Zum 92. Mal werden diesen Sonntag die Oscars verliehen. Zehn Filme gehen ins Rennen um die beiden Animationspreise, den für den bester Animationsfilm und den für den besten animierten Kurzfilm. Wir haben sie für euch genauer unter die Lupe genommen. Gibt es einen Pixar-Doppelsieg? Oder räumen die Puppentrickfilme ab?
Bester Animationsfilm
- «How to Train Your Dragon: The Hidden World» (Dean DeBlois)
- «J’ai perdu mon corps» (Jérémy Clapin)
- «Klaus» (Sergio Pablos)
- «Missing Link» (Chris Butler)
- «Toy Story 4» (Josh Cooley)
In den letzten beiden Jahren waren sich die Mitglieder der Academy und der Hollywood Foreign Press, welche die Golden Globes verleiht, jeweils einig: Beide Veranstaltungen hatten exakt dieselben fünf Filme nominiert. Das ist heuer anders: Waren die Golden Globes in nominationstechnischer Hinsicht noch ein Schaulaufen von Disney – gleich drei Nominationen gab es für den Mauskonzern –, so heisst der grosse Gewinner bei den Oscars schon im Vorfeld Netflix. Das Studio, das dieses Jahr auch allgemein die meisten Nominationen einheimste, ist in der Trickfilmkategorie gleich doppelt vertreten. Die beiden Filme «J’ai perdu mon corps» («I Lost My Body») und «Klaus» sind der eindrückliche Beweis dafür, wie breit Netflix inzwischen im Trickfilmbereich aufgestellt ist. Dafür wurden weder «Frozen II» noch «The Lion King» nominiert. Letzterer zwar wenig überraschend, war doch vielmehr seine ungewollte Nomination bei den Golden Globes der grosse Schock – aber das ist eine andere Geschichte…
Nun ist Disney also nur mit einem Film, dem Pixar-Spielzeugsequel «Toy Story 4» vertreten – doch ausgerechnet das könnte der grosse Vorteil für das Studio sein. Denn anders als bei den Golden Globes werden sich diesmal alle Disney-Stimmen auf einen einzigen Film konzentrieren, anstatt auf drei verschiedene Filme. Dazu kommt, dass der vierte «Toy Story»-Film von der Kritik überraschend gut aufgenommen wurde. Für einen Film, der von Problemen im Vorfeld geplagt war und der bei den grossen Erwartungen nach dem gefeierten dritten Teil eigentlich nur scheitern konnte, ist das schon quasi ein Ritterschlag. Und so ist es mehr als wahrscheinlich, dass der Oscar heuer also zum siebten Mal in den vergangenen acht Jahren an den Trickfilmgiganten geht – zum 13. Mal in den 19 Jahren seit Einführung der Kategorie. Gähn.
Die zuvor erwähnte Stimmenaufteilung für Disney war es wohl auch, die bei den Globes für einen überraschenden Gewinner sorgte: Das Stop-Motion-Abenteuer «Missing Link» bescherte dem kleinen Puppentrickstudio Laika aus Portland seinen ersten grossen Filmpreis. Klar, ein solcher war längst überfällig für das Studio hinter «Coraline» (2009) und «ParaNorman» (2012) – aber musste es wirklich ausgerechnet «Missing Link» sein? Der Film über einen Forscher, der auf den Bigfoot trifft, ist der schwächste Beitrag in der Geschichte von Laika. Der auf dem Papier herzige Abenteuerfilm ist wirr und lustlos inszeniert – aber eben auch saukomisch. Also für kleine Kinder. Und die sind es ja bekanntlich, die über die Gewinnerfilme entscheiden – also zumindest die Kinder jener Academy-Mitglieder, welche sich die Filme mit ihren Bälgern ansehen und anschliessend schauen, worauf der Nachwuchs anspringt. Wenn also ein Film «Toy Story 4» den Preis streitig machen dürfte, dann dieser. Ächz.
Nicht anspringen wird die Jugend auf «J’ai perdu mon corps» von Jérémy Clapin, einen der zwei Netflix-Kandidaten. Die Kinder werden sich auch nicht wirklich dafür interessieren, dass dieses verspielte und kunstvoll inszenierte Drama über eine abgetrennte Hand und ihren Besitzer sowohl an der Semaine de la Critique in Cannes als auch am grossen Trickfilmfestival in Annecy und bei den Annie Awards (den Animations-Oscars) als Sieger hervorging. Und auch für die wenigen Erwachsenen, die selber abstimmen, wird der wohl beste Trickfilm der vergangenen Jahre zu Indie, zu französisch und darum – leider, leider – auch chancenlos sein. Bof.
Auch die liebevoll gestaltete 2D-Komödie «Klaus» von Sergio Pablos dürfte Netflix keine Freude bereiten. Der Film hat nämlich ein grosses Problem: Sieben Wochen nach Heiligabend hat selbst das letzte Academy-Mitglied keinen Bock mehr auf einen Film über Weihnachten – und erst recht nicht über den Weihnachtsmann. Daran werden weder der überraschende Erfolg bei den BAFTAs von vergangener Woche noch der überragende Sieg bei den Annie Awards etwas ändern können. Argh.
Dean DeBlois wiederum ist der erste Regisseur, der für alle drei Teile einer ganzen Trilogie für den Animations-Oscar nominiert wurde – sein Drachenzähmer-Finale «How to Train Your Dragon: The Hidden World» rundet die Liste der Nominierten ab. Wohl aber auch nicht mehr – ein ernstzunehmender Kandidat ist dieses ernüchternde Trickfilmabenteuer um den Wikingerjungen Hiccup und seinen Drachen Toothless nicht. Die Academy wird wohl auch wenig Mitleid mit dem Regisseur zeigen, der vor fünf Jahren für den deutlich besseren «How to Train Your Dragon 2» zwingend hätte ausgezeichnet werden müssen. Oje.
Bester animierter Kurzfilm
- «Daughter» (Daria Kashcheeva)
- «Hair Love» (Matthew A. Cherry)
- «Kitbull» (Rosana Sullivan)
- «Mémorable» (Bruno Collet)
- «Sister» (Siqi Song)
Die Kategorie der animierten Kurzfilme ist stets für Überraschungen gut. Nur schon die Nominationen sind dieses Jahr auffällig: Gleich drei Puppentrickfilme («Daughter», «Mémorable» und «Sister») sind unter den Kandidaten – in einer Kategorie, in der diese Animationsform in den vergangenen Jahren sträflich vernachlässigt wurde, ist das ein solider Wert. Technisch sticht aus den drei Filmen eindeutig «Daughter» (Original: «Dcera») heraus: Regisseurin Daria Kashcheeva schafft mit der intimen Kameraführung und den unfertig wirkenden Figuren eine Nähe – aber auch ein Gefühl der Beklommenheit. Der Film ist fordernd – vermutlich zu fordernd für eine Academy, die sich bezaubernde Büsis und herzige Hundchen gewohnt ist.
Auftritt «Kitbull» – der Pixar-Film hat alles was ein Oscar-Gewinner braucht: ein grosses Studio im Rücken, Konkurrenten, die ebendies nicht haben, eine herzerwärmende Büsi-Hund-Freundschaft, und nicht zuletzt bezaubernde Animation. Dass der Film seiner zuckersüssen Inszenierung zum Trotz eher flach geraten ist und nicht wirklich haften bleibt, dürfte die wenigsten Academy-Mitglieder stören. Ein Pixar-Doppelgewinn ist in diesem Jahr also alles andere als unwahrscheinlich.
Nicht ganz abschreiben sollte man auch «Hair Love», den von Sony nachträglich aufgekauften Kickstarter-Kurzfilm von Matthew A. Cherry über die Beziehung eines schwarzen Vaters zu seiner Tochter – und ihrem krausen Haar. Der Film dürfte dafür, dass er ein unterrepräsentiertes Thema anspricht, sicherlich einige Stimmen der Academy abgreifen. Ob es ihm aber im Angesicht der sehr holprigen und unbeholfenen Erzählstruktur auch gleich zum Homerun reicht, bleibt fraglich. Gut möglich, dass letztlich aber der «Jöh»-Effekt dieser Vater-Tochter-Geschichte zum Sieg führt.
Auch eher chancenlos sind «Sister» und «Mémorable», die zwei verbleibenden Puppentrickfilme. Siqi Songs berührendes Drama erzählt von einem Mann, der sich an seine Kindheit in China – und seine kleine Schwester – zurückerinnert. Ein überraschender und nachhallender Film, der geschickt auf ein kontroverses Thema aufmerksam macht. Song schlägt keine grossen Töne an – und wird vermutlich genau deshalb neben den anderen Filmen vergessen gehen.
«Mémorable» nutzt Stop-Motion um den allmählich schwindenden Geist eines alternden Künstlers darzustellen. Regisseur Bruno Collet weiss bis zuletzt nicht wirklich, wie er das Thema Alzheimer erzählt haben möchte – also versucht er es auf alle erdenklichen Arten gleichzeitig: mit grossen Gesten, humorvoll und auch berührend. Das geht ordentlich daneben und dürfte auch die Academy nicht erweichen.
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Bildquellen: The Academy, The Walt Disney Company Switzerland / Pixar Animation Studios, Praesens Film, Netflix, MAUR film, SIQI SONG
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