Sein Name steht wie kein Zweiter für die psychologischen Tiefen, die der Body-Horrorfilm erkunden kann: David Cronenberg. Das Zürcher Programmkino Xenix lädt im Juli und August zur Entdeckungstour durch die reich bestückte Filmografie des Kanadiers, der dieses Jahr seinen 80. Geburtstag feierte.
Männer, die sich im Namen der Wissenschaft in Fliegen verwandeln. Kinder, die Plastik verdauen können. Hände, die plötzlich mit Pistolen verschmelzen. Fernsehbildschirme, die ihre Zuschauer*innen verführen und verschlingen. Spielkonsolen, die an eine schleimige Steckdose in der eigenen Wirbelsäule angeschlossen werden. Menschen, die bei Autounfällen sexuelle Erregung verspüren.
«David Cronenberg ist ein Regisseur wie kein anderer – ein Meister der bizarren, gerne auch verstörenden Prämisse, die dann aber gekonnt unterlaufen wird.»
David Cronenberg ist ein Regisseur wie kein anderer – ein Meister der bizarren, gerne auch verstörenden Prämisse, die dann aber gekonnt unterlaufen wird. Keiner der bis dato 22 Filme des 80-jährigen Torontoers artet je zum sinnentleerten Blutbad aus, denn selbst wenn es ans Eingemachte – sprich, an die Geheimnisse unter der menschlichen Haut – geht, liegt der Fokus nicht auf dem Ekelfaktor, sondern darauf, wie faszinierend widersprüchlich, zerbrechlich und wunderschön diese Körperwelten doch sind, selbst (oder gerade wenn) sich der Körper in etwas noch nie zuvor Dagewesenes verwandelt.
Diese einzigartigen Visionen, deren Spuren auch im aktuellen Filmschaffen noch zu sehen sind – Stichwort: «Titane» (2021) – kann man in der Sommerreihe des Kinos Xenix ausgiebig für sich (wieder)entdecken. Ganze 14 Titel von Cronenberg stehen zwischen dem 13. Juli und dem 30. August auf dem Spielplan, darunter seine grössten Body-Horror-Meisterwerke.
Body-Horror mit philosophischem Twist
Eines davon ist definitiv «The Fly», eine atmosphärische Mischung aus «Frankenstein» und «Dr. Jekyll and Mr. Hyde», in der die DNA von Jeff Goldblum («The Grand Budapest Hotel», «Jurassic World Dominion») allmählich mit der einer Fliege verschmilzt. Das mag unschöne Konsequenzen haben, doch in bester Cronenberg-Manier bleibt selbst in diesem an die Monsterfilme der Fünfzigerjahre angelehnten Horrordrama Platz für körperbedingte Euphorie: Was, wenn die Erweiterung des menschlichen Körperhorizonts etwas Erhebendes ist? Und ganz abgesehen davon: Besser als in «The Fly» war der grosse Jeff Goldblum wahrscheinlich nie – wohl auch dank seines herausragenden Zusammenspiels mit Geena Davis.
«‹Videodrome› ist, wie auch ‹The Fly›, ein Fest für alle, die sich an handgemachten – und deshalb nicht etwa weniger effektiven – Spezialeffekten erfreuen.»
Noch düsterer zu und her geht es in «Videodrome» (1983), Cronenbergs paranoider Grossstadtsinfonie über Toronto, in der ein auf Exploitation-Videos spezialisierter Fernsehproduzent (James Woods) Bekanntschaft mit einer mysteriösen Video-Unterwelt macht. Nicht nur ist «Videodrome» ein eindringlicher und bildgewaltiger Thriller über die seltsame Beziehung zwischen der Menschheit und den Bildern, die sie geschaffen hat; er ist, wie auch «The Fly», ein Fest für alle, die sich an handgemachten – und deshalb nicht etwa weniger effektiven – Spezialeffekten erfreuen.
Doch auch die Neunzigerjahre waren eine fruchtbare Zeit in Cronenbergs Werk. Mit den erregten Autounfall-Fans von «Crash» sprang er 1996 erfolgreich auf den Erotikthriller-Zug auf und verstörte die Festivaljury von Cannes so sehr, dass sie ihm einen Spezialpreis verlieh; derweil er sich in «eXistenZ» (1999) dem Phänomen «Videogame» auf wunderbar verspielte Art und Weise näherte.
Wer nach diesen Filmen wissen will, wie sich Cronenbergs Version von Body-Horror seither weiterentwickelt hat, dem oder der sei der Besuch einer Vorstellung von «Crimes of the Future» (2022) wärmstens ans Herz gelegt. Hier entführt der Altmeister sein Publikum in eine Welt, in der es keinen Schmerz mehr gibt, Live-Operationen der letzte Schrei in der Kunst sind und ein Kult von Plastikessern den Aufstand gegen eine Gesellschaft probt, die ihr Anderssein nicht akzeptieren kann. Von den grossartig verqueren Darbietungen von Viggo Mortensen («Green Book»), Léa Seydoux («No Time to Die») und Kristen Stewart («Spencer») über die Reflexion über die soziale Relevanz von Kunst bis hin zum impliziten Kommentar über Transphobie: «Crimes of the Future» ist ein heisser Kandidat für den Titel des bislang besten Films der 2020er Jahre.
Psychische Untiefen
Doch Cronenberg nur auf seine Body-Horrorfilme zu reduzieren, wäre falsch. Gerade in den letzten 20 Jahren konzentrierte er sich in seinem Schaffen vermehrt auf «klassischere» Drama-Stoffe. Den vielleicht besten Film aus dieser Periode – die Don–DeLillo-Verfilmung «Cosmopolis» (2012) mit Robert Pattinson in der Hauptrolle – zeigt das Xenix zwar nicht; doch diese Lücke im Programm wird mit der intensiven Graphic-Novel-Adaption «A History of Violence» (2005) mühelos kompensiert. Wer sich von Cronenbergs Qualitäten in Sachen Schauspielführung überzeugen lassen will, hat hier die Chance dazu: Viggo Mortensen und Maria Bello («Prisoners») glänzen in den Hauptrollen, doch es sind William Hurt («The Village», «Black Widow») und Ed Harris («The Truman Show», «The Lost Daughter»), die sich mit ihren unheimlichen Gangster-Performances tief ins Gedächtnis einbrennen.
«‹A Dangerous Method› spielt unter anderem am Zürichsee – doch dieser liess sich während der Dreharbeiten leider vom Bodensee doubeln.»
Ebenfalls aus dieser Karrierephase stammen «Eastern Promises» (2007), ein eiskaltes Mafiadrama, das zeigt, dass Cronenberg wohl auch ausserhalb des Horrorfachs eine grosse Karriere gewinkt hätte, und «A Dangerous Method» (2011), ein überraschend freizügiger Kostümfilm über den intellektuellen und sexuellen Dreikampf zwischen Sigmund Freud (Viggo Mortensen), C. G. Jung (Michael Fassbender) und Sabina Spielrein (Keira Knightley). Lokalpatriot*innen, aufgepasst: Dieser Film spielt unter anderem am Zürichsee – doch dieser liess sich während der Dreharbeiten leider vom Bodensee doubeln.
Ein Hoch auf den physischen Film!
Neben der Filmauswahl punktet das Xenix aber auch mit einer erfreulich hohen Anzahl von Vorführungen, bei denen phsyische Filmstreifen zum Einsatz kommen – was angesichts der «Physis» des Gezeigten auch thematisch bestens passt. Gleich neun Titel im Cronenberg-Programm werden auf 35-Millimeter-Film gezeigt: Das bedeutet farbintensivere Bilder, fassbarere Texturen und Gebrauchsspuren auf den Filmrollen, die einen daran erinnern, dass das Gesehene eine persönliche Geschichte hat. In diesem Zusammenhang lohnt sich der Besuch eines Screenings von «Shivers» – einem ganz frühen Cronenberg aus dem Jahr 1975 – ganz speziell, ist es dem Xenix doch gelungen, zu diesem Zweck eine besonders seltene Kopie aus dem Archiv zu heben.
Wer die heissen Sommermonate am liebsten im Kino verbringt, könnte es also nicht besser treffen, als im kühlen Dunkel Platz zu nehmen und David Cronenberg dabei zuzusehen, wie er auf der Leinwand Verstörendes, Verwirrendes, Erhebendes und immer wieder auch Wunderschönes zaubert.
Tickets zu gewinnen
Das ganze David-Cronenberg-Programm vom Xenix sowie die genauen Spielzeiten sind auf der Website des Kinos zu finden. Maximum Cinema verlost zudem 1 x 2 Tickets für die Vorführung von «The Fly» am Donnerstag, 13. Juli, um 20.30 Uhr. Das Screening wird mit einer Einführung in die Retrospektive beginnen, moderiert von Xenix-Programmierer Marius Kuhn und Filmjournalistin Selina Hangartner. Um teilzunehmen, musst du die folgende Frage beantworten: Wer spielt die männliche Hauptrolle in «The Fly»? Antwort an hello@maximumcinema.ch mit dem Betreff «David Cronenberg». Einsendeschluss ist der 12. Juli 2023.
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Titelbild aus «Crimes of the Future» / © Nikos Nikolopoulos / © Praesens-Film AG / © MMXX. NEON Rated, LLC. All rights reserved.
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