In der Nacht auf Montag werden zum 91. Mal die Oscars verliehen. Wie schon im Vorjahr werfen wir einen Blick auf die zehn Filme, die in den beiden Animationskategorien (Bester Animationsfilm und Bester animierter Kurzfilm) um eine Trophäe buhlen. Geht der Oscar einmal mehr an Disney oder kann ausgerechnet Spider-Man der Glückssträhne ein Ende setzen? Und was hat es mit den kanadischen Kurzfilmen auf sich?
Bester Animationsfilm
- Incredibles 2 (Brad Bird)
- Isle of Dogs (Wes Anderson)
- Mirai (Mamoru Hosoda)
- Ralph Breaks the Internet (Rich Moore, Phil Johnston)
- Spider-Man: Into the Spider-Verse (Bob Persichetti, Peter Ramsey, Rodney Rothman)
Speziell in der Langfilmkategorie blicken wir auf ein eher durchschnittliches Filmjahr zurück, das ausser der fünf nominierten Beiträge wenig Erinnerungswürdiges hervorbrachte. Und wenn, dann landeten die Filme gar nicht erst auf dem Radar der Wähler: Internationale Trickfilmproduktionen wie der chinesische Thriller «Have a Nice Day» oder das farbenfrohe Melodram «On Happiness Road» aus Taiwan waren bei der risikoscheuen Academy von vornherein chancenlos – umso erfreulicher also, dass mit dem japanischen «Mirai» doch noch eins von diesen «obscure freakin’ Chinese fuckin’ things» (originales Zitat eines Academy-Mitglieds von 2015) nominiert wurde. Nichtsdestotrotz bleibt dieses fantastische Werk vom gefeierten Regisseur Mamoru Hosoda wohl chancenlos – zu unbekannt ist das Schaffen von Hosoda, zu ungewöhnlich ist der Film. Überhaupt gelang es bisher erst einem nicht-englischsprachigen Trickfilm, die Trophäe zu gewinnen: 2002 triumphierte Hosodas Landsmann Hayao Miyazaki mit «Chihiros Reise ins Zauberland». Ein japanischer Überraschungssieg bleibt diesmal wohl aus.
Disney im Doppel
Insgesamt dürfte das Rennen um die Goldstatue aber so offen sein, wie schon lange nicht mehr. Wir erinnern uns: Im vergangenen Jahr ging der Preis wenig überraschend an den Pixar-Film «Coco» und somit zum zehnten Mal in den letzten elf Jahren an eine Disney-Produktion. Auch in diesem Jahr sind die Voraussetzungen für den Mickey-Mouse-Konzern zumindest auf dem Papier alles andere als schlecht, denn gleich mit 2 Filmen, nota bene Fortsetzungen, geht Disney ins Rennen: dem hauseigenen «Ralph Breaks the Internet» von Rich Moore und Phil Johnston und der Pixar-Produktion «Incredibles 2» von Brad Bird. Beide sind solide Trickfilme, die das Konzept des Vorgängers geschickt neu interpretieren und sich dadurch von anderen Fortsetzungen abheben. Aber beide Filme sind auch sehr vergessbar und können weder ihren Vorgängern noch den anderen Oscar-Kandidaten in Punkto Charme und Innovation das Wasser reichen. Es wäre also sehr zu bedauern, wenn Disney ausgerechnet für einen dieser Filme ausgezeichnet würde.
Das ist in diesem Jahr aber aus diversen Gründen fraglich. Denn eine solche Doppelkandidatur birgt immer auch die Gefahr von sogenannten «split votes», also einer Stimmenaufteilung von disneyfreundlichen Academy-Mitgliedern. Das weiss auch Disney, weshalb das Studio seit einigen Tagen eine aggressive «Incredibles 2»-Kampagne fährt; wohl um zu vermeiden, dass zu viele Disney-Stimmen an «Ralph Breaks the Internet» gehen.
Wirklich gefährlich wird dem Studio aber ohnehin ein anderer Film: Der beim Publikum und Kritikern gefeierte «Spider-Man: Into the Spider-Verse» wird im Augenblick von Preisen nur so überhäuft. Der Film von Bob Persichetti, Peter Ramsey & Rodney Rothman geht spätestens seit seinem Golden Globe-Gewinn aus der Pole Position ins Oscar-Rennen. Der visuell überragende Film wartet mit einer einzigartigen Bildsprache und einer berührenden Story auf, die nicht nur in Hollywoodkreisen resoniert. Dazu kommt, dass die Produzenten Chris Miller & Phil Lord in der Industrie als Wunderkinder gefeiert werden, aber trotz «Cloudy With a Chance of Meatballs» und «The Lego Movie» noch immer auf einen Oscar – oder gar eine Nomination – warten. Wenn es dem Studio Sony gelingt, eine «Jetzt erst recht!»-Stimmung aufkommen zu lassen, dürfte dem Spider-Man-Sieg nichts im Wege stehen. Und wenn ausgerechnet dieser Film für ein Ende der Disney-Gewinnsträhne sorgt, wäre das doppelt ironisch. Schliesslich wurden Lord und Miller von Disney vor nicht allzu langer Zeit unschön vom «Solo: A Star Wars Story»-Regiestuhl geschasst.
Schwer einzuschätzen sind die Gewinnchancen von Wes Anderson und seinem Puppentrickfilm «Isle of Dogs». Der Name Wes Anderson bringt ein gewisses Gewicht mit, das selbst trickfilmunkundige Wähler beeindrucken könnte, und auch die handwerkliche Qualität des Films ist unbestritten. Überhaupt dürfte die Technik dem Film in die Hände spielen, wirkt Stop-Motion auf das durchschnittliche Publikum doch meist viel beeindruckender als andere Animationspraktiken. Die Frage ist nur, ob «Isle of Dogs» den Vorwurf der kulturellen Aneignung (in Bezug auf seinen lockeren Umgang mit der japanischen Kultur) abschütteln kann, oder ob ihn diese Kritik letzten Endes seine Award-Chancen kostet.
Bester animierter Kurzfilm
- Animal Behaviour (Alison Snowden & David Fine)
- Bao (Domee Shi)
- Late Afternoon (Louise Bagnall)
- One Small Step (Andrew Chesworth & Bobby Pontillas)
- Weekends (Trevor Jimenez)
Auch die Kurzfilmkategorie kommt längst nicht mehr ohne einen Disney- oder Pixar-Kurzfilm aus – zuletzt 2009 verpasste es das Studio, sich einen Platz in der Liste der Nominierten zu sichern. Doch auch wenn es für Disney fast jedes Jahr eine Anstands-Nomination gibt, geht das Trickfilmstudio bei der Preisvergabe nicht selten leer aus – im Gegensatz zur Langfilmkategorie scheint die Academy bei den Kurzfilmen doch noch ab und zu über den Tellerrand zu schauen. Das bekam auch DreamWorks zu spüren, die gleich zwei durchschnittliche Kurzfilme ins Rennen schicken, die jedoch beide abgestraft wurden.
Ebenfalls durchschnittlich, aber dennoch nominiert wurde der Pixar-Vorfilm «Bao» von Domee Shi. Der Film über eine ältere Frau, die einen Dumpling als Kind aufzieht, ist viel zu konventionell dafür, wie unkonventionell er sich gibt und obendrein sehr ungelenk erzählt. Das dürfte der Academy aber egal sein, denn der Kurzfilm wird aufgrund seiner relevanten Thematik und der persönlichen Geschichte mit der Wählerschaft resonieren. Ein Oscar für «Bao» ist alles andere als unwahrscheinlich.
Nur, weil nicht explizit Disney draufsteht, heisst das noch lange nicht, dass nicht auch Disney drin ist. Neben dem «offiziellen» Beitrag des Studios haftet auch zwei weiteren Filmen ein leichter Mickey-Mouse-Geruch an. Einer davon ist der berührende und visuell interessante «Weekends»von Trevor Jimenez, der im Sommer am Trickfilmfestival in Annecy mit dem Publikums- und dem Jurypreis bedacht wurde, und der ebenfalls gute Chancen auf ein Goldmännchen hat. Jimenez, der wie Shi ebenfalls aus Toronto stammt, verarbeitet im Film seine Erinnerungen als Scheidungskind. «Weekends» ist wie schon «Borrowed Time», der 2017 für einen Oscar nominiert wurde, im Rahmen des Pixar Co-Op-Programms entstanden. Dieses Gefäss ermöglicht es Mitarbeitern, persönliche Projekte mit Ressourcen des Studios umzusetzen.
Die Academy mag, was sie kennt
Eher überraschend ist die Nomination von «One Small Step» der beiden Disney-Veteranen Andrew Chesworth und Bobby Pontillas, die zusammen mit drei anderen Animatoren das Studio Taiko gegründet haben. Der Film ist die erste Produktion des Studios und das Regiedebüt für Chesworth und Pontillas. «One Small Step» ist ein berührender und herziger Film, der aber schnell in Vergessenheit gerät.
Dass die Academy mag, was sie kennt, beweisen die weiteren Filme in der Auswahl: Alison Snowden und David Fine, die zusammen mit Domee Shi und Trevor Jimenez für eine kanadische Übermacht in dieser Kategorie sorgen, wurden bereits 1995 mit dem Oscar für den Besten animierten Kurzfilm ausgezeichnet. Das dürfte wohl auch der einzige Grund sein, warum zum Teufel ihr Film «Animal Behaviour» nominiert wurde – eine schrecklich unlustige Satire, die haufenweise Tierklischees abspult und damit mindestens 20 Jahre zu spät kommt.
Ebenfalls bekannt bei der Academy ist Cartoon Saloon, das Studio hinter «Late Afternoon» von Louise Bagnall. Nach drei Oscar-Nominationen in der Langfilmkategorie tritt das gefeierte irische Studio heuer zum ersten Mal mit einem Kurzfilm an. Mit beeindruckenden Bildern erzählt «Late Afternoon» eine berührende Geschichte über das Vergessen, die man leider schon zu oft und vorallem besser gesehen hat. Ganz abschreiben sollte man diesen Kurzfilm aber nicht.
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