren: Olivier Samter moderiert am Fantoche unter anderem den «Artists‘ Brunch» und ist mit einigen der vorgestellten Filmschaffenden befreundet. Das bedeutet aber noch nicht, dass sie auch zwangsläufig mit ihm befreundet sind.
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