Regisseure, die ihre ganz eigene Handschrift unverkennbar in ihre Filme bringen, gibt es nicht wie Sand am Meer. David Lynch ist einer dieser spärlich gesäten, gold funkelnden Sandkörner an der Filmküste und fasziniert seit Jahrzehnten mit seiner Vorliebe für das mysteriös Abstrakte bis Albtraumhafte. Grund genug, dem Regie-Phänomen Lynch auf den Zahn zu fühlen – Die drei Filmemacher Jon Nguyen, Rick Barnes und Olivia Neergaard-Holm haben sich dieser intensiven Aufgabe angenommen und präsentieren «David Lynch: The Art Life» in den Schweizer Kinos.
«Eraserhead», «Blue Velvet», «Mullholand Drive», «Twin Peaks» – Dies sind die Film- und Serientitel, die einem Filmkenner beim Stichwort David Lynch in den Sinn kommen. Zurzeit feuert der Regisseur mit seinem «Twin Peaks»-Revival jede Woche eine surreale neue Folge der Erfolgsserie in die Zuschauermasse, die bei seinen Fans mehr Fragezeichen zurücklässt, als dass sie Antworten liefert. Aus der Filmgeschichte ist der amerikanische Regisseur nicht mehr wegzudenken: Viel zu einprägend und mesmerisierend sind seine Werke in Bild und Ton, um in der Masse der zahlreichen Regisseure unterzugehen. Doch woher rührt diese Einzigartigkeit, die Lynch ausmacht? Was liefert Lynch die nötige Inspiration? Wer ist Lynch überhaupt?
Wie portraitiert man am besten einen Künstler? Ganz einfach, man lässt ihn reden. Während vier Jahren sammelten Jon Nguyen und sein Team über 20 Konversationen auf Tonband des Regisseurs, die sie zusammen mit Aufnahmen des Künstlers am Werk und biografischen Ecksteinen versehen zu einem Gesamtfilm verbinden. In der gleichen Ruhe und Gelassenheit, mit welcher Lynch seine Filme und Serien dramaturgisch versieht (Man denke hier beispielsweise an den unendlich langen und idyllischen Vorspann von «Twin Peaks»), erzählt der Regisseur von seiner Kindheit, Jugend und seinen frühen Anfängen als Künstler in Philadelphia bis zum Drehbeginn seines Debüts «Eraserhead», während er in seinem Atelier in den Hügeln Hollywoods in der einen Hand die obligatorische Zigarette, in der anderen den vor Farbe triefenden Pinsel hält und melancholisch in die Ferne blickt. Zwischen Farbtöpfen und Leinwand rennt seine kleine Tochter Lula umher. Es ist ruhig. Lynch ist ruhig. Doch in ihm fegt ein Sturm. Woher der rührt – nicht ersichtlich.
Lynch erlebte eine glückliche und behütete Kindheit und Jugend als ältester Sohn der Familie Lynch. Schon früh fühlte sich Lynch vom Organischen und Sterblichen angezogen. Bald beginnt er zu Malen und portraitiert albtraumhafte Szenarien, bereits als Jugendlicher besitzt er sein eigenes Atelier. Weder Vater noch Mutter waren kunstschaffend, kein Vitamin B verhalf ihm in die trügerische Schein und Sein Welt der Kunst. Irgendwann fragt man sich, wann denn Lynch nun endlich zu dem Metier kommt, mit dem er berühmt wurde: Dem Film, Kunst in audiovisueller Form. Doch die Dok trägt nicht umsonst den Beititel «The Art Life», denn: Hier geht es nicht um die Entstehung von Lynchs Filmwerken, sondern viel mehr um sein Leben als Künstler. Das Spannende daran: Erlebnisse seiner Kindheit, die eine schockierende, wenn nicht gar traumarisierende Wirkung auf den jungen Lynch hatten, werden von ihm mysteriös umschleiert rekapituliert und nie ganz erklärt. Lynch ist ein echter Dramaturge und weiss selbst bei Fragen zu seinem eigenen realen Leben, wie er den Spannungsbogen aufrecht erhält.

Still aus «David Lynch- The Art Life»
Einblick in Lynchs Psyche
Dies alles kann man auch im Wikipedia-Eintrag über Lynch nachlesen, doch erst in «The Art Life» erlebt man den Einblick in Lynchs Psyche. «David Lynch: The Art Life» kommt etwas klotzig und schwer daher, da Lynch mit spannenden Details geizt und die Dokumentation dadurch sehr langsam voranschreitet. Doch genau das ist passend: Schliesslich entwickeln sich auch die Spielfilme von Lynch sehr langsam und die aufregendsten Details werden nie geklärt. Auch wenn Lynch ausschliesslich über sein Leben spricht, kommt er dabei gar nicht überheblich oder selbstverliebt rüber. Vielmehr klingt er, als würde er ein anderes Leben nacherzählen. Gross im Mittelpunkt stehen mag er nicht – und das macht ihn sympathisch, vermittelt die nötige Nähe zum Publikum, die dieses zu dem Künstler meist nicht aufbauen kann. Und dennoch weiss man am Schluss immer noch nicht, wer dieser David Lynch eigentlich wirklich ist. Weiss er es selbst?
Doch zurück zur Frage: Gelingt es also den drei Filmemachern, das mysteriöse Phänomen Lynch zu entschlüsseln? Nein, es gelingt ihnen nicht. Mit ihrer musikalischen Untermalung aber, dem Schnitt und Aufnahmen Lynch surrealer Gemälde gelingt ihnen gepaart mit Lynchs ruhiger Stimme ein Gesamtwerk, dass die Tiefen des Regisseurs erahnen lassen.
Doch diese können von niemandem völlig zu Tage gebracht werden. Und das ist auch gut so: Das Phänomen Lynch lebt weiter.
Kinostart: 10.8.2017 / Regie: Jon Nguyen, Rick Barnes, Olivia Neergaard-Holm / Mit: David Lynch.
Trailer- und Bildquellen: Praesens
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