In der dritten Staffel der preisgekrönten Thrillerserie «Der Pass» schickt Sky sein Ermittlerduo Ellie Stocker und Gedeon Winter auf ihren letzten Fall. Wieder treibt ein Serienmörder sein Unwesen, wieder müssen die deutschen und österreichischen Behörden zusammenarbeiten, und wieder geht es ganz tief hinab in die menschlichen Abgründe.
Alles hat 2011 begonnen, als auf der Öresundbrücke, exakt auf der dänisch-schwedischen Landgrenze Oberleib und Unterleib zweier Leichen gefunden wurden. Dieser grässliche Fund war nicht nur der Startschuss zu einer höchst erfolgreichen dänisch-schwedischen Krimiserie, die im Deutschen «Die Brücke» (2011–2018) heisst, sondern legte den Grundstein für eine ganze Reihe von Krimiserien, die alle demselben Konzept folgen. Immer geht es um den Leichenfund auf einer Grenze zwischen zwei Ländern, der dazu führt, dass sich ein ungleiches Ermittlungsteam auf die Jagd nach einem Serienmörder begibt – von der amerikanischen Version namens «The Bridge» (2013–2014) über den englisch-französischen Ableger namens «The Tunnel» (2013–2017) bis hin den unzähligen weiteren Adaptionen: der griechisch-türkischen, der russisch-estnischen, der malaysisch-singapurischen.
In der deutschprachigen Variante «Der Pass» (2019–2023) begann alles mit dem Fund einer Leiche auf dem titelgebenden Pass: Hier lag der tote Körper auf einem deutsch-österreichischen Grenzstein. Die erste Staffel erschien 2019 auf Sky; für die Hauptrollen wurden mit Julia Jentsch («Hannah Arendt», «Monte Verità») und Nicholas Ofczarek («Sennentuntschi», «Cortex») zwei ausgewiesene Charaktermimen und Theatergrössen verpflichtet.
«Für den von seinem Suchtmittelkonsum gezeichneten Winter stellen sowohl der neue Fall als auch die deutsche Kollegin unerwünschte Begleiterscheinungen eines Berufs dar, von dem er sich längst entfremdet hat – ein früher ‹Quiet Quitter› sozusagen.»
Jentsch spielt die deutsche Kommissarin Ellie Stocker, eine ehrgeizige Ermittlerin mit einem klaren moralischen Kompass, die es auf österreichischer Seite mit dem zynischen und abgehalfterten Inspektor Gedeon Winter, gespielt von Ofczarek, zu tun bekommt. Für den von seinem Suchtmittelkonsum gezeichneten Winter stellen sowohl der neue Fall als auch die deutsche Kollegin unerwünschte Begleiterscheinungen eines Berufs dar, von dem er sich längst entfremdet hat – ein früher «Quiet Quitter» sozusagen. Doch die überkorrekte Ellie Stocker lässt – wenig überraschend – nicht locker, also gerät das ungleiche Duo schliesslich auf die Spur eines Serienkillers, der sich bei seinen Taten am österreichischen Mythos des Krampus orientiert.
Während die erste Staffel noch stark in den üblichen Thrillermustern verhaftet war, löste sich die zweite Staffel zeitweise stark davon. Gerade in den ersten Folgen lag der Fokus mehr auf den körperlichen und seelischen Schäden, die Stocker und Winter aus dem Krampusfall davongetragen hatten. Nebenher wurde da das Psychogramm einer ebenso mächtigen wie zutiefst verkommenen Bauunterunternehmerfamilie gezeichnet, deren jüngster Sprössling sich als perverser Triebtäter entpuppte.
In der dritten Staffel stehen sich Winter und Stocker nun erst einmal antagonistisch gegenüber. Denn nach den Ereignissen am Ende der zweiten Staffel verdächtigt Stocker ihren ehemaligen Partner der Korruption und gibt ihm die Schuld am Tod einer Kollegin, die in Staffel zwei umkam. Um Winter zu überführen, schreckt sie inzwischen auch vor fragwürdigen Methoden nicht mehr zurück. Winter wiederum hadert mit seinen ganz persönlichen Traumata und macht Jagd auf einen Peiniger aus Kindheitstagen. Aber wie es im Leben eben oft so ist, zwingt ein weiterer Serienkiller die beiden, sich wieder zusammenzuraufen. Auf ihrer Mörderjagd geraten sie dabei immer tiefer in die verstörende Welt archaischer Mythen und Sagen.
«Brutale Morde, viele zwielichtige Gestalten, ausschweifende Verhöre in abgedunkelten Zimmern, Spurensuche in nebligen Fichtenwäldern, hohe, schroffe Felswände, morbide Volksmythen und bedeutungsschwangere Blicke, Dialoge und Monologe: Das sind die Zutaten der deutsch-österreichischen Erfolgsserie.»
Brutale Morde, viele zwielichtige Gestalten, ausschweifende Verhöre in abgedunkelten Zimmern, Spurensuche in nebligen Fichtenwäldern, hohe, schroffe Felswände, morbide Volksmythen und bedeutungsschwangere Blicke, Dialoge und Monologe: Das sind die Zutaten der deutsch-österreichischen Erfolgsserie, die schon mit zahlreichen Preisen geehrt wurde. Doch am besten lassen sich die drei Staffeln vielleicht folgendermaßen zusammenfassen: düster, düsterer, am düstersten. Denn die Freude und die Faszination am Abgründigen, an der menschlichen Verkommenheit – das ist es, was «Der Pass» von der ersten Minute an auszeichnet.
So suhlt sich die Serie förmlich in ihrer morbiden Atmosphäre, sei es mit dem ächzenden Musikscore von Hans Zimmer («Dunkirk», «Dune»), den bedeutungsschwangeren Bildern einer mysteriös-bedrohlichen Naturkulisse oder mit den Schauspielerinnen und Schauspielern selbst – allen voran Nicholas Ofczarek. Sein Gedeon Winter ist eine Naturgewalt. Alles an ihm wirkt wuchtig und überlebensgross: die süffisanten Sprüche, sein schwerfälliges, tief schnaufendes Geschlurfe durch das Set, seine Blick- und Wortduelle mit Verdächtigen im Verhörzimmer, sein Ringen mit seinen eigenen seelischen und körperlichen Schmerzen. Diese Intensität ist in den besten Momenten faszinierend, neigt aber ab und an auch zur unfreiwilligen Komik.
Da entpuppt sich die Besetzung von Julia Jentsch als seine Partnerin Ellie als wahrer Glücksgriff. Während Ofczarek Winters Zerrissenheit mit jeder Faser seines Körpers nach aussen trägt, nimmt sich Jentsch bewusst zurück, deutet viele innere Konflikte anfangs bloss an und positioniert so ihre Polizistin als stillen Gegenpol zum ausschweifenden Österreicher, schafft es mit ihrem Charisma aber trotzdem, sich neben Ofczarek zu behaupten.
«Die Macherinnen und Macher der Serie tanzen ständig auf dem schmalen Grat zwischen der Freude am Abgründigen und purer Albernheit.»
Überhaupt tanzen die Macherinnen und Macher der Serie ständig auf dem schmalen Grat zwischen der Freude am Abgründigen und purer Albernheit. Und während ihnen das Austarieren während der ersten beiden Staffeln noch gut gelungen war, kippt die finale Staffel allzu oft ins Lächerliche. (Ob das an den neuen Autor*innen liegt, die für die dritte Staffel verpflichtet wurden, sei einmal dahingestellt.) Alles ist noch dunkler, noch verkommener und noch viel hoffnungsloser als zuvor. Mit grösstmöglichem Pathos werden völlig übertriebene Dialoge und Monologe vorgetragen, während die Figurenzeichnung in Klischees zu ertrinken droht.
Da gibt es beispielsweise den ehemaligen Polizisten Andreas Haas (Frederic Linkemann), der sich bald schon zum Hauptverdächtigen mausert. Die grosse Liebe des Reichsbürgers ist sein Schäferhund; mit Inbrunst pflegt Haas gegen die Systemmedien, das Gendern und «Multikulti» zu schimpfen; seine Freizeit verbringt er in seinem Geheimzimmer, das er von innen mit Alufolie ausgekleidet hat.
Unter dem ganzen Ballast der persönlichen Traumata und Verletzungen der beiden Hauptfiguren, der sich über die beiden ersten Staffeln hinweg angesammelt hat, leiden der zentrale Kriminalfall und die Mördersuche indes stark. So mag während der ersten Folgen kaum richtig Spannung aufkommen: Weder die Serienverantwortlichen noch die Figuren scheinen sich für den Fall zu interessieren – ein Desinteresse, das fatalerweise auf das Publikum überzuspringen droht.
«Selbst wenn die Angelegenheit hier öfter ins Alberne kippt als in den vorangegangenen zwei Staffel, ist es dennoch eine Freude, Schauspielgrössen wie Ofczarek und Jentsch bei der Arbeit zuzuschauen.»
Glücklicherweise ist das Ganze weiterhin äusserst kompetent inszeniert. Mit den stimmungsvollen Bildern schafft es «Der Pass» in der dritten Staffel trotz der Drehbuchmängel immer wieder, eine anregende Atmosphäre zu erzeugen. Selbst wenn die Angelegenheit hier öfter ins Alberne kippt als in den vorangegangenen zwei Staffel, ist es dennoch eine Freude, Schauspielgrössen wie Ofczarek und Jentsch bei der Arbeit zuzuschauen.
Und man wird für die Geduld belohnt: In den letzten Folgen zieht denn auch endlich die Spannungsschraube deutlich an. Wenn dann die Reise also auch inhaltlich ein durchaus stimmiges Ende für die gemarterten Seelen unserer beiden Kommissare findet und den erzählerischen Bogen gelungen abschliesst, ist man als Zuschauer*in letztlich doch ziemlich versöhnlich gestimmt.
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Verfügbar auf Sky
Serienfakten: «Der Pass» / Creators: Cyrill Boss, Philipp Stennert / Mit: Julia Jentsch, Nicholas Ofczarek, Hanno Koffler, Martin Feifel, Christian Baumann, Lucas Gregorowicz, Rony Herman, Matthias Hack, Alexander Stecher, Sibylle Canonica, Michael Fuith / Österreich, Deutschland / 24 Episoden à 45 Minuten
Bild- und Trailerquelle: © Sky Deutschland/W&B Television
Drei Staffeln lang liess «Der Pass» seine Figuren durch menschliche Abgründe wandern. Das war atmosphärisch, manchmal eher theatralisch und albern als spannend – aber immer unterhaltsam.
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